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Bet den Holzfällern. Es ist ganz gewiß von großem Interesse, über die Verhältnisse in den Gefangenenlagern in Feindesland gut unterrichtet zü sein. Denn ein großer Teil unserer Mit bürger ist ja'doch leider in großen Besorgnissen, ob es ihren in die Hände der Feinde geratenen Familienange hörigen gut gehe oder nicht. Den Begriff „gut" kann man natürlich nur relativ nehmen. Ein schauriges Geschick ist es auf jeden Fall. Die Frage ist nur, wie die Unseren sich damit absinden. Einen Einblick in die Verhältnisse der Kriegsgefangenen gewährt uns die „Stobsiade", die Zei tung des deutschen Kriegsgefangenenlagers Stobs in Schottland, die man durch die Leitung der Hauptgeschäfts stelle für Liebesgaben, Erfurt, Krämpferring 3, für 1,50 Ml. halbjährlich beziehen kann. Darin schreibt einer der Kriegsgefangenen im Stobser Lager unter der Ueber- schrist „Bei den Holzfällern": Es ist morgens 7 Uhr, eine frostklare Winternacht neigt sich ihrem Ende zu, und der untergehende Mond be- Zeuchtet mit mattem Schein die weißbereiften Hütten dächer unseres Lagers. Drinnen ist noch alletz, ruhig, nur aus einem kleinen Gebäude dringt ein leises Geräusch und ein schwacher Lichtschein: der Koch waltet dort am Kafseekessel seines Amtes. Jetzt durchzittert ein Trompetenrus die klare Lust, es ist unser bekanntes deutsches „Wecken". Das Leben er wacht im Lager. Halbbekleidete Gestalten huschen zum Waschhaus und suchen möglichst schnell ihre Morgen waschung zu beenden. „Mensch, ist das Wasser kalt!" sagt Heim Fienbrod. — „Ut den letzten Hahn kummt warm Water," meint lachend ein anderer. Auf einmal hört man ein fürchter liches Gebrüll; sollten sich dort schon am frühen Morgen zwei Mann . . . ., doch nein, es ist nicht so schlimm, ver Koch hat nur „Kaffeeholen" gerufen. Für einen Teil der Hüttenbewohner war erst dieser Ruf das Zeichen zum Auf stehen; durch „einige Umdrehungen mehr", wie man „marinerisch" sagt (dieser Ausdruck stammt von meinem Freunde, einem Infanteristen), wird das Versäumte nach geholt. Das Frühstück ist schnell eingenommen, vielleicht ist etwas Käse oder Fruchtmus vom Abend vorher übrig geblieben und läßt es noch besser munden. Gleich darauf findet eine Zählung auf den Hütten statt, und dann folgt das „Heraustreten zur Arbeit". Bald ziehen die Arbeitsgruppen, mit Aexten, Sägen, Hämmern, Keilen und Maßstäben ausgerüstet, in ver schiedenen Richtungen ab. Eine kleine Gruppe, „Horse- riche" sind sie getauft worden, hat mit Pferden, Wagen und Schlitten das Abfahren der Stämme zu besorgen, andere bauen an einer Brücke über einen kleinen Fluß, die sich für die Beförderung des Holzes zum Bahnhof und zu einem im Entstehen begriffenen Sägewerk nötig macht. Begleiten wir eine Gruppe in den Wald. Der Weg führt über eine weite Fläche schon abgeholzter Forsten; Tausende von Stämmen liegen hier, wie von einer Rie sensichel zu Boden geworfen, und harren des Abfahrens. Dazwischen sind große Haufen Zweige und Aeste aufge- stapelt. Noch ein Stück den Hügel hinan, dann sind wir auf unserer Arbeitsstelle angelangt. Sie trägt einen ge mischten Baumbestand, unten im Grunde steht vorwiegend Laubholz, die Hügel weiter hinauf Nadelwald, in dem die Kiefer vorherrscht. Noch weilt die Sonne hinter den Hügeln, aber eine leuchtende Röte zeigt die Stelle an, wo sie bald herüber gucken wird. Im Walde herrscht tiefes Schweigen, der Wind ist heute zu Hause geblieben, und die Bäume stehen va als schliefen sie. Nur der Meifen und Finken winter liches Piepen ist zu hören; sie haben jetzt harte Zeit, und emsig suchen sie in den Zweigen und unter den Rinden nach einer häugengebliebenen Vogelbeere oder einem ver steckten Käferchen. Vom Waldesrande herüber, dort, wo vie gras- und heidebewachsenen Hugelflachen ansangen, lönt das Gock-gock der Fasanenhennen, bald nahe, bald fern. Die Arbeit beginnt. Klingend hallen die harte« Sht- schlägc