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SettM W Welßeritz Irtlmz. M. 203 Sonnabend den 31. August 1918 abends 84. Jahrgang Die Frau iw Kriege. HD Ihre körperlichen und seelische« Leistung«». Gon Dr. Elsbeth Schwenke ' Wir treten hinein in den gewaltigen Arbeitsraum i ner Granatenfabrik, und wir sind fast betäubt on dem Drehen der Räder, vom Sausen der Treib- , emen, vom Aufprallen der Kolben. Erst allmählich j ckennen wir die einzelnen Maschinen und vor jeder > iaschine die Arbeiterin, wie sie in Männerkleidung, ; ie Haare vom erschließenden Kopftuch geschützt, den ebel der Drehbank handhabt. Oder wir sehen die Hei- rrin am offene,! Feuer unermüdlich von morgens , iS abends die Kohlen in die großen Oesen hinein- , Hippen, damit die Niesenkessel der Fabrik den unge- mren Druck des Wasserdampfes entwickeln. Wir stau- j en über die Frauen an der heißen Stahlschiene, di« , nbeirrt vom Funkenregen mutig und geschickt den , lühenden Eisenblock mit der Zange packen und sie auf ! nn rechten Weg weiterbefördern. Ein anderes Bild, Im Hellen, weit sich dehnen- i m Raum der Munitionsfabrik sitzen an langen § ischen Hunderte junger Mädchen von fünfzehn bis achtz- i hn Jahren. Sie prüfen mit schnellem Handgriff § e kleinen Jnfanteriegeschosse ob sie nicht ein Gramm i leicht oder zu schwer einige Millimeter zu lang oder ! i dünn sind. Tausende von Geschossen laufen tä^- i ch durch ihre Hände, und nicht einen Augenblick ! lirfen die Gedanken der jungen Mädel von ihrer echanischen Arbeit zu lieben Dingen abschiveifen. j enn von ihrer sorgsamen Aufmerksamkeit hängt es , b, ob die Munition vorn im Schützengraben richtig , inttioniert. ; Mit Geschicklichkeit und Geistesgegenwart lenkt die ! traßenbahnfahrerin ihren Wagen, dabei — ie alle diese Frauen in der neuen Kriegsarbeit — elleicht bedrückt von dem Gefühl der großen Verant- ortung, weil die allzu schnelle Erlernung ganz neuer andgriffe und Kenntnisse ihr doch nicht die Sicher- :it eines langjährigen Fahrers geben kann. , Die Frau am Pfluge, die Frau als Lenkerin nes hochbeladenen Erntewagens, die Frau als Gepäck- ! ägerin und als, Helferin in der Umzugszeit, die rau in verantwortungsvoller amtlicher Stellung oder ' S Vertreterin ihres Mannes im Geschäft — alle Ver chen sie die fehlende Männerkraft und Geschicklich- > it zu ersetzen, weit über das hinaus, was man van üblicher Fähigkeit erwarten konnte, ist die Frau > im Träger unseres Wirtschaftslebens geworden. j * Bei allem aber bleibt sie in erster Linie Frau, i nd alles, was sie mit Anspannung aller Kräfte zur usfttllung der Lücken unseres Wirtschaftslebens tut. scheint fast nebensächlich neben dem, was der Krieg m ihr seelisch verlangt, und gerade in ihrer igcnschaft als Frau von ihr fordert. Die Arbeiterin i der Geschoßdrehcrei oder im Hüttenwerk hat in den , ähen Morgen- und späten Abendstunden noch Haus- üt und Kinder zu versorgen, und der Ge- mke an die Kinder läßt sie nicht los während ihrer s mgen Arbeitszeit. Aehnlick wie der Mann ins Feld, t die Frau zur Kriegsarbeit gegangen; aber ganz ' iders als er löst sie sich niemals los aus ihrem alten flichtenkreis, sondern sie bleibt mit tausend Fäden i wein gebunden. , Der , Mann gleitet von ihr fort in ein neues > eben, nud sie selbst trägt neben dem täglichen Seh- en und Vermissen, neben dem langen Warten auf achricht aus dem Felde nun allein eine Last der erantwvrtung, die ihr ganz neu ist. Sie hat ntscheidungen zu treffen, bet denen der Mann nicht I lfen kann, weil das heimische Leben ihm fremd ge- , orden ist. Entscheidungen, für die es gar kein Bor- ld gibt, weil der Krieg alles umgestürzt hat. Vier, f mf Jahre Entwicklung im Leben ihrer Kinder, die mz in die Hände der Mutter gelegt sind, das will Igas