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Engländer willkommen geheißen, als deren Flotte kam, um Toulon „im Namen Ludwigs des Siebzehnten von Frankreich" in Besitz zu nehmen. Sie alle waren verloren, wenn die Verteidigung nicht gelang. O'Hara, der Stadtkommandant, machte die riesigsten Anstren gungen, um die Belagerung abzuweisen; aber als Klein-Gibraltar verloren war, erkannte er die Ver geblichkeit jeder Mühe. Auch der Befehlshaber der englischen Flotte, Admiral Lord Hood, erklärte, daß Toulon nun nicht mehr zu halten sei, und verließ den Hasen. Er kreuzte draußen auf der Reede und nahm die Truppen nebst denjenigen Einwohnern auf, "die sich bloßgestellt hatten. Wohl an die vierzehntausend Men schen verließen auf diese Weise die Stadt. In einem engen Gäßchen, unweit des inneren Ha fens gelegen, gab es eine Weinschenke, die nur von Ma trosen besseren Schlages besucht wurde. Oncle Carditon, wie der Wirt genannt wurde, war ein anständiger Mann, der alles Gesindel von seinem Hause fernzu halten wußte. Taber war er ein guter Christ und eifriger Patriot. Es war einen Tag vor dem Sturm aus Klein- Gibraltar, als ein fremder Mann in die Schenke trat, in der zur Zeit kein anderer Gast weilte. Er trug die Kleidung eines englischen Marinematrosen und zeigte auch die dreiste Ungezwungenheit dieser Leute, denn er legte, nachdem er sich gesetzt hatte, die schmutzigen Füße auf den mit weißem Linnen gedeckten Tisch und stieß, mit der Faust aufschlagend, einen Fluch aus, um den Wirt herbeizurufen. Dieser trat heran und erkundigte sich in aller Höflichkeit nach dem Begehr des Gastes. „Wein!" sagte dieser. „Wenn Ihr von meinem Wein trinken wollt, so müßt Ihr ihn mit fortnehmen, denn hier trinken könnt Ihr ihn nicht. Wer mein Gast sein will, der hat sich so zu betragen, daß ich mich seiner nicht zu schämen brauche. In meinem Hause Pflegt man nämlich die Beine hübsch unter den Tisch zu tun." „Was gilt die Wette: Ich lasse die Beine, wo sie sind und bin Euch doch willkommen!" „Daran denkt kein Mensch! Ich ersuche Euch, schleunigst abzusegeln!" „Auch, wenn man mich hierher bestellt hat?" ,Msr?" „Robert Surcouf." „Surcouf? Der? Einen Engländer? Ah, das ist etwas anderes. Erlaubt, daß ich Euch ein Glas bringe!" „Nun, wer hat Recht?" lachte der Fremde. „Jetzt aber sehe ich ein, daß ich an die richtige Adresse ge kommen bin und werde manierlicher sein. Habt keine Sorge, Oncle Carditon, ich bin kein Engländer,. son dern ein Kind unserer guten Bretagne; ich war nur ge zwungen, mich in dieser Verkleidung durch die Feinde hindurchzuschmuggeln. Ist Surcouf daheim?" „Er ist da. Welchen Namen soll ich ihm nennen?" „Bert Ervillard." „Ervillard!" rief der Wirt erfreut. „Wirklich? O, warum sagst du das nicht gleich?" „Weil ich zum Spaß sehen wollte, ob du wirk lich ein so großer Brummbär bist, wie man sagt, Oncle Carditon." „Es ist nicht so schlimm, aber ich kann nun ein mal die Engländer nicht leiden. Wo hat dich unser Bote getroffen?" ,Ln Tropez. Surcouf wußte, daß ich dort zu fin den war. Hat er etwas gefunden?" „Ich weiß es nicht. Er ist sehr verschwiegen, was ich nicht tadeln kann." „Wie ich ihn kenne, ist er bereits im klaren. Ich bin erst vor zwei Stunden angekommen und weiß dennoch bereits, was ich tun würde. Da sah ich z. B. etne Brigantine, scharf auf den Kiel gebaut, schlank wie etne Taube und glatt wie ein Falke; sie hatte zwanzig Stückpforten und schien ganz vor kurzem vom Stapel gekommen zu sein. Das wäre etne Prise, he?" Der Wirt lächelte geheimnisvoll schelmisch. „Du meinst „The bentz", die da drüben