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Milian. Numan von Marie Lenzen-SebreT nd. (24. Fortsetzung.) Claudia schnellte empor mit dein schrillen Ruse: „Ich »erbitte mir derartige Redensarten! — Seit wann aber ist dir denn Clarisse so ins Herz gewachsen, das; du dich aus ihrem klugen Vormund in ihren verblendeten Verehrer ver wandelst? Man könnte ja fast glauben,.das; mehr als ein Mitglied des Hauses Stommegk mit Wahnsinn behaftet sei!« Da sprühte aus den Allgen Milians ein Blick so un endlicher Wut, daß sowohl Claudia als ihre Eltern mit stockendem Atem einen neuen Ansbruch seiner tobenden^ Leidenschaften erwarteten. Aber sie täuschten sich. Mit knirschenden Zähnen und geballten Fäusten rang der zorn bebende Mann eine Weile mit sich selbst. Endlich machte er eine Gebärde gegen Clandia, als wollte er etwas Wider wärtiges vom sich schleudern, sagte mit dumpfer Stimme: „Ich will selbst mit Fräulein von Marlstein sprechen« — «nd verließ das Gemach. „Ah. das ist entsetzlich, entsetzlich!« jammerte der alte Gras. „Zu welchen Szenen sind wir nach Tennenborn ge- «mmen! Sind das Skandale! Ist das ein Benehmen, wie eS sich uns gegenüber ziemt? Ich sage dir, die Launen d^nes Mannes sind unerträglich, unverantwortlich, — ja wirklich unverantwortlich sind sie.« „Launen!« versetzte Claudia achselzuckend. „Als ob er je anders wäre. Es war immer schwer, mit ihm zu letzen; seit er aber mit seiner Schwester im Streit liegt, isi «S fast unmöglich geworden.« „Leider sind wir,« sagte die alte Gräfin sehr unzu frieden, „durch deine Unvorsichtigkeit in diesen Streit mit hineingezogen worden.« „Durch meine Unvorsichtigkeit? Ich bitte sehr, Ma ma, mich nicht so ungerecht zu beschuldigen.« „Je^muß deiner Mutter recht geben, Claudia," sagte der Gras. „Niemand als du hat das fatale Verhältnis zwischen Philipp und der Komtesse angeknüpft." „Das Verhältnis? Papa, als ob ein solches über haupt bestände! — Trotz der Verlobnngsanzeigen, die wir verbreitet haben, ist nicht von der entferntesten Annähc- cung zwischen Clarisse und dem dummen Philipp die Rede. Ganz kann ich es ihr auch nicht verdenken. Er war von leher ein Hohlkopf; aber so tölpelhaft, wie in der letzten Zeit, hat er sich nie benommen.« „Du führst Reden, meine Tochter," sprach die Gräfin Sinsfeld mit der Miene schwerer Kränkung, „durch die ich M der peinlichen Ueberzeugung gelange, daß alle auf deine Erziehung verwendete Sorgfalt nutzlos gewesen ist." „Und ich bin der Ueberzeugung, Mama, daß wir auf dem Punkte angelangt sind, wo es notwendig ist, die Dinge beim rechten Namen zu nennen. Clarissens Flucht und die Gründe, welche sie dazu veranlaßt haben, können nicht lange verborgen bleiben. Es möchte daher geraten sein, zu erklären: meine Schwägerin habe anfangs in die Ver- - lobung mit meinem Bruder gewilligt, später aber ihr Wort zurückgenommen und —« Diesen Vorschlag aber nahmen ihre Eltern wie eine Beleidigung auf, und der jungen Gräfin wurde jedes wei tere Wort abgcschnitten durch Fragen und Ausrufe wie: „Dazu glaubst du uns zu bereden? — Das ist ein schöner ! Rat! —Nachdem du die fatale Sache arrangiert hast, § alaublt du dick so kübl daru stellen zu können? — Du ball vte Geschichte begonnen und mußt sie nun zu einem