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Nnterhaktungsbkaü^L Beilage zum erzgebirgischen Volksfreunde i4. Der Gelehrte. (Fortsetzung.) Aus diesen Gefühlen, die mich jetzt peinigen, sagte sie in einer Nacht zu sich selbst, erwächst wohl nach und nach jene Bitterkeit, jenes gehässige Wesen, der schneidende, ab schreckende Ton, die Unfreundlichkeit gegen Jedermann, den man so oft den älteren Unvermählten meines Geschlechtes vorwtrst. Sich verkannt, zurück gesetzt zu sehen, und im merdar, und zwar von solchen, die nicht höher stehen, als wir, macht freilich scharfe Laune: das Auge mustert und er kennt die Schwäche jener und aller Menschen dann, so viel genauer, und bei zu naher Prüfung geht das Gute des Men schen wohl mit in ihre Fehler auf, denn wenn der Blick zu nahe am Gegenstände ruht, sieht man ohne Perspektive eben gar nichts. Und wehe dem Herzen, das sich an Haß und Verachtung sättigen und genügen will! die traurige Speise wird bald den Ekel gegen uns selbst erregen. Dann will der arme Gefangene wohl in Verschmähung und Hochmuth seinen Triumph feiern — Erst ein Verachteter, Nun ein Verächter, Zehrt er auf seinen eigenen Werth In ungenügender Selbstsucht. O wie wahr! Mer so soll es mit mir nicht werden! Wenn die Menschen mich auch verstoßen, will ich sie den noch lieben. Und krank muß ich nun einmal gar nicht wer den, denn cs ahndet mir, daß Antoinette und der Professor meine Hülfe noch ost brauchen werde». Ja, das soll meine thätige Liebe für ihn sein, daß ich ihm tröstend und rathend zur Seite stehe, daß ich alle Sorgen, so viel ich kann, von ihm entferne. Und braucht er denn auch zu wissen, was ich für ihn empfinde? das gegenseitige Vertrauen edler Men schen ist ja auch etwas Schönes. So getröstet und völlig beruhigt, wie sie meinte, schlief sie gesund und fröhlich ein, und stand frischer und mit neuer Kraft am Morgen des Tages aus, an welchem die Verlo bung der Schwester mit dem Gelehrten vor sich gehen sollte. Dieser war in der größten Unruhe und Angst, weil er sich den Moment, in welchem er in der ihm so unbekannten Familie als Freier stände und spräche, noch gar nicht als wirklich vorstellen konnte. Der Doctor hatte zwar schon Al les in Richtigkeit gebracht, indessen war doch sein persön liches Htnzutreten, sein ausgesprochenes Wort immer noch das Wichtigste und Nothwendigste. Er ließ den Goldschmied zu sich kommen, um die Trauringe und einen schönen Schmuck für die Braut zu kaufen. Nun bist Du endlich, sagte dcr Arzt zu ihm, indem er ihn umarmte, mit allen Vorbereitun gen fertig, ich gehe jetzt, wie wir eS -verabredet haben, nach Hause und erscheine erst zum Mittagessen unten in der Fa milie wieder, damit meine Gegenwart Dich nicht noch außer den Uebrtgen ängstigt. Unten ist die Einrichtung seit Jah ren, daß nach der Reihe eine der Mädchen wöchentlich die Küche besorgt, in dieser Woche ist die älteste, Deine.Antoi nette, die Köchin, Du kannst also bet Tische sogleich Deine Bemerkung machen, inwiefern Du mit der Spetsemanier Dei ner künftigen Ernährerin zufrieden bist. Nur muthtg und nicht da- verständige Haupt so gesenkt! — Er verließ ihn und der Professor blieb nachdenkend zurück. Unten war Alle- geputzt, das Zimmer geschmückt, Blu men- in den Fenstern und aus den Tischen, Vater, Mutter und Töchter in Unruhe und