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ar» Wren blödsinnigen Bruder zu verlausen. So gefühl- loSnnd fern von christlicher Gesinnung sie war, dennoch hatte in ihrem Innern das Gericht bereits begonnen. Sie empfand die Angst und Qual/eines tödlich verletzten Ge wissens, ohne die Kraft, sich zu dem Streben nach Besserung zu erheben, ja selbst ohne daß ein Gedanke des Bedauerns in ihr aufgelebt wäre. Das Schicksal Clarissens war für Claudia immer noch in undurchdringliches Dunkel gehüllt. Sie wußte lange schon, daß die Komtesse in der Nacht oder am Morgen nach ihrer Flucht sich nicht nach Rodehorst begeben hatte, und daß sie ebenso wenig später dort erschienen war. Die ein- getroffenen Briefe der Gräfin Heiklamm ließen keinen Zweifel darüber, daß derselben die verhängnisvollen Vor fälle in Tennenborn nicht zur Kenntnis gelangt waren. Bei ihr also konnte Clarisse sich nicht aufhalten. Das Ge heimnis war in bezug auf Clarissens Zufluchtsort so gut gewahrt worden, daß kein Hauch darüber in Tennenborn und in dessen weitester Umgebung verlautbar geworden war. Da auch sonst nach keiner Seite hin ein Anhalt über einen möglichen Verbleib Clarissens sich ergab, suchten die j Gedanken Claudias mit immer wachsendem Grauen sie ' in der Tiefe des Flußbettes. Milian dagegen hielt mit einem bereits an Wahnsinn streifenden Eigensinn den Glauben fest, seine Schwester be- , fände sich unter dem Schutze und im Hause der Gräfin Gunstorsf. Mit welchen unwiderleglichen Beweisen seine " Frau auch dieser Annahme widerstreiten mochte, er blieb unerschütterlich bei der einmal gefaßten Meinung und sprach immer wieder auf's neue die Erwartung aus, daß die Herrin von Rodehorst doch jetzt bald so weit genesen sein werde, um ihm ihren eigenwilligen Schützling wieder zuführen zu können. Claudia wagte bereits nicht mehr, dieser Behauptung zu widersprechen, denn dies rief jedesmal einen so furcht baren Wutau.bruch ihres Gemahls hervor und die Folgen eines solchen traten immer so viel auffälliger und beun ruhigender an den Tag, daß sie eS für geboten hielt, den in diesem Punkte so überaus reizbaren Mann nach Mög- lichkeit zu schonen. — Es gibt hin und wieder Junitage, welche uns lebhaft' an den Herbst erinnern. Die nicht sichtbare Sonne wirft ein nur mattes Licht durch die schweren, grauen Wolken schichten, welche vom Morgen bis zum Abend Wald und j Flur, Straße und Garten mit ihren Regengüssen Über- strömen. Wenn auch nicht die Fensterscheiben durch »'nen , gegen dieselben vom Winde geschleuderten Sturz schwerer ' Tropfen verdunkelt werden, so reicht doch die Aussicht ins ; Freie kaum über die nächsten Gegenstände hinaus, weil ein ! rieselnder und wehender Wassermantel alles Fernere dem i Blicke verhüllt. Solch ein stürmischer Sommertag schließt uns oft noch unerbittlicher in unsere Zimmer ein, als der schärfste Winterfrost. Dabei ertragen wir es zur Zeit der langen Tage viel widerwilliger, in geschloffene Räume ge bannt zu fein, als in der Periode der langen Abende, und selbst ein sonst gutlauniger Mensch kann durch eine derartige unzeitgemäße Stubenhaft zur Ungeduld gereizt werden. Wie viel mehr geschah das dem ohnehin so aufgereg ten Grafen Stammegk an solch einem sommerlichen Regen tage. Er brachte harte Prüfungsstunden auch für Clau dia. Sie würde aber heute die Langeweile, von