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Dresdner Journal : 20.08.1887
- Erscheinungsdatum
- 1887-08-20
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id480674442-188708204
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id480674442-18870820
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-480674442-18870820
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Dresdner Journal
-
Jahr
1887
-
Monat
1887-08
- Tag 1887-08-20
-
Monat
1887-08
-
Jahr
1887
- Titel
- Dresdner Journal : 20.08.1887
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WISS. I» r»««» ! ^U»rlivii! .... 18 it»rk. ^^LkrUoi», 4 H»rk 80 kk. kiimlv« l^uimu»n»: 10 kt. Ls—rluUd äs« cksottetwv L«tok« tritt kort- avä 8t«ivp»I»ii»et>I»8 i>ü»ru. 4»k8»ät8»»r»»»d8Ilre» r «°ar 6»o lt»uw «lL«r s«ip»1t«oso 2oils Usu>«r 8v8ritt 10 ?f. votsr „LlL^»«u»ät" äw 2«il« KO kk. v« ullä Liü»rni»tt «ottpr. Xokeiü»^. Lr»el»«t»«a r I^Elioi» mit ^a«»»tun« ä«r Lons- ooä k«iort»K« ie«inspr«ok -^nsettlu«: k^r. 1888. Sonnalend, den 2V. August, abends. »887. Dres-nerZournal. Für die Gefamttettung veranttvortttchr Gtto Banck, Professor der titteratnr- und Kunstgeschichte. v», «»HssLit»» F>. 6olLiiü«ioi»»r ä« i)r«<tL0r ^ovrv»I»; 1l»»d»r, 8«rU» -Mt« - l^tprtU 8— ». -4 8«rU»-^t«-S»»d«rU. kr»U L»tp«tss -rr»okr«rt ». H. - IlLveL«»: Wo«« / Lo»4oo - 8«rU» - ». N. - >t»NU»rt: Da«8« <4 6V.,- 8«rU»: SvrUt»- «. LtckU«-» S»»»o«»r 6. Le^ü«i«r, L»U« ». 8.: /. Laret F 6s. U«r»u»8«d»r r Uvsi^l. L»p«Ut»o» äs» DrssUssr ^Ovro»!», vrsxlsi», 2Mio^«»tr. 80. ^«ru»pr»oU--tL»oUIa«: lir. 1888. Äiutlicher Teil. Dre-den, 17. August. Se. Majestät der König haben dem Pfarrer Julius August Venus in Ebers bach das Ritterkreuz 1. Klasse vom Albrechtsorden Allergnädigst zu verleihen geruht Lre-den, 16. August. Se. Majestät der König haben dem Kirchschullehrer August Heinrich Schneider i» Raschau das AlbrechtSkreuz Allergnädigst zu ver leihen geruht. Bekanntmachung. Dem Lotterie-Collecteur Heinrich Constantin Seyffart in Annaberg ist eine Agentur der Altertrentenbank übertragen worden. Dresden, den 18. August 1887. Finanz-Mini st erium. Für den Minister: Mensel. Dtzl. Nichtamtlicher Teil. Holographische WacHricHten. München, 2V. August. (Tel. d Dresdn.Journ.) Dir Minister v. Lutz und v. Crailsheim sind heute morgen nach Kisfingen abgereist. Rom, 1V. August. (W.T. B.) General Saletta zeigte der Regierung telegraphisch an, daß Savoirour, den RaS Allulah bei der Freilassung der übrigen Mitglieder der Expedition Salimbenis zurück- behalten halt?, nunmehr ebenfalls in Freiheit gesetzt und heute morgen in Massauah eingetroffen sei. London, 19. August. (W. T. B.) Oberhaus. Die irische Landbill wurde endgiltig angenommen, hierauf vertagte sich daS Haus bis nächsten Dienstag. Unterhaus. Ler erste Lord deS Schatzes, Smith, antwortet auf eine Anfrage, die Regierung sei nicht der Ansicht, daß die Freilassung Arabi Paschas mit den Interessen Englands und Ägyptens oder mit der Gerechtigkeit zu vereinbaren sei. — Der Generalsekretär für Irland, Balfour, erklärt, durch die Proklamation, betreffend die irische Rationalliga, werde der Lizekövia von Irland er mächtigt, die Liga in jedem Distrikte zu unter drücken, in welchem dieselbe zu einschüchternden Handlungen und Gewaltsamkeiten aufreize. Die Regierung sei erbötig, am nächsten Donnerstag in eine Diskussion über den von ihr gethanen Schritt einzutreten. London, 20. August. (Tel. d Dresdn Journ.) Dem Vernehmen nach wird die Opposition den Erlaß einer Adresse an