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Dit Frauenrechtlerin. Roman von Heinrich Kühler. 122. Fortsetzung.) nm anveren Tage war der Geburtstag des alten Sieber, zu dem sein Mieter ihn mit seiner musikali schen Produktion überraschen wollte. Schon am Abend vorher, als der alte Mann nicht zu Hause war, hatte« zwei Arbeiter ein Ptaninv die zwei steilen Treppen hinaus in des Ingenieurs Wohnzimmer geschafft. Früh am anderen Morgen um sechs Uhr fandenftch der Maler und Lili- Bruder bei ihm ein. Der alte Sieber lag noch im Bette und träumte vielleicht am Morgen seines sechzigsten Geburtstages von den Lorbeeren, die er im Dienste der Muse sich bis heute wüiLe erworben haben, wenn die Liebe ihm nicht in die Quere gekommen wäre. Da ertönte es plötzlich in seinem Traum wie Klänge aus himmlischen Höhen. Wandelte er viel leicht schon in den Gefilden der Seligen und war das die Apotheose, die ihn empfing, dort, wo man den Menschen nicht beurteilt nach den ost trügerischen und nur vom Glück abhängenden Erfolgen, sondern nach dem guten, edlen Wollen des Herzens? Er sah nichts, er horte nur — aber dies Hören wurde immer deut licher, immer näher schien er dem überirdischen Chor zu schweben, schon unterschied er ganz deutlich seine Lieblingsweise, das „Miserere", mit dem die himm lischen Engel Gottvater um Erbarmen für diese arme Seele zu bitten schienen. Und nun wurde es ganz deutlich — und dann sah er auch Plötzlich, nämlich daß er in seinem Bette lag und alle Türen offen standen; durch diese drang die Musik zu ihm. Er wollte schnell in seinen alten abgeschabten Schlafrock fahren, der heute mit ihm ebenfalls ein Jubiläum feierte, wenn sich auch nicht recht seststellen ließ, das wievieljährige es war. Aber der alte Schlaf rock lag nicht da, sondern an dessen Platz ein ganz neuer, weicher, langhaariger, mit einem dunkelroten seidenen Aufschlag, in den er dann auch, ohne sich lange mit der Frage aufzuhalten, wie er hierher käme, hineinfuhr; denn er hatte es wegen der Musik sehr eilig. ES schien ja heute alles wunderbar zuzugehen, warum sollte jnit dem alten Rock nicht über Nacht auch eine Verwandlung vorgegangen fein? Er trat schnell in das Nebenzimmer — da war niemand drin — dann kam das Schlafzimmer Mister Browns, zu dem die Tür offen stand, und dann dessen Wohnzimmer. Hier bot sich dem alten Manne ein unerwarteter Anblick. Sein Mieter saß an einem präch tigen Ptantno und spielte darauf das „Miserere" mit einer Gewandtheit, als hätte er sein ganzes Leben nichts weiter getan als sich mit der Musik beschäftigt. Daneben stand der junge Börner und strich die Geige, und der Maler begleitete dazu mit der Guitarre. Der Tisch aber war bedeckt von einer Blumenlast in Töpfen und Basen, in der Mitte dazwischen stand eine mächtige Torte und — last not least — würde Mister Brown sich ausgedrückt haben, an dem Tische lehnte ein großes prächtiges Cello, wie Vater Sieber es sich zur Vervollständigung seines Orchesters schon lange, aber nur in seinen kühnsten Träumen, ge wünscht. Seine Frau und Tochter waren ebenfalls in dem Zimmer anwesend, aber sie kamen nicht an ihn heran, sie blieben während des Spiels feierlich bei Seit« stehen. Und feierlich war es, wie die drei mit ernsten Mienen, ohne aufzublicken, des großen Tonmeisters Schöpfung iu dem geschmückten Zimmer untadelhaft vorsührten und der anfänglich nur als Scherz