welcher sie sich sonst bei jedem Alleinsein gequält fühlte, gern er- s tragen haben, denn die fast unausgesetzte Gegenwart ihres > Gemahls schloß für sie eine noch größere Marter in sich. Ihm dagegen schien eS unmöglich, längere Zeit al lein zu bleiben. Zwar duldete es ihn, infolge einer ver zehrenden inner« Unruhe, nicht lange an einer Steller al lein wie oft er pe auch verließ, immer von neuem suchte er Claudia- Gesellschaft auf, um sie nach seinen ziellosen Wanderungen durch sein weites Schloß durch seine Vor würfe zu reizen, durch seine tausendmal wiederholten Fra gen zu ermüden, durch seine abenteuerlichen Behauptungen und Pläne zu ängstigen und durch sein ganzes seltsames Benehmen »u auälen. Dte sing an, eine namenlose Furcht vor ihm zu emp finden, in welche sich etwas wie Abscheu mischte. Und als er nun wieder in ihren Salon auf- un- abstürmte, bald sie mit ihrer „verfehlten Jntrigue" verhöhnend, balv ihren Vater der Habsucht, ihre Mutter der Hinterlist zeihend, und jetzt Clarissens „scheußliches Benehmen" verfluchend, um im nächsten Augenblick ein leidenschaftliches Verlangen - nach der so grausam mißhandelten Schwester zu äußern, — da graute eS ihr vor dem eigenen Gatten. Sie begrüßte es deshalb wie eine Befreiung aus schwerer Lage, als sie am Nachmittage einen Wagen in den Hof rollen hörte; aber im nächsten Augenblicke sagte sie sich mit einem Gefühle der Enttäuschung, es müsse eine Wirt- schaftSfuhre. gewesen sein, denn in solchem Regen werde niemand Besuche machen! Als aber dennoch ein Diener erschien, um einen eben Angekommenen zu melden, freute sie sich gleichwohl nicht; denn der Name des Gastes war Ferdinand Gunstorfs, und die Gräfin sah jetzt mit nur zu peinlicher Gewißheit den heftigsten Auftritten entgegen. Milian befahl dem Diener in großer Hast, den Gra fen einzusühren, und dann bestätigten die ersten Worte, mit welchen er ihn empfing, sofort Claudias Befürchtungen. „Ah, Gunstorsf," rief er ihm entgegen, „Sie kommen gewiß als Abgesandter Ihrer Mutter, um mir die bevorstehende Rückkehr meiner Schwester zu melden." „Im Auftrage meiner Mutter komme ich freilich auch, lieber Stammegk, wenn es auch zunächst meine Absicht ist, Ihrer Erlaucht meine Ehrfurcht zu bezeugen," erwiderte Gunstorsf, Claudia mit ritterlicher Höflichkeit begrüßend. „Jedoch hat meine Mutter . . 7." Claudia fühlte sich von dem ängstlichen Wunsche er griffen, die Fortsetzung seiner Rede zu verhindern und un terbrach ihn deshalb mit der Frage: „Wie befindet sich die Gräfin heute? Dürfen wir uns der Hoffnung hinge ben, sie bald vollkommen hergestellt zu sehen?" „Ich danke Ew. Durchlaucht für Ihre liebenswürdige Teilnahme und freue mich, Ionen sagen zu können, daß Mamas Gesundheit kaum noch etwas zu wünschen läßt. Sie steht bereits wieder Gesellschaft bei sich, und daher ist ihr ein Gerede zu Ohren gekommen, welches vermutlich vollkommen grundlos ist. Dennoch hielt meine Mutter eS für ihre Pflicht, Ew. Erlaucht davon in Kenntnis zu setzen, weil es Ihre . . . «Hartem g Wht? * In Macksitz bei Plathe ermordete ein kriegs gefangener Russe die Tochter des Besitzers Böttcher durch sieben Schüsse und versuchte dann Selbstmord. * Der märkische Tabak (nordöstlich von Berlins« Schwedt, Prenzlau usw.) ist in diesem Jahre ausge zeichnet geraten. Die Blätter zeichnen sich durch Fein heit au».