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Goethe in Todesgefahr. Historische ReminiMnz von Friedrich Thieme. Ter 14. Oktober 1806 war angebrochen — da vernahm man schon den Tonner der Kanonen, die dumpfen Detonationen der Geschütze. Franzosen und Preußen kämpften auf dem Plateau bei Jena einen gigantischen Kampf, weiter und weiter zogen sich die geschlagenen Preußen mit ihren Verbündeten, den Sachsen, in der Richtung nach Apolda und Weimar zurück. Inzwischen drang die Sonne siegreich vor, einen heiteren Herbsttag verkündend. Ter Dichterfürst schritt unruhig in seinem Garten auf und ab. An seiner Seite befand sich Riemer, sein Sekretär und der Leh rer seines Sohnes. Aus der Ferne hörte man die unheimlichen Schläge, ihre zunehmende Deutlichkeit ver kündete das Vorrücken der kämpfenden Armeen. „Der Kampf hält lange an," unterbrach Riemer ein langes Schweigen. „Tas ist kein Kampf, sondern eine Schlacht," er widerte der Dichter ernst. „Die beiden Armeen sind aneinander geraten. Ter Himmel verleihe den un seren den Sieg, sonst — wehe uns und unserem ar men Lande!" Gegen Mittag wurde der Kanonendonner schwächer, die einzelnen Detonationen seltener. „So scheint das Aergste vorüber," sagte der Dich ter zu Christiane Vulpius,' die schon ein paar mal gefragt hatte, ob sie anrichten sollte. „Laß uns essen, liebes Kind!" Goethe setzte sich zu Tisch, doch kaum hatte er zu essen begonnen, so unterbrach plötzlich ein furchtbarer Schlag die herrschende Stille. Christiane erbleichte. Ter Dichter sprang auf. „Tas war bei uns in der Stadt." „Mein Gott, mein Gott," stöhnte das junge Weib furchtsam. „Horch — noch ein Schlag — noch einer — wahr haftig, das ist hier!" Ter Dichter eilte hinaus in den Garten. Hier sand ihn Riemer, auf und ab promenierend. „Tie Franzosen haben gesiegt," rief der Sekre tär, „die Preußen fliehen durch die Stadt." „Ich sehe es," entgegnete Goethe und zeigte aus die über der Gartenmauer sichtbar werdenden Ba jonette der fliehenden Infanteristen. Währenddessen dauerte das Schießen fort. Die siegreichen Franzo sen lagerten auf der Höhe vor der Stadt und feuer ten aus mehreren Geschützen aufs Geratewohl in das Hüusermeer hinein. Ueber den Graben hinweg sausten die Geschosse. Tie Straßen waren wie ausgestorben, alle Bürger ins Innere der Häuser geflüchtet. Eine unheimliche Stille herrschte, nur von den Kanonen schlägen unterbrochen. Plötzlich hörte man Pferdegetrappel. Französische Husaren sprengten in die Stadt. Ihre Absicht war, sich von dem Abzug der Preußen zu überzeugen. So bald dies geschehen war, gaben sie Signale, worauf weitere Detachements folgten. Goethe stand am Fen ster, als ihm ein französischer Offizier gemeldet wurde. Höflich ging er dem Fremdling entgegen Wie erstaunte er aber, als dieser sich als der Sohn seiner einst so geliebten Lili — Herr von Türkheim — zu erkennen gab. „Ich komme im Auftrage des Marschalls von Augereau," rapportierte er. „Ihr Haus ist zu seinem Hauptquartier bestimmt. — Fürchten Sie deshalb keine Plünderung." „Ich danke Ihnen, Herr von Türkheim; es soll sofort alles zum Empfange des Marschalls vorbereitet werden. Wann darf ich ihn erwarten?" „Heute abend noch. Würden Erzellenz die Güte haben, mich nach dem Schloß zu führen?" Ter Dichter war bereit. So schritte» beide durch die von Franzosen überfüllten Straßen. Tie anfäng liche Stille war einem betäubenden Lärm gewichen. Tie Soldaten donnerten wütend an die Türen und erbra chen dieselben, wo sie Widerstand fanden. Man hörie das Fluchen der Eindringlinge, das Klagen