Volltext Seite (XML)
ZUR EIN F Ü H R U N G Johannes Brahms hat lange gesucht, um für sein op. 81, eine Ouvertüre, einen ihr gemäßen Namen zu finden. Als er sich entschied, jener ernsten, melan cholischen, und etwas starren Musik, die er im Som mer 1880 uiedergeschrieben hatte, den Titel „Tra gische Ouvertüre" zu verleihen, war er sich bewußt, damit noch nicht den eigentlichen Titel gefunden zu haben. Er schwankte noch lange, um es dann doch in Ermangelung eines treffenderen Namens dabei zu belassen. Interessant ist seine Meinung über dieses Werk, die ef dem Verleger Simrock mitteilte, als er ihm die Vollendung von zwei Ouvertüren unter breitete: „Bei der Gelegenheit konnte ich meinem melancholischen Gemüt die Genugtuung, nicht ver sagen —- auch eine Trauerspiel-Ouvertüre zu schreiben!“ Das Werk zeigt Brahms auf der Höhe seiner hand werklichen Meisterschaft, es bringt eine Fülle von Themen und überrascht das Auge durch kunstvolle motivische Kleinarbeit. Trotzdem aber ist seine Wir kung niemals zündend und besonders stark gewesen, was wohl auf das Fehlen ausgesprochener Gegen sätze zurückzuführen ist. Brahms faßt das Tragische als etwas Unerbittliches auf, das nirgends den klein sten versöhnlichen Zug aufweist. Und so läuft auch die Musik ab, starr, unerbittlich, ohne Gnade. Dieser starre Ernst ist aber ein wesentliches Merkmal der Persönlichkeit Brahms’, so daß es wohl berechtigt ist, dieses Werk als ein solches anzusehen, das über den Menschen Brahms mit am genauesten Auskunft geben kann. Brahms war keine zwiespältige Natur, die zwischen Gegensätzen hin und her pendelte, sondern ein ausschließlich ernster und wie er selbst sagte, melancholischer Mensch. Und das kommt in dieser Ouvertüre zum reinsten Ausdruck. Das zweite Konzert in B-dur für Klavier und Or chester, op. 83, schrieb Brahms in den Jahren von 1878 bis 1881. Genauer wäre die Bezeichnung „Symphonie mit obligatem Klavier“. Dieses Werk ist allerdings klarer Ausdruck der erreichten Reife sowohl im Handwerklichen als auch im Geistigen. Der Klavierpart spiegelt die etwas spröde Art seines Spiels wider, die sich in Vollgriffigkeit, in oftmals ryhthmischer Widerborstigkeit und in einer gewissen Großräumigkeit äußert. Das Hommotiv zu Beginn des ersten Satzes hat auf die Gestaltung dieses Satzes einen starken Einfluß. Es ist immer wieder herauszuhören. Das erste Thema ist für die Struktur von größter Bedeutung, während sich das zweite Thema nicht durchzusetzen vermag. Dieser Satz rollt in einer durchaus männlichen Sphäre ab und gibt ebenfalls ein getreues Abbild der Seele des Komponisten. Der zweite Satz ist wesentlich sparsamer und kam mermusikalischer instrumentiert. Er vertritt die Stelle des Scherzos. Auch hier ist das Anfangsmotiv dieses Satzes für den weiteren Verlauf von größter Bedeutung. Überall taucht es auf, in allen Instru mentengruppen geistert es herum. Mit einem wirk lich schönen, echt romantischen Gesang des Solo cellos beginnt das Andante. Diese Melodie bleibt im Ohre haften, weil sie Träger allmenschlicher Sehn sucht ist. Die weiche, schwärmerische Note durch dringt diesen ganzen Satz, der zu den schönsten Ein gebungen Brahms’ gehört. Das Finale, ein Rondo, vön graziöser, völlig un problematischer Haltung, gibt dem gesamten Werke einen vergnüglichen Abschluß. Die punktierten Melodienoten des Rondothemas vermitteln so etwas wie eine