bedenten. Und wieviel werden allein gelassen it dieser Verantwortung für ihr ganzes Leben. * ' ! Dazu kommt die fortwährende aufreibende M tthe j m das tägliche Brot, die ständige Frage: Wie ! ache ich die Kinder satt? Wie ziehe ich sie sauber an, iß sie sich nicht zu schämen brauchen? Es ist wie ein Sünder, was Muttersorge mit Fleiß und unerschöpf- j cher Findigkeit da zuwege gebracht hat. Wenn die inder im Alter des Heranwachsens sich sehnsüchtig iich einer weiteren Brotschnitte umsehen, so ist es -Wiß schwer, ihnen, nein zu sagen. Das überhaupt ! chört zu dem Schwierigsten, was man von der Frau - ls Hausfrau hat verlangen müssen: sie, die nur ge ahnt war, für das Wohl ihrer Familie zu sorgen, ! tzlte auf einmal begreifen, daß der Staat mehr ist , ls die Familie, sie sollte sich klarmachen, daß der ein- i ilne auf vieles verzichten muß damit das Ganze leben >nnte. In der Familie war es ihr deutlich, daß l r einzelne nicht leben kann, ohne auf den anderen , licksicht zu nehmen. Aber was war sÜrdie-Frau -r Staat? In diesem Kriege ist er vielen zum stenmal zu einer lebendigen Macht geworden. Leicht wurde den Frau?n diese Erkenntnis nicht. mn vor allem fehlt ihnen das unmittelbare Er- . bnis des Krieges. Wer von Frauen jemals im ricgsgebiet gewesen ist, hat sofort gespürt, daß drau- n eine andere Luft weht als in der Heimat. Den ' auen zu Hause fehlt das Erlebnis der großen Kame- dschaft, bei der alle jM einen eintzetvni .es fehlt Ihnen das gewaltige Erlebnis des siegreichen An griffs oder der geschickten Verteidigung, des Stol zes auf das Selbsterrungene. Draußen an der Front können wir nun einmal nicht dabei sein, und niemand ist überzeugter als wir Krauen, daß alle unsere Kriegsleistungen in nichts versinken vor dem übermenschlichen Ringen, wie es un sere Männer jetzt draußen an der Westfront bestehen. Aber das Eine kann sich doch jede Frau sagen: Ich gehöre mit zu dem großen deutschen Heere, das gegen die ganze Welt im Felde steht. Es ist nicht gleichgültig, ob Wh dabei bin. Auf jeden Arm kommt es an. Jede Frau, ob sie nun in Haus oder Beruf arbeitet, gibt ihre Kraft mit dazu zu der großen Summe von Kräften, die unsere Verteidigung ermöglicht. Aus diesem Bewußtsein der engen Mitarbeit und Zugehörigkeit zu dem großen Ganzen schöpft die Frau die Kraft, alles bis zum letzten zu ertragen, bis zur Hingabe des liebsten, was sie besitzt. Es bewährt sich hier die merkwürdige Frauengabe: Mit der Größe der Last wächst ihre Kraft. Körperlich und see lisch wird man immer neue Leistungen von ihr fordern können. Sie wird nicht müde werden und Mut und ZuversichWbehalten bis zu dem Frieden, der unser künftiges Schicksal sichert. Der Königszank in Finnland. Wie liegen die Dinge? Wie stehen die Aussichten? Der Verfassungskampf scheint damit noch nicht be endet zu sein, daß Vie Mehrheit desLandtageS sich für das Königtum erklärt hat. Es ist zu erwarten, daß auf dem außerordentlichen Landtage, der im Herbst zusammentritt, der Kampf zwischen den Parteien von neuem ausgenommen wird. Die Re publikaner werden dann wohl einen Kompromißvor schlag vorlegen, der nennenswerte Einschränkun gen des Veto- und Budgetrechts des Königs enthält. Dis Königswahl würde dann aufgeschoben werden, bis diese modifizierte Regierungsform ange nommen worden ist, um den Eharatter eines „Staats streichs" zu vermeiden, der, wi» man meint, in einer unmittelbaren Wahl nach der Regierungsform von 1772 liegt. Was den Kampf veranlaßte, ist der Umstand, daß Finnland sich am 6. Dezember im Anschluß an seine Selbständigkettserklärung als Republik erklärte und als solche auch die Anerkennung als selbständiger Staat gewann. Diese Erklärung ist aus vielen Sei ten immer noch für bindend gehalten worden. Hierzu kommt die