die Königin, um Zurück- ziehung der Proklamation wegen Unterdrückung der Nationalliga beantragen. Dresden, 20. August. Sozialistische Parteien in Frankreich. Zahlreicher und gegenwärtig offener als in anderen Ländern blühen in unserem westlichen Nachbarlande die Vereine von Umsturzparteien. Sie betrachten seit hundert Jahren, von einigen Zwischenpausen thatsäch- lich oder scheinbar unterbrochen, die Erde Frankreichs als ihren heimischen Boden. Und in der That ist es am leichtesten und bequemsten, in einem Lande revo lutionäre Gesellschaften zu gründen, welches vor allem die gewaltsam: Bewegung liebt und über diesen Fak tor vergißt, solchen Parteien ein volkswirtschaftliches Programm abzufordern. Ein Aufsatz der „Schles. Ztg." beleuchtet einige dieser französischen Parteien und wir folgen im nachstehenden dieser Schilderung: Da ist zunächst die Partei der „Blanquisten", deren Endziel lediglich darin besteht, sich der höchsten Gewalt zu bemächtigen. Blanqui, der Prophet dieser Sekte, welcher sein Programm in die Worte Dion lli Mkütre" zusammenfaßt, erklärte sehr richtig, Frank reich befinde sich in den Händen der fünf Behörden: Kriegsministerium, Gouvernement von Paris, Mini sterium des Innern, Polizeipräfektur und Seineprä- fektur (Stadthaus); es sei also zu jenem Zwecke nur notwendig, diese Behörden zu überrumpeln, zu stürzen und sich ihrer Gewalt zu bemächtigen. Die Partei der Blanquisten zählt nur einige Hundert Anhänger, aber es sind dies sämtlich entschlossene Gesellen; jeder von ihnen weiß genau, wo und wie er eingreifen soll, sobald im geeigneten Augenblick das Zeichen zum Um sturz der bestehenden Ordnung gegeben wird. Natür lich sind ihnen alle Mittel recht; es gilt eben, daS Ziel um jeden Preis und in kürzester Zeit zu er reichen. Den Blanquisten zunächst stehen und mit ihnen vermischt sind die viel zahlreicheren „Anarchisten", als deren Haupt jetzt Louise Michel, eine Epigonin BlanquiS, oasteht. Bei diesen ist kaum von einem anderen Programm, als dem der Zerstörung alles Be stehenden die Rede. Blanquisten und Anarchisten gaben in der Zeit der Kommune die Führer ab; wie immer und überall bei revolutionären Parteien war es indessen nur den wenigsten dieser Führer um die Sache selbst zu thun; fast alle verfolgten persönliche Zwecke. Seine Haut hat keiner der Führer freiwilllg zu Markte getragen. Die wenigen, welche gefallen sind, wie Delescluze, Milliere rc., waren durch die von ihnen verführten Mafien gezwungen worden, mitzugehen und im Kampfe auszuharren. Daher erklärt es sich auch, daß, ob wohl eine größere Anzahl von Kommunard- kriegsrechtlich erschossen worden ist, gerade die meisten der Führer am Leben geblieben sind. Auch bei der Kommune, welche im Kriege entstand und unterging, darf man ebenso wenig nach den Grundsätzen fragen, auf welchen sie ihre Staatsordnung aufbauen wollte. Die Kom- munards wollten leben, ohne sich abzuarbeiten. Die Führer schwelgten üppig in allen Genüssen, nach wel chen sie sich früher vergeblich gesehnt; viele wußten bei Zeiten ihr Schäfchen ins Trockene zu bringen. Die vorgefundenen öffentlichen Einrichtungen wurden, so gut es ging, beibehalten und der Kommune dienstbar gemacht. Daß die Kommunard- das allen Anarchisten so gründlich verhaßte Privateigentum nicht weit mehr, als es geschehen, brandschatzten, ist wohl dem geringen Vertrauen der Führer in den Bestand der eigenen Sache zuzuschreiben. Nur die Bank von Frankreich hatte harte Anfechtungen zu bestehen welche mit knapper Not durch