der Bür ger, das Schreien der Weiber. Aus einzelnen Ge bäuden schlugen bereits die Flammen empor. Mit Schrecken und Mitleid sah Goethe die Feinde imgrau- amen Geschäft der Plünderung begriffen. Als er nach Hause kam, fand er sein Haus von sechzehn Husaren besetzt. Christiane war in voller Tätigkeit, sie un terzubringen und zu bewirten. Einige Flüchtlinge aus der Stadt, die im Hause des Dichters Schutz gesucht hatten, unterstützten sie nach Kräften. Emsig wirt- chaftete das junge Weib in Küche und Keller, alle Angst war aus ihren Blicken verschwunden. Sie war nur noch Wirtin — die gute Wirtin, die Goethe immer an ihr gefunden hatte. Bewundernd sah er ihr Schalten und Walten. „Ist der Marschall eingetroffen?" fragte er. „Noch nicht — ich bin eben im Begriff, das Abendessen für ihn zu bereiten." Ter Dichter nickte und begab sich in die oberen Zimmer des Hauses, Riemer bittend, unten auf den Marschall zu warten. Auf den Straßen war es stock dunkel geworden, nur die hell aufleuchtenden Flammen der brennenden Häuser erhellten die Finsternis. Man vernahm im Hause das tobende Lärmen der Plünderer, dys Wehegeschrei der Geäangstigten, vielfach sogar mißhandelter Einwohner. „Entsetzlich, das mitansehen zu müssen und nicht helfen zu können," klagte der Dichterfürst tiefbewegr. Mit Schmerzen wartete er auf die Ankunft des Marschalls, in der Hoffnung, durch dieselbe vielleicht eine Besserung der Lage der unglücklichen Bürgerschaft herbeizuführen. Mein Stunde auf Stunde verging — der Herzog von Castiglione traf nicht ein. Goethe, nunmehr überzeugt, daß man ihn heute nicht mehr erwarten brauche, hüllte sich in seinen „Propheten mantel",- das weite Nachtgewand, das er zu tragen pflegte. Eben wollte er sich zur Ruhe begeben, da donnerten heftige Kolbenschläge an die Tür. Riemer öffnete bestürzt. Zwei französische Tirailleurs stan den draußen und Ibegehrten Einlaß. „Hier könnt Ihr nicht herein!" bedeutete sie der Sekretär. „Tas ist das Hauptquartier des Marschalls, auch liegen bereits 16 Husaren im Quartier." „Geht zum Teufel! Wir wollen essen und schla fen!" Was kümmert uns der Marschall!" polterte der eine der Eindringlinge. „Dürfen wir nicht durch die Tür, steigen wir durch's Fenster — hinein wollen wir schon kommen," schrie der andere. Riemer fand es unter solchen Umständen für ge raten, die gereizten Feinde einzulassen. Er führte sie in ein Zimmer, setzte ihnen Speise vor und Wein, so viel sie wollten. Aber die Männer gaben sich, damit nicht zufrieden. „Wo ist der Hausherr? Wir wollen ihn ein mal sprechen," riefen sie gebieterisch. „Ter Hausherr schläft." „So weckt ihn — er muß hierher — wir müssen mit ihm reden." Ter geängstigte Sekretär eilt« hinauf, um dem Dichter das Anliegen der halbtrunkenen Gesellen zu offenbaren. Goethe erklärte sich sofort bereit, es zu erfüllen. Wenige Augenblick« später stand er den Sol daten, in seinem weiten Prophetenmantel, aufgerichtet zur vollen Höhe seiner stattlichen Gestalt, mit dem imponierenden Jupiterkopf und sie anschauend mit sei nem gewaltigen Blick, gegenüber. „Hier bin ich. Was steht den Herren zu Dien sten — ?" Tie Tirailleure fuhren bettoffen zurück. Li« im- panierende Erscheinung verblüffte sie. Tie stammelten einige entschuldigende Worte. „Sie sollen mit uns anstoßen, haha!" „Sehr gern, meine Herren." Goethe setzte sich einen Augenblick zu ihnen, trank mit ihnen, fröhlich stießen sie an „Verzeihen Sie die Störung, mein Herr," entschul digte sich der eine der Franzosen. „Wir wollten üur das Vergnügen ihxxx. Gesellschaft genießen." -