Kenntnis, daß die früher mächtige so zialdemokratische Partei, die jetzt nur einen Vertreter im Landtage zählt, ganz und gar für repu blikanisch gehalten wird. Es unterliegt keinem Zwei fel, daß, wenn der Bürgerkrieg nicht dazwischen ge kommen wäre, die Republik Finnland jetzt eine Tatsache wäre. Es Heißt, daß die Republik in Wirklichkeit bei der Bevölkerung vielmehr Anklang findet als das Königtum. Seit der Selbständigkeiterklärung im Dezember hat sich indessen vieles ereignet. Die republikanische Par tei hat das Spiel auch verloren gegeben. Alle sind darin einig gewesen, daß das, was das unglückliche Land vor allen Dingen braucht, innere Ordnung und Arbeitsruhe ist, daß diese nur unter einer starken und tatkräftigen Regierung gewonnen wer den können. Die Republik würde nur einer weiteren inneren Zersetzung Raum geben, und nur das König tum bietet die Möglichkeit, das zerrissene Volk zu einigen. Es kann natürlich nicht geleugnet werden, daß es die Befreiung des Landes durch die Deutschen war, die auf die Stimmung in monarchischer Richtung einwirkte. Man scheint den Eindruck gewonnen zu haben, daß Deutschland ein Königreich Finnland gern sehen würde. Man folgert in monarchisch-interessier ten finnischen Kreisen daraus, daß eine Monarchie mit einem deutschen Fürsten an der Spitze einen stär keren militärischen Rückhalt gegen Angriffe von außen bieten würde, da Deutschland, Wie man in diesen finnischen Kreisen vermutet, im Falle einer Be drohung des neuen finnischen Thrones eines deut schen Fürsten diesem mit deutschem Militär zur Seite stehen würde. Bei dieser Sachlage ist eine Lösung der Frage vor dem Winter kaum zu erwarten. t Lokales. H Postpaketkontr-Ne auch öffentliche Unsicherheit. In den zum Teil sehr erregten Auseinandersetzungen der großen Presse über die Kontrolle der Postpakete auf Lebensmittel wird insbesondere auch auf die wach sende öffentliche Unsicherheit hingewiesen. So heißt es im „Berl. Lok.-Anz": „Tausende von Polizeibeamten und Gendarmen würden täglich in Deutschland für die Paketkontrolle nötig sein. Das Ergebnis der Schnüffelei ist gering fügig. Der Schaden aber, der durch die Entziehung dieser Beamten entsteht, ist groß; denn sie können nun ihrem eigentlichen Sicherheitsdienst nicht ob liegen. Einbrüche, Diebstähle und Felddiebstähle machen sich ohnedies von Tag zu Tag mehr breit. Die Täter werden meist nicht gefunden. Landrats ämter und Stadtbehörden ersuchen fortwährend drin gend die Militärbehörden um Gestellung von Hilfs polizisten, Hilfsaendarmen und Hilfsfeldhüter. Dem Heeresdienst wirb dadurch immer mehr Personal ent ¬ zogen. Truppendienst, AuSvilvung und Feldersatz müs sen darunter leiden. Wenn man Polizeibeamte und Gendarmen nicht für unwürdige und sie selbst an widernde, kleinliche Lebensmittelschnüffeleten.verwen dete, dann würden sie in stärkerem Maße für ihre eigentlichen Zwecke frei. Die Sicherheit würde zu-, und die berechtigte Verärgerung des Publikums würde ab- nehmen." j Der Rellametote. lio. llottwyuna.) Und von ihrem guten Herzen getrieben eilte st« auf die Türe zu, durch die die Damen sich vorhin entstrnt halten. Ich hielt sie natürlich zurück. „Wohin wollen Sie denn, doch nicht etwa — ? „Ja, stellt, die Damen müssen's doch erfahren. Net a Stunde länger darf die Frau um ihren Mann trauern." „Schon recht, aber das geht nicht so ohne Vorberei tung. Die kann ja der Schlag treffen vor Freude und i Schreck. Darum habe ich's Ihnen ja gesagt, daß Sie mir helfen sollen. Aber man muß das diplomatisch mache«, langsam vorsichtig, nach und nach." In diesem Augenblick rief die Rätin unS zum Frühstück; und Frau Lenchen, die sich Wöhl ihres ungastlichen Be nehmens gegen die junge Dame etwas schämen mochte, fügte einige freundliche