die zu einem Bataillon vereinigten, zum guten Teil aus früheren Soldaten bestehenden Beamten ab gewehrt wurden. Ein einigermaßen klares Programm besitzen die gegenwärtig im Parlament vertretenen „Intran sigenten", welche wiederum in verschiedene Unter abteilungen zerfallen. Aber zu diesem selben Programm bekennen sich die Anarchisten ebenso gut wie die Radi kalen, bekennt sich Louise Michel gerade so wie Cle menceau und Lockroy, je nachdem einzelne Punkte des selben gemildert oder weggelassen werden. Da- Pro gramm umfaßt: Trennung von Kirche und Staat und Wegnahme alles kirchlichen Eigentum-; progressive Einkommensteuer — um die Wohlhabenden auf ge setzlichem Wege auszuplündern; Wahl der Richter, unentgeltliche Rechtspflege; Änderung der Gesetze über Veräußerung von Staatseigentum (die Fort- Feuilleton. Lelia Rubien. Bon H. Keller-Jordan. (Fortsetzung.) Er sprang in die Höhe und fuhr mit der schlanken Hand über seine heiße Stirne, dann griff er mecha- msch nach den Hamburger Monatsheften, die vor ihm auf dem Tische lagen und die er wohl nur, um von Lelia etwa» zu finden, immer gehalten hatte. Er warf sich auf daS Sofa und die Augen, die anfäng lich gleichgiltig über die Zeilen geflogen, nahmen nach und nach einen immer svannenderen Ausdrnck an. Er la« die engen Zeilen vis zu Ende, betrachtete das Blatt von allen Seiten, als sei eS etwas ganz Anderes al- sonst, und begann noch einmal: „Auch ein Wort über die Spiegelung des Lebens in d<w Menschenseele". War denn da- nicht der In halt seine- eigenen Aufsatzes gewesen, den man vor Monaten in diesen Blättern abgedruckt? Wenn eS eine Antwort war, warum dann erst jetzt? Aber der Stil und der Inhalt? O, es wehte ihn an wie eine linde LenzeSluft, weit, weit hergetragen aus vergangenen Stunden, die er nie vergessen. Wieder und immer wieder vergruben sich seine Augen in da« Papier, immer höher und höher schwoll seine Brust, bis er endlich, als sei ihm der Raum zu eng für da- übermächtige Fluten, seinen Hut aus dem Nebenzimmer holte und hinausstürmte in die freie, weite Welt! Gregor hatte die Nacht schlaflos verbracht. Tau send wirre Bilder kreuzten sich in seinem Hirn und gaben ihm keine Ruhe. So beinahe männlich durch dacht und reif auch der Aufsatz in den Monatsheften sein mochte, so war er doch überzeugt, daß keine an dere Menschenseele auf der weiten Welt so in seine eigenen Gedanken einzudringen vermocht, keine andere mit so sympathischem Fühlen ihn ergänzte, al» Lelia. Wo weilte sie und was durfte sie ihm in Zukunft sein? Heute noch wollte er an vr. Lassen schreiben und sich Gewißheit verschaffen über ihr Geschick. Ver gessen hatte ihn Lelia Rubien nicht, das sagte ihm jeder ungestüme Schlag seines Herzens. Ein Teil ihres Sein« gehörte ihm, das wußte er jetzt gewiß, auch dann, wenn sie ihr Herz und ihre Hand Baron Velten gab AIS er sich angekleidet hatte und in daS Zimmer trat, lag neben dem Frühstück ein Brief von seiner Mutter aus Florenz. Er riß, als ob er ihm Antwort auf alle Fragen seines Herzens geben könnte, da- Couvert auseinander und las erst flüchtig, aber dann mit immer gesteiger tem Interesse die letzten Zeilen des Briefes: „Ich traf hier, Du wirst staunen, alte Hamburger Bekannte, nämlich Baron Velten und Fräulein Carla Andersen, seine Braut. Wie erstaunt ich war, nach den Nachrichten, die Du mir mitgeteilt, sie anstatt Frau Rubien al- solche zu sehen, wirft Du Dir vor stellen können und in meiner Freude gab ich ihm da» Versprechen, daß wir Zeuge seiner Vermählung