ungarische Farbgebung, die Brahms als romantisches Gegenstück zu seiner sonstigen Strenge und oft verbissenen Ernsthaftigkeit besonders liebte. Hier deutet er dieses Kolorit nur an. Das Finale macht einen gesunden und männlich-fröhlichen Ein druck und verhilft dem ganzen Werk immer zu einer starken und überzeugenden Wirkung. Die Symphonie Nr. 3 in F-dur, op. 90, schrieb Brahms 1883 in Wiesbaden und bei Aufenthalten im Taunus. Man will deshalb aus ihr Waldgeheimnisse und die Schatten tiefer Tänniclite heraushören. Aber . bei der Neigung des Komponisten zur absoluten Musik sind solche Deutungsversuche wohl zu ein seitig und zu oberflächlich. Sie jedoch als Zeugnis der erreichten Reife anzusehen, ist richtig. Manche Betrachter reichen diesem Werke aus dem Gesamt schaffen Brahms’ die Krone; vielleicht tun sie recht daran. Brahms ist als Mensch auf dieser Entwick lungsstufe seines Lebens mit sich im reinen, das spürt man deutlich aus diesem Werke. Es stellt sich deshalb in formaler Klarheit und Übersichtlichkeit vor, obgleich es eine vom üblichen Aufbau ab weichende .Eigentümlichkeit zeigt. Die eigentliche dramatische Entladung,, der wirkliche Höhepunkt des Werkes liegt im Finalsatz. Die drei vorher gehenden Sätze bereiten diesen sturmgepeitschten Augenblick vor, sie sammeln die Kräfte, sie bauen die innere Dynamik auf, die dann im Schlußsatz daherstürmt und sich wild verschwendet. Man könnte sagen, daß der letzte Satz die eigentliche Durchführung der gesamten Symphonie darstelle. Tatsächlich spielt in den ersten drei Sätzen die Durchführung nicht die übliche Rolle. Der erste Satz beginnt gleichsam mit einem Motto. Die drei Töne F - as - f in der Oktave sind für den inneren Aufbau äußerst wichtig. Selten ein Takt, in dem dieses Motiv nicht erschiene. Brahms stellt die beiden Themen auf, ein männlich-kraftvolles und sich immer wieder behauptendes. Das zweite Thema, von der Klarinette geblasen, mutet wie ein verhalte nes Volkslied an. Über dem zweiten Satz, dem An dante, liegt ein dunkles Licht, das ihn in einer gleichsam mystischen, eigentümlich ergreifenden Färbung erscheinen läßt. Zwei Themen prägen diesen Satz, Wobei die eigentliche Durchführung des zweiten Themas erst im Finale eintritt. Mit einem weitgesponnenen Melodiebogen der aus drucksvoll singenden Violoncelli beginnt der dritte Satz (poco allegretto), der in der dreiteiligen Lied form aufgebaut ist und durch seine etwas still melancholische Art als Kontrast zum Schlußallegro gedacht ist. In diesem dominiert zu Beginn eine etwas unheimliche Unruhe, eine Stimmung von etwas bedrückter Art. Auch hier sind zwei Themen da, von denen das zweite dem langsamen Satz ent stammt. Die nun einsetzende Durchführung steigert sich zu einem wild ausbrechenden Höhe- und Gipfel punkt. Nach ihm ebbt das musikalische Geschehen allmählich ab, der Satz verklingt leise, nochmals das Zitat des Beginns der Symphonie ertönen lassend, womit der Kreis dieses Werkes geschlossen ist. Es sagt über den abgeklärten Brahms am meisten aus, es ist das Werk der höchsten Reife dieses Mei sters, es ist auch im Gesamtbilde der Musik ein ent scheidendes, ein großes, ein vollkommenes Werk. Johannes Paul Thilman Mittwoch, den 3. Mai 1950, 19 Uhr, Brahms-Zyklus, 7. Abend »Höhepunkt im Schaffen Dirigent: Prof. Heinz Bongartz Solisten: Bernhard Hamann, Hamburg, Violine; Anton Spieler, Violoncello