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Dame Zonawsn. Humoreske von Lanthilt Germa«. (Nachdruck verboten.) „Tante Jonathan" nennen sie im Hause und in der ganzen Nachbarschaft die alte Frau Hintze. Warum? Weil sie immer und überall als Friedensrichterin sich ausspielt, wo zwei Menschen in Meinungsverschieden heit geraten. Sei es unter Freunden oder Nachbarn, sei es im engsten Familienkreise, sie braucht nur von dergleichen zu hören, um ungerufen zu erscheinen und zu schlichten. Dabei kommt bei ihren Schlichtungsver suchen gewöhnlich gerade erst Heller Zwist heraus — und viele behaupten, daß sie es mit Absicht so treibe, da« sie den einen Teil heimlich begünstige und dadurch beide noch mehr verhetze. Kurz und gut, seit einiger Zeit heißt sie nur noch „Tante Jonathan". Fritz Müller und Rudolf Wenk haben sich vor genommen, sie einmal gründlich hineinzulegen. Die Gelegenheit bietet sich, als sie eines Sonn abends spät abends mit blutigen Köpfen heimkommen. Cie haben einen Bummel durch den Norden Berlins gemacht. Als unzertrennliche Freunde und Berufs kollegen — sie sind beide Hausdiener in ein und demselben großen Geschäft — haben sie bei einer kleinen Keilerei Seite an Seite „gekämpft". Aus ihren Beulen und Schrammen, die sie dabei abbekom- men, machen sie sich nichts. Vergnügt wandern sie heim in die kleine kahle Stube, die sie in einem düsteren Berliner Hinterhause gemeinsam bewohnen. Uebrigens sind sie nächste Nachbarn der Frau Hintze. Als sie sich am andern Morgen waschen und dabei ihre blutrünstigen Verletzungen besehen, hat Wenk eine glänzende Idee. „Du — Fritz, jetzt wollen wir's der Tante Jo nathan aber mal gründlich geben. Sie soll endlich genug bekommen von ihrem Getue." Und er tritt dicht an den Stubengenossen heran und entwickelt ihm seinen Plan. Dann halten sich -beide die Seiten vor Lachen. Danach gehen sie voll Eifer an die Aus führung. Sie setzen sich beide die Hüte auf und drücken diese ziemlich tief in die Stirn, so daß! man von den Verletzungen nichts sehen kann. So, gleich sam zum Ausgehen gerüstet, öffnen sie ihre Stubentür, die direkt zum Treppenhaus hinausführt, treten bis auf die Schwelle und beginnen dort einen lauten Wortwechsel. Wie sie's vorausgesehen — alsbald öffnet sich die Tür gegenüber, und die Frau Hintze lugt vor sichtig heraus. Als sie ihre beiden Nachbarn erblickt, anscheinend im Streit, kommt sie eilig ganz auf den Treppenflur. Wenk und Müller tun, als sähen sie sie nicht. „Und doch hab' ich gestern das Bier für dich mitbezahlt," behauptet Müller heftig. „Du warst Wohl im Dusel, daß du dich nicht erinnern kannst." Wenk schiebt die Hände in die Hosentaschen. „Keine Spur von Dusel," bemerkt er verächtlich. Nun steht die Frau dicht bei ihnen. „Ha — was gibt's denn?" fragt sie mit lüstern funkelnden Augen. „Schämt ihr euch nicht, am schönen Sonntag morgen so aneinander zu geraten? Ist das Sonntags ruhe ?" „Mischen Sie sich doch nicht immer und überall ein," meint Fritz Müller spöttisch. „Wir sind nicht aneinander geraten, wir haben bloß etwas zu be sprechen." — Und er schiebt sie mit einer Armbewegung von sich weg. Frau Hintze wird kirschrot im Gesicht. „Es ist ein Elend," kreischt sie, die Hände ringend, „daß die Menschen nicht Frieden halten können. Und dann schiebt er mich noch weg, dieser Mensch, wo ich doch nur zum guten reden will. Warum zankt ihr euch denn eigentlich — um das Biergeld? Ich habe so was gehört." „Er behauptet, gestern für mich bezahlt zu haben," erklärt