sein wollten, die sie, da beide katholisch und eine besondere Vorliebe für Neapel haben, da sie sich dort verlobt, auch da vollzogen wissen wollen. Ich treffe demgemäß aeschrittneren unter den Sozialisten sagen statt dessen: Rücknahme alles vergebenen Staatseigentum-, also der Bergwerke, Eisenbahnen u. s. w) Die Einen wollen wesentliche Abkürzung der Dienstzeit und gleiche Wehrpflicht für alle, andere wieder verlangen gänzliche Abschaffung de- stehenden Heere-. Einige wollen Änderung, andere Abschaffung de- Erbrechts, wenig stens desjenigen der Seitenverwandten. Seitdem der unentgeltliche, religionslose Unterricht mit Schulzwang eingeführt ist, reitet Clemenceau da- Steckenpferd des „vollständigen Unterrichts" (in»truction inte^rals) — ein Ausdruck, von welchem eine Erklärung bisher weder gegeben noch versucht worden ist. Als Clemen ceau zum ersten Male diesen glücklich erbrüteten Aus druck ins Volk geworfen hatte, eilte der Mitarbeiter eine- großen Provinzialblattes auf die Redaktton der „Justice", um über denselben nähere- zu erfahren. In Abwesenheit Clemenceau- erklärten dessen Mitarbeiter, sie wüßten selbst nicht genau, was damit gemeint sei, wohl aber, daß die Sache zwei bis drei Milliarden kosten werde. Auch in den radikalen Blättern wird dieser Terminus fleißig breitgetreten, ohne daß man sich über die Bedeutung der Wortes klar ist. Selbst die namhaftesten Führer der Sozialisten sind sich in keiner Weise klar über da-, was sie wollen, welches die von ihnen zu errichtende Ordnung und die zu erstrebenden Reformen sind. Jene Phra sen, welche das Programm enthalten sollen, sind ledig lich ein Köder für die Wähler. Hatte sich doch so gar Gambetta in seinem „Programm" zur liquickLlivn »oeiale verpflichtet, worunter die Verteilung alles Be sitzes zu verstehen ist. Als er aber die bestimmende Person im Staate geworden und er für das „Volk" etwas thun sollte, wußte er keinen anderen Vorschlag zu machen, als die von ihm — ohne jegliche Gewähr — aus 1200 Millionen veranschlagten Güter der kirchlichen Kongregationen zur Versorgung der Arbei ter anzubieten. Ähnlich Haven eS bisher alle jene ge macht, welche auf Grund sozialistischer Versprechungen gewählt worden. Trotz dessen bleibt das Geschäft im Flor. Die Franzosen haben mehr als ein anderes europäische- Volk tagtäglich das Beispiel von Leuten vor Augen, welche durch die Politik, ohne besondere- persönliches Verdienst, aus Nichts zu Großen des Lande- geworden. Die- und die tief eingewurzelte und gepflegte Gleichheitisucht bewirken, daß die tollsten Lehreu immer noch Anhänger, die unmöglichsten Ver sprechungen Gläubige finden. Ein jeder ist überzeugt, daß er, ebensogut wie andere, durch solche Lehren und Versprechungen sein persönliches Ziel erreichen werde, zumal sich bei den Franzosen der Begriff der Gleich heit wesentlich mit dem gleichen Rechte auf Ver sorgung durch den Staat deckt. Wenn bei dem, was man heute unter „Kommune" versteht, von einem gemeinsamen Gedanken und Pro gramme die Rede sein kann, so ist eS das der Güter verteilung (liguickLtion goeiale.) Deshalb sind auch die Phrasen „soziale Revolution", „soziale Republik" in den letzten Jahren zu Stich- und Schlagwörtern der treibenden Kräfte geworden. Unter dieser Fahne kämpfen die Sozialisten der Kammer ebensogut wie Clemenceau und Rochefort, welche sich als Kämpen und Rächer der Kommune von 1871 geberden. Im Grunde aber wollen Rochefort und seine Anhänger die Güterteilung ebensowenig, wie die Männer des linken