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' ' —— Denkt an Suchomlinow. Wer noch im Zweifel gewesen sein sollte, daß unserm Vaterlande ein Abwehrkrieg aufgezwungcn wur den ist, dem müssen die Enthüllungen aus dem Prozeß Suchomlinow die Augen geöffnet haben. Es gilt also die Verteidigung des deutschen Va- - terlandeS. Aber das nicht nur allein — auch die Nie derwerfung des deutschen Welthandels und der deut schen Industrie sind Kriegsziele unserer heutigen Feinde. Würde dieser verruchte Plan gelingen, dann sind die Lebensmöglichkeiten und der kulturelle Auf stieg der deutschen Arbeiterschaft aus Jahrzehnte hinaus unterbunden. Es gilt also, in diesem Kriege auch zu kämpfen für die Erhaltung und Förderung der Lebensbedingungen unserer arbeitenden Bevölke rung. Und da darf kein Opfer zu groß sein. Wer eS immer vermag, der must sein Teil beitragen, um auch die 7. Kriegsanleihe zu einen« dentschen Siege zu gestalten, der uns und unsere Kinder vor einem neuen Ueberfall bewahrt und uns für die Zukunft neue Aufstiegsmöglichkeiten sichert. Gustav Hartmann, Borsitzender d. Verbandes d. Deutschen Gewerkvereine. Die Frauenrechtlerin. Roman von Heinrich Köhler. ^«9. Forüetzung) ' ' Sie hielt in iyrein stürmischen Gang inne und blickte wie aus einem tiefen Traum erwachend auf. Neben ihr stand Fräulein Börner in Begleitnng einer anderen jungen Dame, die sie nicht kannte, welche ihr jene aber vorstellte: „Fräulein Berndt, meine Freundin und Kollegin." Helene war mit Lili Börner einige Male in dem Musikinstitut von Frau Wernicke, die Lilis Tante war, zusaminengctroffen, als sie dort Bestellungen zu machen hatte. Frau Wernicke war Lucies Lehrerin und kam zu dieser, Unterricht im Klavierspiel gebend, manch mal auch ging Lucie ins Institut. Daher diese Be kanntschaft. Lilis Liebenswürdigkeit und Schönheit hatten auch auf Helene ihren Eindruck nicht verfehlt, und das sonst nicht leicht zugängliche Mädchen hatte sich immer gern mit ihr unterhalten. Die beiden Freundinnen gingen Arm in Arm und trugen jede eine Notcnrollc in der Hand. „Wir kommen eben ans dein Institut meiner Tante," sagte Lili, „wo wir bis jetzt Unterricht ge geben haben. Hier aber trennen sich unsere Wege, Sie reichten sich die Hand und gaben sich eilten Küst. „Wann sehen wir uns wieder, Lili'?" fragte Fräu lein Berndt mit einem innigen Tone, als gelte cs ein jahrelanges Scheiden. „Ich denke übermorgen, dann treffen wir wieder bei meiner Tante zusammen, wenn ich dich im Unter richtgeben ablösen komme." „Nun denn also auf Wiedersehen übermorgen, „Guten Abend, Anna!" Die innige Zärtlichkeit, welche die beiden zu ver binden schien, «nachte einen schmerzlichen Eindruck auf Helene, in dein Gedanken, welche Enttäuschung ihr in dieser Hinsicht eben geworden. Sie ging schweigend neben dein jungen Mädchen her, dessen reizendes Ge plauder bei ihr heute nicht das Wohlgefallen fand wie sonst. „Nun habe ich mein Ziel erreicht," sagte jene end lich stehen bleibend. „Sie gehe«« Wohl auch nach Hause, Fräulein Stark." Das Wort „Ziel" erweckte in ihr wieder die volle Erinnerung an ihre Lage, sie hatte ja keins, und so sagte sie erregt und nicht ohne Bitterkeit: „Es geht mir wie des Menschen Sohn, ich weiß nicht, wo ich heut «nein Haupt hinlegen werde." „Wie soll ich das verstehen?" fragte Lili bestürzt. „Sind Sic denn nicht mehr im Hause der Regterungs- rättn Landrß?" ' „Seit heut nachmittag habe ich d«e