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n U-8-^ 2 L 2- s » . 2 Vx> L L-- kZ ^AZZAL L - L « s Mira. Von M. C. Carpenter Meyer. (Nachdruck verboten.) Die Nacht ist herabgesunken. Eine wunderbare, sternenklare Nacht; die glühende Hitze ist einer erquickenden Kühle gewichen, ein lauer Wind führt über die blühende Pracht und trägt ihren Duft hin aus in unbekannte Weiten, gleißend leuchtet das Mondlicht aus den Waren und mischt sich in dem elektrischen Licht. Weich und schmeichelnd ertönen die Weisen der Musik im Edengarten von Calcutta. Wagen auf Wagen rollt heran, ein distinguiertes Publikum, Weiße und Eingeborene, die ganze vornehme Welt von Calcuttg gibt sich hier allabendlich Rendezvous auf der Esplanade. In der Nähe des Orchesters stehen plaudernd zwei Herren. Des einen, jüngeren Haut ist noch wenig ge bräunt vom Klima, Kapitän Henricourts Kommando nach Indien liegt erst wenige Monate zurück. „Wahrhaftig, Doktor, über eine solche Nacht mutz man alle Strapazen Indiens vergessen; was ist eine europäische Frühlingsnacht mit all ihrem Reiz dagegen?" Doktor Dun, dem Indien längst Heimat geworden, zieht gemächlich seinen Schnurrbart durch die wohlge pflegte, schmale Hand: „Allright, Kapitän, aber mir erschien auch zuweilen eine Mondnacht am heimischen Strand ganz herrlich und wunderbar. Ungefährdet und ungehindert konnte man im Zauber einer Frühlingsnacht, ein schönes Kind am Arm, «inen Seitenpsad wählen, im Schatten der Bäume, fern ab vom Orchester und Licht, auf rosige Lippen einen glü henden Kuß pressen. Hier würden Sie zweifellos den Kuß mit dem Biß einer Kobra bezahlen — gewiß äußerst ro mantisch — der Teufel aber hole diese Romantik und dann ist es allerdings um vieles angenehmer, wenn bei einem Spaziergang im Urwald statt der Eicheln und Kienäpfel goldleuchtende Ananas und Bananen pflückreif winken, während Papageien und Kakadus an Stelle harmloser Meisen und Spechte sich auf den Zwiegen wie gen. Weniger berauschend ist es jedoch, wenn man glaubt, auf ein verdorrtes Blatt zu treten und eine zischende Co- bra fährt uns entgegen, oder schreiende Assen bombardie ren wohlgezielt mit Kokosnüssen die Eindringlinge in ihr Revier " Doktor Dün streift lächelnd mit den Augen eine kleine, «och frische Narbe auf des Kapitäns Stirn. „Sie sind ein entsetzlicher Realist, Doktor!" Eine kostbare, mit Juwelen gezierte Equipage fährt langsam an den beiden Herren vorüber, zwei Damen, Ein geborene, lehnen im Fond. Die eine, alt, verschrumpft, mit Schmuck beladen, die andere, jung und von berauschender, wunderbarer Schön heit. Die Wagenkolonne stockt, die Equipage hält dicht vor den beiden. Kapitän Henricourts Augen hängen wie gebannt an dem Mädchen, dessen nur von einem leichten Schleier bedecktes Gesicht ein Meisterstück der Schöpfung scheint. Einen Augenblick begegnen die glänzenden, schim mernden Sonnenaugen den seinen, ein Etwas liegt darin, — noch ein feuriger Blick, der Wagen fährt weiter. „Wer ist sie, Doktor?" Doktor Dun, der stumm^das Minenspiel beobachtet, sagt zögernd: „Suchen Sie sich jeden Gedanken an die schöne Mira aus dem Sinn zu schlagen. Sie stammt aus einem der Distrikte des Südens, ihr Vater ward ein Opfer der Kriege, sie lebt hier bei reichen Hindus, ihren Verwandten. Manch einer schon schaute zu tief in die Märchenaugen des- schönen Weibes, doch nur Verderben ward sein Lohn. Man sagt, die Inderin umgibt ein Geheimnis, sie könne Wohl Liebe entfachen, nicht aber erwidern." Kapitän Henricourt dachte an den wonnig berauschen den Blick; sie solle nicht lieben können? „Doktor, auf "Ehre, dieses schönste Wunder Indiens muß ich erringen, und wäre es mit tausend Gefahren ver bunden" — Wieder ist die Nacht