einladende Worte hinzu. Ich hielt sie zurück. „Das hat Zeit, meine Damen, das eilt durchaus nicht j so! Ich hätte vorher noch einige Worte mit Ihnen, j einige sehr ernste Worte —" „Doch nichts Unangenehmes?' unterbrach mich die ' Rätin erschrocken. l „Ich bitt' Jhna, Frau Roland, beruhigen Sie sich . . es ist nix Schlimmes, im Gegenteil, denken Sie mal an was recht, recht Angenehmes, seien Sie mal so recht von " Herzen vergnügt." > „Im Gegenteil, seien Sie nicht vergnügt!" unterbrach > ich sie schnell. „Da kann ich Sie unmöglich auf die Mit- , teilung vorbereiten, dir ich Ihnen zu machen habe. Und vor allen Dingen setzen Sie sich, meine Damen!" i „Na HSren'S, auf die Weise!" . . . flüsterte mir- die ' Oesterreicherin zu. „DaS ist die richtige Weife, unbesorgt!" ! Die Damen hatten sich gesetzt. Die Rätin schaute mich mit ängstlich fragenden Augen an, Frau Lenchen lächelte ironisch «nd «einte: „Ich fange an zu ahnen —" - „Nein, das können Sie nicht ahnen," rief ich schnell. „Stellen Sie sich also etwas ganz Ungeheuerliches vor, , was Ihr ganzes Leben umwälzt, angenehm umwälzt, wie ich zugebe — tiefe Nacht, die sich plötzlich in sonnenhel len Tag verwandelt — Tote, die gar nicht tot sind — einen bestimmten Toten! Frau Roland, Frau Rätin, , fassen Sie sich! Ihr Sohn — Ihr Gatte — er lebt, lebt frisch und gesund!" Auf diese Worte brachen die Damen in ein herzliche? Gelächter aus. Ich starrte sie bei dieser gänzlich uner warteten Wirkung meiner Worte erschrocken an und muß i Wohl ein sehr verblüfftes Gesicht gemacht haben, denn da? , Gelächter erneuerte sich darauf. Endlich faßte sich Len chen und sagte trocken: ! „Lieber Herr Krug, das wissen wir schon lange!* Und die Rätin fügte hinzu: „Hat Hans Ihnen auch ge schrieben?" Ich wußte nicht, sollte ich mich ärgern oder freuen? „Was? Das glauben Sie," rief Frau Lenchen schnell, „daß wir das sonst so ruhig ertragen hätten? Hans hat mir aus Genua geschrieben, daß er sich nach Südamerika einschiffen würde, um dort sein Glück zu ver- ' suchen." 1 „Und das haben Sie mir nicht gesagt? Und auch die Welt haben Sie in dem Glauben gelassen, er sei tot?" Da zuckte ein schelmisches Lächeln nm die Züge der jungen Frau. , „Mein lieber Herr Krug, das hat so seine Gründe. Sehen Sie, zuerst schämten wir uns vor der großen Bla mage, weil doch sein Abschiedsbrief in die Blätter ge kommen war und alle Welt den unglücklichen Selbstmör der beklagte. Und später," sie kicherte leise vor sich hin — > „sag' du's Ihnen, Mamachen!" „Ja später," fuhr die Rätin fort — „spater haben i wir nicht mehr reden wollen, als plötzlich seine Sachen ge- ; kauft und gedruckt wurden. Jeder Nachruf, jeder Artikel, , der in den Blättern erschien, war ja eine neue Reklame." ! „Können Sie uns das übernehmen," erklärte Frau Lenchen weiter, „daß wir dem nicht Einhalt tun woll- ! ten?" Min schwindelte. Ich war doch etwas empört, daß ' sie nicht einmal mich, seinen und ihren allerbesten Freund - in das Geheimnis eingeweiht hatten. Und ich gab mel- § ner Entrüstung Ausdruck. „Ihnen wollten wir's eigentlich sagen," entschul- ' digte sich Frau Lenchen. „Aber es gibt nur ein Geheim- ° nis zwischen zweien. Was ein Dritter weiß, weiß die ganze Welt. Und dann" — sie lächelte sanft — „Sie schrieben so schöne Nekrologe, da mochten wir Ihnen die Stimmung nicht verderben. Eigentlich lachten wir die ' Welt aus. die dumme, böse, harte Welt." > Frau Lenchen schien meine Gedanken zu erraten, , denn sie sagte achselzuckend: „Ich habe mich an Ihr lateinisches Sprichwort er- . i innert, das Sie immer im Munde führen, Herr Krug." „Mundus vult decipi — die Welt will betrogen wer- , den." ... Wer hätte das den beiden Frauen zugetraut?! Und, > stfhst ich, der ich täglich mit ihnen rusammenkam, h-tte