guten Ende führen; du bist verpflichtet dazu, — Dn mußt Miliaw' zur Vernunft bringen, hörst du, zur Vernunft? — Welcher Verdruß wäre uns erspart, hättest du uns nicht auf diese unselige Idee gebracht!" Während Claudia diese Flut von mebr oder minder gerechten Vorwürfen durch wenig ehrerbirtis» Entgegnun gen zu entkräften suchte, trat Milian wieder ein. Er stellte als Tatsache hin, daß seine Schwester in Nodehorst bei der kranken Gräfin Gnnflorff sei, und knüpfte daran das Ver langen oder vielmehr den Befehl, sic für einige Tage un behelligt in ihrem selbstgewählten Zufluchtsorte zu lassen. Er werde, erklärte er, unter der Dienerschaft und dadurch auch weiterhin verbreiten, die Komtesse habe sich, einem augenblicklichen Einfalle folgend, zu ihrer Freundin, der Komtesse Gunstorsf begeben, uni sie bei der Pflege ihrer erkrankten Mutter zu unterstützen. In der Art, mit welcher Graf Stammegk seine gebie- ierischen Weisungen gab, lag etwas so Beängstigendes, so entsetzlich DrohenRs, daß Clandia und ihre Eltern sich ohne Widersprnch fügten und sogar nicht zu fragen wagten, auf welche Nachricht sein bestimmtes Wissen über Claris sens Aufenthalt begründet sei. Dieses beruhte freilich aus nichts Besserem, als auf den Vermutungen, welche Fräu lein von Markstein gegen ihn, wie früher gegen Claudia, ausgesprochen hatte. Obgleich Emma sich sehr vorsichtig ausdrückte, und die Möglichkeit, sich zu irren, wiederholt betonte, nahm er ihre Vermntnngeu als unumstößliche Wahrheit hin. Er klammerte sich an diesen Glanbcn, denn er empfand zu deutlich, daß das Zweifeln für ihn ein Ver zweifeln war. Für ihn gab eS nur zwei Möglichkeiten — entweder 'seine Schwester war geborgen bei ihren Freunden in Ro dehorst, oder ihre Leiche ruhte in der kalten Tiefe des Stro mes. In dem Moment, wo Claudias scheue Andeutung dies letzte, schreckliche Bild in seiner Seele herausbeschwo- ren hatte, war ihm urplötzlich ein furchtbares Selbstcrkcu- nen geworden. Von dem Augenblicke an wußte er, das; nicht seine Gier nach Reichtum und nach der Macht, die der Besitz verleiht, die einzige Triebfeder seknes Handelns war; er wußte jetzt, daß er seine schöne Schwester dem kläglichen Idioten hatte geben wollen, weil er sie keinem Bessern gönnte, weil er es nicht ertragen wollte, sie im Besitz eines ManneS zu wissen, der fähig war, ihre Liebe zu gewinnen. Mit dieser Erkenntnis kam eine überwälti gende Angst über ihn, und bei jeder Erinnerung an Clau dia und die Ihrigen tobt« ein wütender Haß durch seine Seele, so daß er selbst nicht zu unterscheiden vermochte, welche Folter die schlimmere war, der Gedanke an seine unschuldige Schwester oder das Bewußtsein seiner Zu sammengehörigkeit mit der verabscheuten Claudia und den Ihrigen. - (Fortsetzung folgt.) Scherz und Ernst. tf. Höchstes Heldentum. Nachdem bei Luna Wola der Uebergang über den Njemen erzwungen war, stieß die Division am 13. September 1915 bei Mostv am Niemen wieder auf den Gegner, der in starker Stellung lag. Seinen Hauptstützpunkt bildete das Dorf Mikie- lewszna, das durch sandige Hügel eingerahmt ist. Hier saß der Russe fest. Drahtverhaue, Maschinengewehre und starke Artillerie verhinderte das rasche Ueber- rennen des Geaners. Am 17. September wurde nach