Stellung auf- gegeben." „Und Sie haben noch kein Unterkommen für die Nacht?" Nein." "Nein?" sagte Lili fast erschreckt. „Nun, das ist so schlimm nicht, es gibt ja für Geld gastfreie Läufer acnua." „Tie meinen ein Hotel-"' Dem jungen Mädchen schien der Gedanke schreck- I lich, so gan» allein und selbständig als Mädchen sich ! in einem Hotel einquartieren zu sollen. „Ach," sagte sie mitleidig, „das ist ja sehr traurig . für Sie." Sw zögerte ein Weilchen, dann fuhr sie - bittend fort: „Wenn ich Sie einlade,« dürste, mit zu uns herauf zu kommen — Sie könnten bet uns sehr gut über- «lachten." ! Helene überkam eine weiche Regung, nach dem heut Erlebten tat ihr diese Freundlichkeit Wohl, sie nahm die .Land des Mädchens, von der diese eben den Handschuh abgezogen, und drückte sie. „Ich danke Ihnen, Fräulein Börner, Sie sind sehr liebenswürdig. Aber ich belästige nicht gern, und Ihre Frau Mama würde sich sehr Wundern, wenn wir ihr zumuteten, aus ihrem Hause ein Wirtshaus zu machen. Ich bin Ihrer Familie ja gänzlich fremd." „Wie können Sie nur so reden und von meinem Mamachen so schlimm denken!" antwortete Lili, sie an der Hand fest haltend und ins Haus ziehend. , „Sträuben Sie sich nicht, es nützt Ihne«, doch nichts!" , setzte sie mit bezaubernder Amnut, die den Stolz I Helenes entwaffnete, hinzu. ! „Ich bringe uns einen Gast, Mamachen, damit , Pas Fremdenzimmer nicht immer leer steht," sagte sie oben zu ihrer Mutter; „Fräulein Stark, bis dahin Gesellschafterin bei Fräulein Lucie Landrä. Fräulein Stark hat heute ihre Stellung ausgegeben und hatte für die Nacht noch kein Unterkommen." j „D«e>e «Linin«).nng ivico keine gute Empfehluncj ! für mich sein," bemerkte Helene zögernd. Frau Börner war eine Dame in den vierziger Jahren, sie war die Witwe eines Rechnungsrates, eine I schlanke Figur, mit einem nicht gerade hübschen Ge sicht, in dem aber eir« Zug voi« Wohlwollen und Lie benswürdigkeit lag. Sie schien sehr auf gute Toilette zu halten, und ganz besonders bei ihrer Tochter, die immer hübsch und geschmackvoll ging. Daß ihr Töch terchen ihr ein und ihr alles — ihr Reichtum, ihr Stolz, ihr Vorzug war, das konnte man unschwer be merken. „Sie sind mir natürlich willkommen, Fräulein Stark," sagte Frau Börner freundlich, wenn auch viel leicht mit einer leisen Nuance von Gemessenheit im Ton. > „Sehen Sie wohl!" sagte Lili, „und nun machen I Sie es sich bequem, als ob Sie iin eigenen Hause > wären. Nachher bringe ich Sie auf Jtzr Zimmer, aber I vorher essen wir erst zusammen Abendbrot. Mein i Bruder wird auch gleich kommen." ! Dieser kam denn auch bald und während des > Mahles fragte Frau Börner Helene, ob sie schon Pläne § jür die Gestaltung ihrer Zukunft getroffen hätte. Nach , vem Grund ihres plötzlichen Abgangs aus dem Hause ! der Negierungsrätin forschte zartsühlenderwetse nie mand. „Sie werden wieder eine ähnliche Stellung an nehmen?" fragte Lili. „Nein, niemals! Ich gedenke mir eine unabhän gige selbständige Eristenz zu schassen, worüber ich noch nicht ganz im klaren bin. Ich habe eigene Möbel und werde mir ein freuridliches Zimmer in einer an ständigen Familie suchen, die bereit ist, mich in Pen sion zu nehmen." Lili blinkte ihrer Mutter zu, die aber darauf nichts sagte, nachher folgte sie ihr ins Nebenzimmer und flüsterte eine Weile mit ihr. Endlich schien sie alle Bedenken widerlegt zu haben, denn sie kam mit einem freundlichen Lächeln wieder zu