durch den Winterwald, das Ritsch-ratsch der Po sten Baumsägen vermischt sich mit dem Gekrach der stür zenden Bäume. Dort hat man eben eine Edeltanne vor genommen, einen alten Herrn von ungefähr 20 Meter Höhe; seine dichten, hängenden Zweige haben sicher schon manches Geschlecht heranwachsen und ins Grab sinken sehen. Es ist eine harte Arbeit, vier Mann sind nötig, um die Säge durch das nasse, harzige Holz zu ziehen, und auch so geht es nur langsam vorwärts. Ein „Wahr- chau"-Ruf (auch „marinerisch", es sind ausschließlich See- eute hier) mahnt die in der Nähe Arbeitenden zur Vor- icht. Nun werden einige große Eisenkeile in den Schnitt sineingetrieben, schwer hebt sich der Riese» es kracht im Innern von dem Zerreißen der Holzfasern; noch einige; Sckläge auf die Keile, ein Ruck geht durch den ganzen Baum, und erst langsam, dann immer schneller, fällt er, mit gewaltigem Krachen auf der Erde auffchlagend. Wiv zählen die Jahvesringe, es sind über hundert; der Mann, der ihn einst pflanzte, ist vielleicht längst vergessen, der Baum geht erst jetzt seiner Bestimmung entgegen .... Ab den Waldstellen, wo die Zweige auch im Sommep die Sonnenstrahlen durchdringen lassen, liegt jetzt eine dünne Schneedecke. Tierspuren sind frisch darin abge drückt. Meister Lampes nächster Verwandter, das Ka ninchen, hat hier seinen Weg zum häuslichen Bau ge nommen. Da — dicht hinter uns, huscht eins den Hügel hinan. Aber was ist das? Ein kleines Tier ist in wilden Sätzen hinter ihm her, und mit einem Sprung sitzt es dem Kaninchen im Nacken. Das entsetzte Tier stößt ei« durchdringendes Geschrei aus, springt hin und her, um seh« nen Reiter los zu werden, aber vergebens. Ermattei fällt es zu Boden. Als wir hinzukrufen, nimmt der kleine Räuber, ein Wiesel, Reißaus, und wir machen den Schmerzen seines Opfers, dem das Genick angebissen ist, durch einen Schlag hinter die Löffel ein Ende. Nun ist die Sonne über die Hügel gestiegen, unseren Arbeitsplatz erreicht sie nicht, doch ihre Strahlen fallen mit goldigem Schein durch die Baumwipfel des über uns ge legenen Waldteiles, spielen um die unbelaubten Zweige und lassen die stumpfgrüne Farbe der Kiefernnadeln leb hafter leuchten. Drüben, jenseits des Tales, glänzen die von dunklen Waldstreifen unterbrochenen Schneeflächen der Hügelkuppen rosig auf, über dem Tal liegt ein leichter Dunstschleier, und die fernen Waldungen stehen als ein violetter Strich gegen den im Frührot strahlenden Himmel. Hinter unserm Arbeitsplatz ist aus trockenem Reisig und Holz ein Feuer angemacht worden, es herrscht eine; empfindliche Kälte, und da tut ein Schluck Kaffee, biep warmgehalten, besonders gut. Die Arbeit schreitet rüstig vorwärts. Mancher Baum, von Axt und Säge seines sturmtrotzenden Wurzelhatts beraubt, sinkt zu Boden. Die Zeit rückt vor, schließlich gibt ein Signal das Zei chen zum Abbruch der Arbeit, und der Marsch zum Lager beschließt die Tagesarbeit. Eilig verschwindet das Mittagessen, und nach einer nochmaligen Zählung ißt man zum Kaffee das Abend brot. Dann geht jedermann der eigenen Beschäftigung nach: der eine gibt sich dem süßen Nichtstun hin, jene dreschen einen Dauerskat, andere wieder lesen ein Buch aus der kleinen Lagerbücherei. Eine Gruppe hat sich das vom „Christlichen Verein junger Männer" zur Verfügung gestellte Grammophon geholt, und nun ertönt neben „Tannhäuser", „Rigoletto", „Rienzi", und „Cavalleria: Rufiicana" der „Walzertraum", „Graf von Luxemburg* und der Radetzky-Marsch. Die Märsche mit Begleitung aller zur Verfügung stehenden Gesangs- und Pfeifkräfte und — der Füße. Leider ist das schöne Lied von den „Holzhackerbuam" nicht vertreten; es würde viel Anklang finden. Bald ist es 10 Uhr, das Licht muß gelöscht werden, und auch in dieser kleinen, drahtumzäunten Welt senkt sich der gütige Schlaf bald auf Freud und Leid der Menschen, linder nieder und stärkt die ermüdeten Glieder der kom menden Tagesarbeit.