ins Auge gefaßte Moment Latte für das Her- des alte^ Mannes eine Weihe, als wäre es der größte Augen blick seines Lebens. Er lehnte an dem Pfosten der Tür und schluchzte laut. Die Musik schloß, Mister Brown sprang auf und zu dem alten Manne hin. „Aber Vater Sieber, was machen Sie denn?" „Es tut so wohl - so wohl - diese Güte - da muß man weinen'." j Der Ingenieur legte ihm die Hand auf die > Schulter. ! „Dann weinen Sie, alter Freund," sagte er mit > seinem humoristischen Tone, aber es klang etwas wie ; Rührung hindurch, „solche Tränen sind ein Verjün- i gungsquell für ein altes Her^." Ter alte Mann nahm die Hand, die auf seiner Schulter lag, in seine beiden. „Und daß Sie mir wirklich die heimliche Freude , gemacht haben, Herr Mister Brown -" „War ja nichts als meine Schuldigkeit — stand > ja so in unserm Mietsvertrag." „Und welche musikalische Veranlagung Sie haben ! müssen! In so kurzer Zeit schon so weit, daß Sie das j „Miserere" ganz geläufig spielen können —" „Na ob!" sagte Mister Brown, sich in die Brust werfend. „Und das schöne Instrument —* „Bleibt nun hier!" „Hurrje, da können wir immer zusammen spielen, Sie auf dem Pianino und ich auf der Geige." „Na ja," meinte der Ingenieur mit einem lächeln- den Seitenblick aus seine musikalischen Kollegen, „das wird sich inacheu. Meine Kenntnisse sind freilich noch ! nicht sehr reichhaltig." „O, da Sie schon so wett sind! Das andere kommt ! von selbst nach." „Aber nun steh doch hier, Pater," sagte Frau ! Sieber, nachdem die andern dem Geburtstagskind« , ebenfalls ihre Glückwünsche ausgesprochen, „das schöne Cello schenkt dir Herr Brown ebenfalls und die Blumen ! und die Torte und der Schlafrock, alles ist von ihm Meine und Rosas bescheidene Geschenke bekommst du : drinnen bei uns aufgebaut." j Der alte Sieber hatte das Cello schon imrner bs- i trachtet, aber sich noch nicht herangewagt. Nun nahm i er es und strich mit dem Bogen darüber und freute sich wie ein Kind, das in einem Atem lacht und weint. „Ach, Herr Mister Brown, das ist zu viel — zu , viel!" „Ist nicht der Rede wert, alter Herr, die ein- - zigen, denen Sie einen Dank schulden, sind diese beiden ! Sw haben freundlichst für heute früh eine Musikanten- ! stelle übernommen." Rosa flüsterte ihrem Vater etwas zu. „Dafür müssen die Herren nun auch gleich ziun Morgenkaffee bei mir bleiben, ich lade Sie dazu ein, ' sagte er. „Meine Frau ist schon daran, ihn zu kochen." Das wurde auch angenommen, und nachyer saß die ganze Gesellschaft in der Nebenstube um Frau Sie bers großen runden Tisch und schlürfte den edlen Mokka. „Es freut mich nicht bloß, daß es nun mit dar Musik, vorwärts geht," sagte der alte Sieber. Mister Brown schien der Kasfee in die unrechte Kehle gekommen zu sein, er bekam einen tletnen Husten« ansall. „Und weißt du, Vater," sagte Rosa mit der un schuldigsten Miene von der Welt, „da Herr Börner gehört hat, daß du solch großer Musikfreund bist, so hat er fick bereit erklärt, öfter zu dir zu kommen und mit dir zu spielen." Der Ingenieur biß sich aus die Lippen, aber er ! konnte ein leises Auflachen doch nicht ganz unter- z drücken. Diese kleine Rosa war wirklich eine echte Eva, sie verstand gute Ratschläge zu beherzigen. „Das wollte Herr Börner wirtlich tun?" fragte ihr ! Vater erfreut. „Natürlich," antwortete dieser, „mit dem größte« BeninÄaen und a«S vollem Herzen." (Fortsetzung folgt.,