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Bela Bartök und Zoltän Kodäly „Tanzsuite“ und „Marosszeker Tänze“ Durch Bartök und Kodäly erreichte die ungarische Musik Weltgeltung. Kodälys Worte: „Um international zu werden, muß man zunächst national sein, und um national zu sein, muß man vor allem Volk sein“ bestimmen Leben und Schaffen beider Komponisten. Kodäly wandte sich seit etwa 1903/04 mit wachsendem Interesse der Volksmusik seiner ungarischen Heimat zu. Gemeinsam mit Bartök, mit dem er in diesen Jahren engere Freund schaft schloß, kam er zu der Erkenntnis, daß die bisher unter dem Namen „ungarische Volkslieder“ bekannten Weisen fast gar nichts mit der echten Volksmusik zu tun haben. Er erklärt: „Die Verfasser jener Melodien, zu denen u. a. auch die Themen der ,Ungarischen Tänze' von Brahms und der ,Ungarischen Rhapsodien' von Liszt gehören, sind zumeist nachweisbar. Sie lebten alle im 19. Jahrhundert, die bedeutendsten unter ihnen waren Ab kömmlinge ungarischer Adelsgeschlechter.“ Kodäly und Bartök entschlossen sich, die echte ungarische Volksmusik zu erforschen. Sie begannen eine eingehende, das ganze ungarische Gebiet umfassende Sammeltätigkeit. Diese Forschungsarbeit wurde für das Schaffen beider Komponisten von entscheidender Bedeutung; denn die ungarische Volksmusik, von| Bartök „Bauernmusik“ genannt, wurde Grundlage und unerschöpfliche Kraftquelle ihrer Werke. Bartök und Kodäly übernahmen die Volksweisen nicht etwa notengetreu, sondern gelangten durch Einbeziehung melodischer, harmonischer und rhythmischer Elemente der „Bauern musik“ zu einer schöpferischen Nachgestaltung der Folklore. So erklärt Bartök: „Das Studium all dieser Bauernmusik war deshalb von entscheidender Bedeutung für mich, weil sie mich auf die Möglichkeit einer vollständigen Emanzipation von der Alleinherrschaft des Dur- und Mollsystems brachte . ..“ Diese Befreiung vom Dur-Moll-System hatte auch Debussy vollzogen, und so ist es verständlich, daß sich sowohl Bartök als auch Kodäly sehr zu seiner Musik hingezogen fühlten. Bartöks Tanzsuite ist eines der schönsten Beispiele für die schöpferische Nachgestaltung der Volksmusik. Sie entstand im Jahre 1923, zu einer Zeit, in der sich Bartök mit Alban Berg, Schönberg, Hindemith und Strawinski auseinandersetzte. Das Werk wurde anläßlich des 50jährigen Jubiläums der Vereinigung von Buda und Pest im Auftrage der ungarischen Regierung geschrieben und im Rahmen eines Musikfestes uraufgeführt. Dieses Konzert brachte nicht nur Bartök internationale Anerkennung — allein in Deutschland wurde die Tanzsuite im folgenden Jahre über 5©mal gespielt—, sondern auch Kodäly, dessen „Psalmus Hungaricus“ ebenfalls hier urauf geführt wurde, wurde nun weltberühmt. Bartöks Suite besteht aus fünf Tanzsätzen, die untereinander durch ein immer wiederkehren des Ritornell (Zwischenspiel) verbunden sind, und abschließendem Finale. Durch die Ver kettung der einzelnen Tanzsätze mit Hilfe des Ritornells und durch die Zusammenfassung aller Tanzthemen im Finale wird das Werk zu einem sinfonischen Ganzen zusammenge schlossen. Schon aus der Instrumentation (neben Bläsern und Streichern ein reich be setztes Schlagwerk, Celesta, Harfe und Klavier) geht hervor, daß der Rhythmus eine her vorragende Rolle spielt. Kodälys „Marosszeker Tänze“ werden dagegen stärker durch melodisch-sangliche Ele mente bestimmt. Der Komponist schrieb sie ursprünglich für Klavier (1927) und brachte erst später (1930) die Orchesterfassung heraus. Grundlage des Werkes ist die Volksmusik Siebenbürgens, die Kodäly gemeinsam mit Bartök erforscht hat (1923 gaben sie 150 sieben- bürgische Volkslieder heraus). Auch Kodäly reiht die einzelnen Tanzsätze nicht zusammen hanglos aneinander, sondern verbindet sie rondoartig durch ein mehrmals wiederkehrendes Hauptthema. Claude Debussy „Prelude ä l’Apres-midi d’un Faune“ (Vorspiel zu „Der Nachmittag eines Faun“) In den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts entstand in Paris im Anschluß an ein Bild Monets, genannt „Impression“, der Begriff „Impressionismus“. Als „Impressionisten“ bezeichnete man eine Reihe Künstler, die im Stile Monets malten (u. a. Manet, Degas, Renoir). Ausgehend von der Malerei griff die impressionistische Kunstrichtung auch auf Literatur und Musik über. Auf literarischem Gebiet erscheint sie in den Werken der Sym bolisten Verlaine, Mallarme, Maeterlinck. Auf musikalischem Gebiet wurde Debussy ihr Haupt Vertreter. Schon frühzeitig äußert sich Debussys eigenwillige Originalität, die sich keiner Tradition beugen will: „Ich liebe zu sehr meine Freiheit und das, was mir eigen ist . . .