herabgesunken. Milliarden fun kelnder Sterne wandelnd unetitwegt ihre Bahnen. Die Villa Godi liegt wie verzaubert im Mondenschein, alles Leben in ihr scheint erstorben. An die Balustrade des Balkons gelehnt, das Auge sehnsüchtig in die Ferne gerichtet, ein weißgekleidetes, ver schleiertes Mädchen, Tränen perlen an ihren Wimpern und fallen auf die blühenden Myrthenbäume herab, das Auge der schönen Mira sucht von fern das Licht, das vom Eden garten herüberschimmert. -Da raschelt cs leise, ungesehen erklomm Kapitän Henricourt die Balustrade und liegt nun zu ihren Füßen. Kein Wort vermögen sie sich zu sagen, die Sprache der Hindus ist ihm noch wenig geläufig, doch die allmächtige, weltbezwingende Sprache der Liebe führt sie zusammen, sie denken nicht, sic fragen nicht, die Augen werben, flehen, bitten, gewähren, die Lippen besiegeln es — Manch eine Stunde verging so im süßen Liebesgekose die Leidenschaft Kapitän Henricourts ward inniger, glü hender, die schöne Mira aber ward stiller und trauriger von Tag zu Tag. Der getrübte Glanz ihrer Augen sprach von heißen Tränen, bis sie endlich auf wiederholtes Bitten Henricourts gestand, daß es unmöglich sei, ihm anzuge hören. Und als er am andern Tage eilte, sein Lieb in die Arme zu schließen, erwartete ihn eine Dienerin an ihrer Stelle und gab ihm einen Zettel. Lange, lange noch harrte er auf ein Zeichen, doch nichts regte sich, verzweifelt las er wieder und wieder die Botschaft. „Vergiß mich, mein Fredy, keine Macht der Welt, auch deine Liebe nicht, vermag mich zu retten. Mira." Kapitän Henricourt sann und sann. Er hatte nie an die Zukunft gedacht, nur der Gegenwart gelebt; auch an das Geheimnis Miras hatte er nie gedacht, doch selbst ohne dieses würde ihre Familie nie. in eine Heirat gewilligt haben. Von ihr lassen konnte er nicht mehr, er mußte sie er ringen um jeden Preis. Und als die Nacht abermals herabsank, wanderte ei wiederum über die Balustrade, doch diesmal hinein in die Villa, die sein Fuß sonst nie betreten. Totenstille herrschte überall, nach langem Suchen fand er endlich hinter einem schweren Vorhang auf einer Ruhebank die Gesuchte in be rückender Schönheit schlafend. Einen Augenblick zögert er — hat er ein Recht, eigen mächtig in das Schicksal des unschuldigen Kindes einzu greifen? Doch kein Zaudern darf sein, er tritt an die Ge liebte heran und wirft ihr ein Tuch über das Gesicht. Scharfer Karbolgeruch durchdringt das Zimmer, betäubt das schwüle Sandelholz-Parfüm desselben. Fred Henri court nimmt die bewegungslos Schlafende auf seine Arme und verläßt mit seiner süßen Last die Behausung, birgt sie in seinem versteckt gehaltenen Wagen, und dahin geht's in fliegendem Galopp der kleinen versteckten Villa zu, in der er sein Glück bergen will. Jetzt sitzt er in banger Pein an ihrem Lager, regungslos liegt sie vor ihm, ein schönes, lebloses Bild. Wie, wenn er sie getötet? Nur einer kann ihm helfen — Doktor Dun. Verzwei felt eilt er zu dem Freunde. Nach vielen vergeblichen Versuchen schlägt das Mäd chen die Augen auf, wirr blickt sie um sich, ein leiser Schrei entfährt ihren Lippen, als sie den Geliebten sieht. „Sie ist gerettet, Henricourt", sagt der Doktor, „Sie haben da verteufelt übereilt gehandelt. Um den Eklat zu vermeiden, hätte vielleicht doch ihre Familie einer Heirat zugestimmt. Jetzt heißt es tiefstes Schweigen bewahren!" „Mira, Geliebte, du liebst mich nicht, hast mich nie geliebt!" Das Mädchen, das träumend am Fenster steht, wendet sich: „Sahib, ich liebe dich mehr als mein Leben, ich bi« bereit, für dich zu sterben, nur gib mich frei!" „Ja! sehnst du dich schon zurück in die Welt, ist dir meine Liebe nichts? Weib, hast du mich verraten, be trogen? Sprich!"