Bewegung. Nur Helena war still und in sich gekehrt, so sehr sie sich auch zu ermuntern strebte. Da Antoinette sich heute, wie billig, sagte die Mut ter, so geputzt und ihre besten Sachen angezogen hat, Du aber, Lenchen, noch Dein alltägliches Kleid trägst, so ist r» wohl besser und natürlicher, Du besorgst heute die Küche. Beim Nachtische kannst Du ja etwas umgekleidet zur Gesell schaft kommen. Ohne ein Wort zu erwiedern, entfernte fich Helena, froh darüber, daß fie wenigstens in dem Augenblicke der An werbung und des ersten Eintrittes des verehrten Mannes nicht zugegen zu sein brauchte Indessen man nun mit Herz klopfen diesen großen Moment erwartete, stieg der Professor behutsam und leise, mit beklemmtem Athem und zitternd die große Treppe herunter, indem er fich, wie erschöpft, auf da- Geländer stützte. So bewegt war selbst Helena nicht gewe sen, als sie neulich dieselben Stiegen hinauf schritt, denn er fühlte es zu lebhaft und beängstigt, daß dieses die wichtigste Stunde seines Lebens sei. Als er vor der Thür des Zim mers stand und eben anklopfen wollte, zog er den Finger zurück, denn er fühlte fich einer Ohnmacht nahe; er hatte das Gefühl, als wenn jemand hinter ihm stehe, der seine Hand mit Heftigkeit zurück ziehe. Er mußte noch vorher frische Luft schöpfen, und sich von dem Schlage erholen, d«r ihm durch alle Glieder gefahren war. Er ging daher lUe in den großen Hof, schaute in den reinen blauen Himmel " hinaus, und lehnte sich, um fich zu sammeln, eine Minute an den alten Nußbaum. Der Duft der Blätter stärkte thn> er lächelte über fich und seine Feigheit und kehrte ermuthigt in das Haus zurück. Vor der Küchenthür empfand er den Dust der zuberetteten Speisen, er hörte drinnen den Bra tenwender und das Geräusch der Kasserollen. Ihm fiel ein, daß seine unbekannte Braut heute die Küche regiere, und wie von einer Eingebung begeistert, sand er fich so muthtg, die Thür dreist zu öffnen, um fie in ihrem Gebiete, ohne Eltern und störende Umgebung, zu sehen und zu sprechen. Helena erfchrack, sprang vom Fenster zurück, und rothglühend ging fie eilig aus ihn zu. Der Professor faßte fie ins Auge und lächelte wohlgefällig, denn im einfachen Hausklcide, mit der Kstchenschürze und dem reinlichen freundlichen Wesen erschien fie ihm sehr liebenswürdig. Sie sind doch die Tochter vom H^use? sragte er bewegt, indem er ihr die Hand reichte. Jg wohl, sagte Helena und verbeugte sich anmuthtg. So - empfangen Sie denn hier, Theure, diesen Ring, der uns auf zeitlich und ewig verbinden soll. Ohne Antwort zu erwar ten, fühlte Helena, wie der Ring schon ihrem Finger ange heftet war; fie konnte keine Worte finden, sondern einThrä- nenstrom brach aus ihrem gerührten Herzen, fie mußte fich an den Geliebten fest halten, um nicht vor ihm auf die Knie zu finken, abu uiedergebeugt küßte sie seine Hand, auf welche eine ihrer heissen-Thränen fiel. Nicht also! nicht also! sagte der Professors iyacht Sie mein Ring unglücklich? — Höchst glücklich, seltgl stammelte Helena, und konnte immer noch keine Worte finden. Dann, erwiederte der Geliebte, nicht die Hand, sonder- auf die Lippen den Bräutigamskuß. Er umschloß fie und drückte seinen Mund herzlich auf den ihri gen. Magd und Bediente traten ein, » achtete aber nicht a-f ihre verwunderten Gesichter, sondern -in- fröhlich über