Zentrums oder die Opportunisten Wenn sie jener Lehre nicht entgegentreten, sondern mehr oder weniger für dieselbe wirken, so geschieht dies lediglich deswegen, weil sie mit dem äußersten Flügel der Re volutionäre, den Blanquisten, Anarchisten, Possibilisten nicht zu brechen vermögen, ohne die eigene Stellung preiszugeben, ohne sich der hier so leicht hereinbrechen den Anklage des Verrates auszusetzen. Sie bedürfen ja auch der Extremen, um gegen die Gemäßigteren vor ¬ bald nach dem Brief in Neapel ein und hoffe Dich bereit zu finden zu dem feierlichen Akte." Gregor war in einer unbeschreiblichen Stimmung. Er hätte aufjubeln mögen vor Entzücken, daß es so war und doch zürnte er seiner Mutter, die ihm keine Auskunft über die Frau gab, der, wie auch sie wußte, sein ganze- Denken gehörte. Und was sollte er jetzt noch hier in Neapel? Zeuge eines Paares sein, für welches er nur ein oberflächliches Interesse hatte , während es ihn doch fortzog zum Norden, wo er sie suchen wollte überall, bis er sie gefunden. Mit der Arbeit war es vorüber, kein Gedanke wollte mehr Wurzel fassen, alles jagte in seinem Kopfe wild durcheinander, bis die Schläfe ihn schmerz, ten und er sich bis aufs Äußerste abgespannt, auf den Diwan warf. Er mochte wobl lange geschlafen haben, denn als er die Augen ausschlug und seine Blicke durch die ge öffneten Thüren auf das Meer warf, erglänzte es im Purpur der untergehenden Sonne und still und weich kosten die Wellen in sehnsüchtigem Geflüster. Seine Mutter war geräuschlos in daS Zimmer getreten; er hatte es offenbar vergessen, daß sie sechs Tage lang abwesend gewesen, denn es lag keine Über raschung über ihre unerwartete Rückkehr in seinem Gesichte, als er ihr zum Gruße die Hand gab. „Du hast mich wohl heute noch nicht erwartet, Gregor", sagte sie sanft, indem sie sich neben ihn setzte und mit der Hand zärtlich durch sein verwirrte» Haar fuhr. Gregor riß die Augen groß auf — eine dunkle Glut ergoß sich über sein Gesicht, er mußte nach all zugehen und ihrem Ziele näher zu kommen. Letztere» liegt, wie gesagt, hauptsächlich auf politischem Gebiete, in dem Besitze der Gewalt. Hierzu aber sind die ent schlossenen Revolutionäre die besten, wo nicht unent behrlichen Bundesgenossen. Von sozialpolitischen Maßnahmen ist in Frank reich kaum etwas zu verspüren. Da- einzige, wa- bisher geschehen, ist die Wiederherstellung des seit 1793, dem „glorreichen Jahre der Freiheit", abgeschaff ten GenofienschaftSrechteS. Benutzt wird dasselbe zur Zeit meist nur zum sozialen Kriege, zur Herbeiführung von Arbeitseinstellungen, welche dann wieder zu poli tischen, zunächst zu Wahlzwecken ausgenützt wer den. Trotzdem — oder gerade weil — fett 1872 so viele Weltverbesserer an der Regierung sind, bewegt sich die soziale Politik durchaus in den ausgetretenen Pfaden der Napoleonischen Versuche. Sw besteht einfach darin, den Arbeitern durch öffent liche, wenn auch unzweckmäßige Arbeiten lohnenden Verdienst zu verschaffen und die Wahlstützen auf Staatskosten zu versorgen. Daß dadurch der Staats haushalt zu Grunde gerichtet wird, kümmert die Mächtigen des Tages nur wenig. Ein Umschwung kann unter solchen Verhältnissen sehr leicht eintreten. Die sozialistische Gefahr besteht in Frankreich nicht in der Zahl der Sozialisten selbst, welche in Paris 30 000 bis 40000 Köpfe nicht übersteigt, sondern in dem Umstande, daß so ziemlich alle Arbeiter, jeden falls alle Pariser Arbeiter, sich in einem sozialistischen Fahrwasser befinden Arbeiter dieser Gesinnung