Wen! mürrisch. Immer noch steht er da mit den Händen in den Hosentaschen. - --„Das habe ich auch," trotzt Müller. „Oh — nun, wer weiß es — vielleicht wär der Müller nicht mehr ganz nüchtern —" „Was?" begehrt der auf. Und Wenk lacht laut. „Da hörst du'S, Fritz. Vorhin behauptest du, ich sei im Dusel gewesen, und nun sagt Frau Hintze dasselbe von dir." „Der Geier soll sie holen," schreit Müller mit einem Zornesblick und schiebt Frau Hintze abermals heftig fort. Sie erwidert seinen Blick noch giftiger. Das ist ' klar, daß sie nicht auf seiner Seite steht. Und sie tritt > nahe an Wenk heran. „Ich bin sehr für den Frieden," zischelt sie ihm zu. „Aber der Müller ist ein Grobian. Daß Sie ein nüch terner Mann sind, weiß ich doch." „Nun also — nun also —" „Vertragt euch," ruft sie jetzt laut. „Wie lange wollt ihr noch den Sonntag stören?" — Nun öffnen sich auf den Treppenabsätzen höher und tiefer etliche Türen. Menschen strecken die Köpfe heraus und kom men dann neugierig die Stufen herauf und herunter. „Da seht ihr's," triumphiert Frau Hintze. „Tas ganze Haus bringt ihr in Aufruhr. Wollt ihr endlich Frieden halten? Müller, Sie sind ein Vagabund, wie können Sie so gegen den Wenk vorgehen, der ein ordentlicher Mensch ist, und behauptet —" „Nicht wahr?" brüllt Wenk nun los. „Da hörst du's! Ich werd' dich lehren!" „Ja — komm nur her —" Schon liegen sie sich in den Haaren. Die Fäuste schwirren, die Hüte fliegen zu Boden. Beide sind ! nur noch ein Knäuel — — bis die entsetzten Zu- ! schauer aufschreien: „Aber sie bluten ja — sie bluten." !- Richtig, beiden rieselt es rot über die Stirn. Die ' Haare sind verklebt, man sieht große Schrammen und ; Beulen. - . Die Verschworenen haben sich nicht gescheut, die § Schrammen selbst wieder aufzureißen. Das gehört zum !i Programm, denn sie sollen doch aussehen wie ganz 2 frisch. Jetzt lassen sie voneinander ab, erheben sich, tasten ? an ihren Köpfen herum. „Zum Kuckuck," murrt Mül- ! ler. „Wirklich, ich blute. Und du auch, Wenk." „Wenn du so auf mich einhaust," knurrt der. § „Du hast doch angefangen." „Na ja — wenn die olle Hintzen mir doch recht i gab." „Der Geier soll sie holen. Sie hat dich erst so wütend gemacht." „Na — und erst dich." Die Zuschauer reißen Mund und Nase auf über das, was sich nun ereignet, denn plötzlich faßt Wenk die Frau rechts unter den Arm und Müller links. „Na- , türlich — sie ist schuld — sie! Wir haben uns doch ganz ruhig auseinandergesetzt. Was mußte sie sich einmischen ! — und Hetzen —" - Sie schleifen mit ihr davon und die Treppe hinab, j Ob sie sich noch so sträubt, es hilft ihr nichts. Die Männer rechts und links halten fest. ? „Wohin?" kreischt sie. „Zur Wache!" Da gibt's dann ein Hallo im Hause. An den hohen Hinterhäusern werden die Fenster aufgerissen, ! aus den Türen stürzen Leute, Große und Kinder, j und rennen hinter der seltsamen Gruppe her, die sich ! da über den Hof hinzerrt, durch den Torweg und auf die Straße. Draußen wächst das Gefolge mehr und mehr an, und daran ist die Frau mit ihrem Ge schrei selber schuld. Auf der Wache macht der Beamte sein strengstes Amtsgesicht. Er betrachtet die blutigen Schrammen und läßt sich dann von Müller berichten. Alle an dern donnert er zur Ruhe, auch Frau Hintze selbst. „Wir sind alte treue Stubengenossen, der Wenk und ich, und waren in einer ganz friedlichen Aus einandersetzung darüber begriffen, wer gestern abend das Bier bezahlt hat," erklärte Müller. „Ja — friedlich!" kann sich Frau Hintze nicht enthalten, höhnisch einzuwerfen.