Helene. „Wir habe«« eben zusammen beraten, Fränlein Stark," sagte sie. „Wir habe«« ein zweisenstriges freund liches Zimmer nach vorn heraus, das wir fast gar nicht benutzen und gut entbehren könnten. Wenn es Ihnen recht ist, dürften Sie dieses beziehen, unser l Mädchen würde für die Reinigung mit sorgen, und rssen könnten Sie auch bei uns." Helene strich dem freundlichen Mädchen liebkosend mit der Hand das dichte hellblonde Haar von der veißen Stirn. „Wie gnt Sie sind. Das haben Sie mir ans- gewirkt, und ich nehme das Anerbieten dankbar an. > Ls gäbe Wohl in einer Stadt wie diese Wohnungen i genug, aber eine andere, so anständige liebenswürdige ! Familie würde sich schwerlich die Last mit «nir auf- > laden." Damit war die Sache beendet und unerwartet schnell ein passendes Unterkommen für .Helene gc- i sunden. Am andere«« Tage liest sie ihre Möbel aus dein Speicher holen, und die Einrichtung des Zimmers > var bald getroffen, anch ihre Sachen, die sie noch im ! Hause der Regierungsrätiu gelassen hatte, wurden von > einem Dienstmann herbeigeschafft. Es war an, Abend, vor ihr brannte die Lanipe , aus dein kleinen Schreibtisch, und daneben lagen zwei . Manuskripte. Das eine war der Artikel „Ucber Freund- l schäft und Liebe", das andere eine längere Abhand lung: „Die soziale Stellung der Frau." „Bisher habe ich gezögert, vor die Öffentlich keit zu treten, aus Rücksicht auf meine Stellung," sagte i sie im Selbstgespräch, „jetzt ist diese Rücksicht glück- ! licherweise nicht mehr nötig, ich bin frei — frei!" i sie atmete tief, wie von einer Last erlöst, auf — „und nichts soll «mich vermögen, mich wieder in ähnliche j Fessel«« schmiede,« zu lassen. Wie ich sie hasse, diese > Pornehmen, die mit Verachtung ans denjenigen nieder- ! blicken, der, weniger von der falschen Dirne Glück be günstigt, gezwungen ist, sich von ihnen sein Brot zu verdienen und dem sie, wenn cs «rach dem inneren Gehalt ginge, oft nicht wert sind, die Schuhrieincn zu lösen. Und doch hat die Demütigung, welche mir durch den Hochmut dieser Fra,« zu Teil geworden ist, mich nicht so tief getroffen wie die Täuschnng, dre mein Herz erlitten. O, wie habe ich dies Mädchen geliebt!" Sie seufzte tief und schmerzlich auf, dann ermannte sie sich wieder. „Aber das must niedergekämpft werden, bas ist nun vorbei! Jetzt gilt cs, unbeirrt das Ziel ! verfolgen, das ich mir gesetzt, und heilte sei der An- sang damit gemacht. Der Artikel würde sich für eine i größere Zeitschrift eianen, die 'Abhandlung mußte als BrMhüre in möglichst großer Auflage vervretter werden. Dw Wirkung kam, nicht ausbleiben. Biele meiner S< mestern seufzen unter demselben Druck wie ich, sie werden mich verstehe», wir werden ein Heer bilden, das in todesmutigen« Kampfe die alte,« Wälle einrcißt und der Welt neue Gesetze diktiert. So soll es sein." : Sie schrieb iu dieser Stimmung zwei Briest an Verleger, von denen der eine- ein weit verbrei tetes Damcnjournal herausgab, für das sie den Ar tikel bestimmte. „Die soziale Stellung der Frau" sandte sie an einen anderen Verleger und siegelte dann die Briefe mit den entsprechende«« Manuskripten ein, um sie morgen früh zur Post zu geben. „Und damit ich niemals meinen Entschlüssen untreu werde, damit ich etwas habe, was mich erhebt, mich mahnt, wenn Sorgen aller Art und vorzüglich materielle mich beuge«« wollen, will ich an meine Tür dort eine Devise heften, die kraftvollen Worte eines