ssnd jedenfalls ein willige- Werkzeug der Sozialisten, sie lassen sich zu allem gebrauchen, wenn einmal Notstand herrscht und auf die Regierung, al- den Urheber der selben, gezeigt wird. Lagesgeschichte. Dresden, 20. August. Der kommandierende Ge- neral Prinz Georg, König!. Hoheit, begab sich gestern abend !48 Uhr mittelst Bahn in Begleitung des Chefs des Generalstabes, Oberst v. d. Planitz und des Majors im Generalstabe, v. Broizem, nach Leipzig und nahm im „Hotel Hauffe" Quartier. Höchstder- felbe wohnte heute vormittag von 7 Uhr an auf dem Exerzierplätze bei Connewitz den RegimentSbefich« tigungen bei, welche der Divisionskommandeur General lieutenant v. Tschirschky und Bögendorff Excellenz über daS 8. Infanterieregiment „Prinz Johann Georg" Nr. 107 beziehentlich über das 7. Infanterieregiment „Prinz Georg" Nr. 106 im Beisein de- Brigade» kommandeurS, Generalmajor v. Reyher, abhielt. Se. Könial. Hoheit kehrte mit dem Zuge 11 Uhr 25 Min. von Leipzig nach Dresden zurück. * Berlin, 19. August. Das Befinden Sr. Maje stät des Kaisers hat sich seit gestern schon wesentlich gebessert. Der hohe Herr nahm heute auf Schloß Babelsberg einige Vorträge entgegen und erledigte Regierungsangelegenheiten. Nachmittags fand bei den Majestäten ein größeres Diner statt. Wie Ihre Majestät die Kaiserin am gestrigen Morgen bei der Fahnenweihe Se. Majestät den Kaiser vertrat, so auch am Nachmittage bei dem Festmahl, welches zu Ehren des Geburtsfestes Sr. Majestät des Kaisers Franz Josef von Österreich-Ungarn stattfand. Vor der Tafel empfing die Kaiserin im runden blauen Saale den Botschafter Osterreich-Ungarns, den Grafen Szechenyi. Auch bei dem Eintritt in den großen Speisesaal hatte die Kaiserin dem Botschafter den Arm gereicht. Bei der Tafel saß Graf Szechenyi an der linken Seite der Kaiserin, zu Ihrer Rechten Se. König!. Hoheit Prinz Wilhelm in der Oberstuniform seines österreichischen 7. Husarenregiments. Bon Prinzen des Königl. Hauses waren gegenwärtig Ihre König!. Hoheiten Prinz Friedrich Äopold, Prinz Alexander, Se. Hoheit der Erbprinz von Sachsen den goldenen Träumen erst wieder lernen, sich in die Wirklichkeit zu finden. ,Lch bin mit Baron Velten, Carla und ihrer Be gleiterin gekommen, Gregor, morgen ftüh wird die Trauung vor sich gehen", fuhr sie mit einem merk lichen Beben in der Stimme fort, „Du bist doch nicht böse, daß ich so über Dich verfügte"? „Morgen früh"? fragte Gregor erleichtert durch das Bewußtsein, daß die Sache sobald erledigt sein würde und ihn dann nichts mehr abhalten könne, zu reisen. „O nein, ich bin nicht böse, Mama, gewiß nicht, nur fordere ich dann von Dir einen Gegendienst". „Du von mir"? „Ja, ich möchte sobald wie möglich reisen — und —" „Reisen? Du wolltest Italien verlassen"? „Ich muß, ich kann nicht anders". „DaS laß uns morgen besprechen, Lieber, für heute bin ich zu müde, und mag auch nicht au den Abschied von Neapel denken". Frau v Labinoff hatte nach den letzten Worten daS Zimmer verlassen, und als sie beim Abendbrot wieder zusammen kamen, blieb das Thema unberührt. Der Name LeliaS schwebte aus Gregor- Lippen, aber da seine Mutter so hartnäckig schwieg, vermutete er, daß sie nichts Näheres von ihr gehört habe. Als sie ihm gute Nacht wünschte, erinnerte sie ihn daran, etwas früher aufzustehen, da der Wagen um 10 Uhr am Hause halten würde und er dann erst noch seine Dame, die im „Hotel de l'Empereur" wohnte, abholen müsse. „Weiß die Dame, daß ich komme?"
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