“ Der junge Komponist ist ganz von der Suche nach Neuem durchdrungen. So ist es verständlich, daß er den Umgang mit jenen Malern und Schriftstellern sucht, die ähnliche Ziele haben. Wie diese Maler so will auch Debussy die Konturen verwischen und zerstäuben. Wie diese die feinsten Lichtabstufungen, die Atmosphäre, in der die Gegenstände schwimmen, zu erfassen suchen, so sucht Debussy die Zerteilung und Auflösung des Klanges. Auch bei ihm wird die Farbe das Wesentliche. Auch er will den Augenblick, das Flüchtige erfassen. Auch er will Stimmungen gestalten. Sein wichtigstes Ausdrucksmittel wird die Harmonik. Der Akkord wird zum Einzelwert, indem er aus den funktionalen Beziehungen herausgelöst kvird. Melodisch löst sich Debussy von der Dur-Moll-Tonleiter und verwendet Kirchenton- Rrten, exotische Skalen, Ganztonleitern. Die neuartige Instrumentation seiner Partituren trägt ebenso zur Eigenart seiner Tonsprache bei wie die freie und unregelmäßige Rhythmik. Diesen höchst individuellen musikalischen Stil, der bei aller Neuheit die Grundlagen der musikalischen französischen Tradition beibehält, schuf Debussy unter dem Einfluß der russischen Musik (Mussorgski, Borodin, Rimski-Korssakoff), der exotischen Musik, ins besondere der Volksmusik zweier Länder des Fernen Ostens (Annam und Java), der Klavier musik Chopins. Erstes Aufsehen erregte Debussy im Jahre 1893 mit der Kantate „Damoiselle elue“. Noch im gleichen Jahre bestätigte sich sein ungewöhnliches Talent in dem Streichquartett, das im Dezember uraufgeführt wurde. Genau ein Jahr später, im Dezember 1894, fand die Urauf führung des „Vorspiels zum Nachmittag eines Faun“ statt. Dieses damals sensationell wir kende Orchesterwerk, das — eine Seltenheit in der Musikgeschichte — „da capo“ gespielt werden mußte, offenbart Debussys künstlerischen Stil zum ersten Male ganz rein. Ein Gedicht von Mallarme hatte ihn zu dieser Komposition angeregt, die ursprünglich als freie dreisätzige Sinfonie (Prelude, Interlude und Paraphrase) gedacht war. Auf das Pro gramm ließ Debussy drucken: „Die Musik dieses ,Prelude' ist eine ganz freie Illustrierung des schönen Gedichtes von Stephane Mallarme. Sie strebt in keiner Weise nach einer Synthese mit ihm. Es sind vielmehr die aufeinanderfolgenden Stimmungsbilder, durch die hindurch sich die Begierden und Träume des Fauns in der Hitze dieses Nachmittages be wegen. Dann, der Verfolgung der ängstlich fliehenden Nymphen und Najaden müde, über läßt er sich dem betäubenden Schlummer, gesättigt von endlich erfüllten Träumen, von totaler Herrschaft in der allumfassenden Natur.“ Anton Bruckner Sechste Sinfonie A-Dur Bruckner gilt mit Recht als Sinfoniker. Er hat nicht nur hauptsächlich Sinfonien geschrie ben, sondern auch — und das ist weitaus wichtiger — in dieser Form sein Wesentlichstes ausgesagt. Es dauerte verhältnismäßig lange, bis Bruckner zu dieser, seiner ureigensten Form fand. Erst im Jahre 1863 schrieb der fast 40jährige Komponist, der sich in dieser Zeit noch einmal auf die Schulbank gesetzt und seine musikalischen Kenntnisse durch Tonsatz studien bei Simon Sechter und Otto Kitzler erweitert hat, sein ausdrücklich als „Schul arbeit“ bezeichnetes erstes sinfonisches Werk. Gleich im nächsten Jahr folgte eine Sinfonie in d-Moll, die sogenannte „Nullte“. Nach diesen beiden Vorarbeiten schuf Bruckner sein erstes sinfonisches Meisterwerk: die Erste Sinfonie in c-Moll. Sie entstand während der Jahre 1865/66 in Linz. Hier war der Komponist nach schweren Jahren, in denen er als Schulgehilfe, dann als Lehrer und Stiftsorganist in St. Florian (wo Bruckner als Sänger knabe seine musikalische Grundausbildung erhalten hatte) sein Brot verdienen mußte, 1856 Domorganist geworden. Die folgenden acht Sinfonien entstanden in Wien. Als Nachfolger Sechters wurde Bruckner hier 1868 Professor für Generalbaß, Kontrapunkt, Orgel und Hoforganist, seit 1875 auch Lektor für Harmonielehre und Kontrapunkt an der Universität.