Volltext Seite (XML)
Der Kaperkapuay. Von Karl May. Herausgegeben von Dr. E. Schmid. 3) (Nachdruck verboten.) Der Soldat gehorchte ohne Widerrede. Der Of fizier blieb vor dem Eingang stehen und befahl dem Priester: „Bürger Marfin, folge mir! Du sollst die Ehre haben, vor dem General zu erscheinen, der dich drau ßen in der Schanze sprechen will. Der Gefangene erhob sich und verließ still und gehorsam die Kammer. Der Offizier schob dem Sol daten ein versiegeltes Papier in die Hand und gebot ihm: „Hier die Bescheinigung, daß du mir den Gefan genen übergeben hast, Bürger Girard. Du wirst sie dem Bürger Colonel Bonaparte einhändigen, sobald er zurückgekehrt ist: für jetzt aber bist du abgelöst." Er entfernte sich mit dem Priester und schritt mit ihm an den Militärposten vorüber, zur Stadt hinaus. Draußen änderte er aber die Richtung und schwenkte links ab in das Feld hinein; an einer einsam gelegenen Stelle angekommen, blieb er halten. „Bürger Marfin, du stehst vor deinem Richter," sprach 'er mit derselben strengen Stimme, mit der er vorhin gesprochen hatte. Der Priester blickte auf. „Du?" fragte er. „Du wolltest mein Richter sein?" „Ja. Aber ich bin dir ein gerechter Richter, ich spreche dich frei." Und in völlig verändertem Tone fügte er lachend hinzu: „Vraiment, sogar der gute Pater Martin hat mich nicht erkannt." Bei dieser Stimme fuhr der Priester überrascht empor. „Robert Surcouf, ist es möglich?" rief er. „Pst, leise!" warnte der andere. „Da drüben gibt eS Leute, die sich sehr für uns interessieren. „Aber wie kommst du zu mir? In dieser Uni form? Weißt du, daß dein Spiel ein sehr gewagtes ist?" „Gewagt? Ah Pah! Diese Herren Maler und Aerzte, die es sich beikommen lassen, den General zu spielen, sind mir nicht gefährlich; aber vor die sem kleinen Colonel Bonaparte muß man sich ein wenig in acht nehmen. Du fragst, wie ich zu dir komme. Glaubst du etwa, daß Robert Surcouf der Mann, sein Versprechen nicht einzulösen? Und diese Uniform? Haha, sieh sie dir einmal genauer an! Es ist der Rock, eines Douaniers, eines Zollwächters, der ihn ausgezogen hat, weil er ihn auf dem Schaffst nicht mehr brauchte. Ich habe gute Freunde und Bekannte, auf die ich mich verlassen kann. Ich werde ein wenig hinein nach Toulon gehen, um zu sehen, was zu machen ist." „Tu dies ja nicht! Du wagst dein Leben!" „Sorge dich nicht um mich! Ich weiß ganz ge nau, was ich wage. Jetzt handelt es sich zunächst um dich. Du bist frei. Wohin gedenkst du dich zu wen den?" „Ehe ich dich traf, hatte ich die Absicht, die ita lienische Grenze zu erreichen. Drüben wird man für mich sorgen." „Du sollst sicher hinüberkommen, mein guter Pater Märtin. Ich kenne einige wackere Männer, denen du nach Frejus folgen wirst; sie werden dich auf einem Fahrzeug hinüber bringen." Er stieß einen leisen Pfiff aus, woraus zwei Ge stalten aus der düstern Nacht auftauchten. „Hier ist der würdige Pater Martin, ihr Leute. Ich übergebe ihn euch, weil ich Weitz, datz er in euren Händen ebenso sicher ist, wie in den meinigen. Gebt mir nun meinen Rock zurück, und nehmt diesen da für! Und jetzt, frommer Vater, wollen wir Abschied nehmen! Wir werden beide dieses Land verlassen, aber unsere Wege werden wohl nie wieder Zusammen treffen. Bete für mich, denn das Gebet eines Gerechten vermag viel, und ich werde es brauchen können!" „Gott segne dich, mein Sohn! Ich — —" Er sprach nicht weiter, denn Surcouf war bereits im Dunkel verschwunden, hatte ihm aber vorher etwas in die Hand gedrückt. Der Priester fühlte, datz es Geld war; er mußte den beiden Schiffern folgen, ohne es zurückweisen zu können. — Eine halbe Stunde später kehrte Napoleon von der Schanze in das Quartier zurück, und Etienne Girard beeilte sich, ihm das Schreiben zu überreichen. Es enthielt allerdings eine Empfangsbestätigung und lautete: „An den Bürger Colonel Bonaparte! Ich bestätige hiermit den richtigen Empfang eines Mitgefangenen, des frommen Paters Martin. Ich habe ihm die Freiheit gegeben, um ihn ungerechten Richtern zu entziehen und dem Bürger Bonaparte zu zeigen, datz der Bür ger Surcouf nicht bloß zu träumen, sondern auch zu handeln vermag. Er hat versprochen, sich ein Schiff zu holen, wenn man ihm keins gibt, und er wird sein Wort halten. Robert Surcouf." Der Korse ließ sich von dem Soldaten das Ge schehene berichten und starrte dann lange auf die Zeilen nieder. Sollte er den überlisteten Posten bestrafen? Nein. Er winkte schweigend, und der Mann trat ab. Napoleon hatte übrigens anderes zu tun. Tie beiden Generäle Carteaux und Toppet gaben näm lich die Besetzung eines Punktes, auf den sie durch Sur couf aufmerksam gemacht worden waren, nicht zu; desto klüger aber waren die Engländer, die plötzlich die Wichtigkeit des Ortes erkannten, 4000 Mann hinlegten und ihn mit furchtbaren Verschanzungen versahen. Diese Befestigungen waren so stark, daß sie den Platz Klein- Gibraltar nannten. Vor Aerger über diesen Fehler fertigte Napoleon einen Bericht an den Konvent ab, infolgedessen der Oberbefehl im November dem tapferen und einsichts vollen Tugommier übertragen wurde. Dieser erkannte, welchen Mann er in dem jungen Korsen besaß, und gab seinen Vorschlägen offenes Gehör. Es wurden ganz in der Stille die nötigen Vorkehrungen getrosfen, die volle drei Wochen in Anspruch nahmen; dann begann ein dreitägiges entsetzliches Bombardement auf Klein-Gibraltar, das dann im Sturm genommen wurde. Unter den Bewohnern der Stadt herrschte natür lich eine große Aufregung. Viele Tausende hatten sich an dem Aufstand gegen den Konvent beteiligt, und die