vor Anker liegt? Za, ein feines Schiff! „La Pvule" würde besser klin gen als „The bentz", das ist wahr. Na, wer weiß, was sich ereignen kann. Surcouf sagte, daß ihm nichts zu schwer sei, wenn du ihm helfen würdest. Komm, ich will dich zu ihm führen." Er geleitete Ervillard eine Treppe empor, und als er zurückkehrte, bekam er weitere Arbeit, da ein Trupp Hafenarbeiter hereinstürmte und sein» Dienste in Anspruch nahm. Kurze Zeit später trat ein Mann ein, der in stolzer Haltung die vordere Stube durch schritt und in dem Hinteren Zimmer verschwand, das den Aufenthalt der Kapitäne und Steuerleute bil dete. Er besaß eine hohe, plumpe, ungeschlachte Ge stalt, und sein aufgedunsenes Gesicht hatte jene bläu lich-rote Färbung, die man vorzugsweise an Schnaps trinkern zu beobachten pflegt. In dem Angesicht des Wirtes zuckte es eigen tümlich, als er, ohne erst auf die Bestellung zu war ten, dem neuen Gast ein großes Glas voll Kognak nachtrug. Er grüßte ehrerbietig, aber ein aufmerk samer Beobachter hätte vielleicht doch einen verstoh lenen Blick belauscht, der auf eine ganz andere Ge sinnung schließen ließ. „Nun?" fragte der Gast kurz, nachdem er den Inhalt seines Glases auf einmal hinabgegossen hatte^ „Ich habe nachgesehen, Kapitän, und —" „Still!" gebot ihm der andere. „Laß deinen ..Kapitän" beiseite! Es braucht niemand zu hören, .rcr ich bin. Also du hast nachgeset-en?" „Ja. Es wird gehen. Nur müßt Ihr Euch mit genug Arbeitskräften versehen. Die Mauer ist schwer zu durchbrechen, und lange Zeit darf der Vorgang doch nicht in Anspruch nehmen." „Das ist richtig. Hast du niemand, der helfen kann?" „Nein. Ich will überhaupt dabei ganz aus dem. Spiel bleiben. Ich darf nicht das Geringste wissen, versteht Ihr? Es würde um mich geschehen sein, wenn man ahnte, daß ich im Einverständnis bin." „Aber woher die Leute nehmen? Diese Bür ger-Soldaten schießen so sicher, daß ich bereits den dritten Teil meiner Leute eingebüßt habe. Wie viele Personen werden erforderlich sein?" „Zwanzig ganz sicher." . „Ah, und ich habe insgesamt nicht mehr als vier zig! Ich brauche überhaupt neue Hände an Deck, und hier ist niemand zu bekommen. Weißt du keinen, der Lust hat, es einmal aus einem Engländer zu versuchen? Ich zahle dir für jeden eine Guinee." „Hm, vielleicht; aber ein Engländer ist es nicht." „Ein Franzose?" „Ja, doch hat er es sehr eilig, aus dem Lande zu kommen." „Das ist mir lieb; solche Leute sind am besten zu gebrauchen. Wo ist der Kerl?" - „Hm! Er muß noch hier im Hause sein. Und wenn ich mich nicht täusche, hat er auch einige Kame raden, die sich vielleicht beredxn lassen, auch an Bord zu gehen." „So schaffe ihn mir einmal herbei, aber schnell; ich habe nicht viel Zeit! Vorher jedoch bringe mir eine ganze Flasche Kognak; denn ein guter Schluck macht solche Leute willfährig." Der Wirt brachte das Bestellte und stieg dann abermals die Treppe emprr. Dort oben gab es ein kleines verstecktes Zimmer, an dessen Tür Oncle Car diton klopfte. Es wurde geöffnet, und zwar von Sur couf, der sich mit Ervillard ganz allein in dem Raume befand. „Was gibt es?" fragte der erstere. „Der Kapitän ist da," antwortete Oncle Cardi ton. „Er arbeitet uns ganz außerordentlich in die Hände. Er braucht Matrosen und hat mir eine Guinee versprochen für einen jeden, den ich ihm verschaffe." „Ah, Bert Ervillard, was meinst du dazu? Willst du erster Offizier auf „The ben" werden?" Die Augen des Gefragten strahlten vor Vergnü gen, als er erwiderte: „Robert Surcouf, du kannst dich aus mich verlassen. Sage mir, was ich zu tun habe!" (Fortsetzung folgt.)