Dichters, welche stets meine Volte Shmpathie erregt haben." Sie schrieb mit großen deutlichen Züge«« auf einen Bogen und heftete diese«« dani« an die Lür. Die Devise aber, die sie sich damit geschrieben, war das Bürgersch' Gedicht: „So lang ein deutscher Biedermann Mit einem Glied« sich noch rühren kann, So lange braucht er nicht nach Gnadenbrot zu lungern; Doch tut ihm endlich keins mehr gilt, So hab er Stolz genug und Mut, Sich au» der Welt hinaus zu hungern!" VII. Herr von Schwindt hatte sich am anderen Tage die Antwort von Lucie geholt, auf welche die Regie rungsrätin ihre Tochter vorbereitet hatte, und dieselbe «var natürlich im günstigen Sinne ausgefallen. Nach dem er seine künftige Gattin verlassen, lenkte der glückliche Bräutigam seine Schritte nach der Wohnung der junge«« russischen Witwe, Olga von Sernotschef. Die Neins gewandte Zofe kam auf se«n Klingeln aus den Zimmern ihrer Herrin und öffnete ihm die Tür. Heute war von einer Anmeldung keine Rebe, die zierliche Margot ließ ihn wie etwas ganz Selbst verständliches an sich vorüber und ins Boudoir ihrer Daine treten. „Ein unerwarteter Besuch, «nein Freund," sagte die schöne Frau. ,,WaS hoffentlich nicht heißen soll: ein uner wünschter." Die Dame lächelte und unterdrückte ein Gähnen. „Wie langweilig, Lieber! Ich denke, die Phraseo logie haben wir längst ans unserem Verkehr ge bannt." „In der Tat," sagte er lächelnd, sich auf einen Stuhl niederlassend, „wir bedürfen dessen nicht. Doch ist es so natürlich, daß einem rein unwillkürlich manch mal eine Stelle aus dem Höflichkeitslerikon in den Mund kommt, an dessen vorzüglicher Handhabung ja die fashionable Welt den Man«« voi« Erziehung er kennt." „Ihre Ironie, lieber Freund, ist mir immer ein Zeichen inneren Verdrusses. Befinden Sie sich in einer unangenehmen Lage?" „Eigentlich nicht — indes —" „Sehr verständlich drücken Sie sich gerade nicht aus!" Sie nickte der Zofe zu gehen, und diese verließ das Zimmer." „Nun sprich — was hast du mir zu sagen?" wandte sie sich an ihn, indem sie sich erhob und vor ihn hintrat. „Ich habe eine Mitteilung," sagte er schmeichelnd und mit ihrer Hand kosend, „wobei es gilt, hübsch vernünftig zu bleiben, weil es sich um eine unab änderliche Tatsache und eine Notwendigkeit handelt." „Du machst mich in der Tat gespannt." „Wie du inich hier siehst, bin ich seit einer Stunde glücklicher Bräutigam." Die Wirkung seiner Worte war vielleicht nicht ganz so stark, wie er sie gefürchtet hatte, sic fuhr nicht leidenschaftlich auf, sie entwand sich nicht einmal seinem Arm, nur die dunklen faszinierenden Augcn blitzten zu ihm herum und bohrten sich in sein Gesicht. „Und nun?" sagte sic dann, eine weitere Er klärung erwartend. „Du nimmst cs ruhiger auf, als ich dachte," be merkte er darauf — cs klang in seiner Stimme ein leiser Anflug voi« Empfindlichkeit — „das ist mir liebe Du kennst das Leben ii« der große«« Welt — das Lebe«« der Männer. Das meinige war sehr kostspielig. Die weite«« Reisen, der längere Aufenthalt in Paris, s« haben meine Finanzen stark in Anspruch genommen. Auch für diese schöne Hand war, in der richtigen Auffassung, das Gold nichts weiter als „Chimäre". Sage nichts, es soll keil« Vorwurf für dich sein — es reut mich nicht. Aber es wird Zeit, daß ich mich in ge ordnete Verhältnisse bringe, dazu nahm ich die Stellung! hier an, dazu sah ich mich genötigt, um die Hand eines, reichen Mädchens zu werben."