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„Ja, aber ich traf ihn nicht an. Er ist nach Aussagen des Portiers nach Breslau gefahren und kommt erst mor gen abend wieder. Morgen ist der Termin. — Weißt du, was für einer?* Frau Direktor Stakosch zuckte die Achseln. „Richt? So kies das Schreiben, ich fand es auf Va ters Schreibtisch und halte es für notwendig, daß wir davon Kenntnis haben. Der Vater spielt mit unserer E^ee da va banque." Veltens Bries knitterte in seinen Händen. Dann noch stärker in denen der Frau. Je Weiler sie las, desto tiefer verfärbte sich das Antlitz der Dtutter. Endlich war sie am Schlüsse. „Und waS will er in Breslau?" „Ja, Mutter, was durchfechten, ins Unglück hineinrenneu, mit sehenden Augen. Ich kann den Vater nicht verstehens Ist er denn von allen Erfolgen so ge blendet, daß er verkennt, was gerade und was krumme Straßen sdä>? Di.' Sonne bringt es an den Tag, Mut ter! Sag einmal, hast denn du deinen ganzen Einfluß auf den Vater verloren? Was sollen wir jetzt tun?" „Reise ihm nach und suche ihn zu bewegen, von sei- nem Vorhaben abzufiehen. Sage ihm: ich, deine Mutter, Joachim, ich wüßte alles, alles. Solange er nachgibt, könnte ich noch verzechen, hernach . . . O, Junge, Junge, großer, guter, braver Junge. . ." Er hielt sie in seinen starken Armen auf. Die Sonne umspielte vom Fenster her seiner Mutter leidende Züge. Leise ließ er sie auf das Plüschsofa in ihrem Zimmer gleiten. Ein Papagei von zweien, die ihr Bauer daneben hatten, rief immer in einemfort: „Joachim, Joachim, chim, chim, chim . . . ." „So, Mutter, jetzt wird's wieder gehen. Sitze nur aufrecht. Frieda und Dorothea mit Hilda will ich rufen. — Ich werde fahren, Mutter. Und heute abend noch wird er sich entschließen müssen: Schluß. Die armen Waisen sollen das Ihre haben und er soll ein ehrlicher Mann bleiben." „Er ist es ja nicht mehr, Joachim . . ." „Ja, Mutter, du hast recht. Und das ist ja eben das schlimmste an der ganzen Geschichte. Das hat mir schon vor einem Jahre geschwant, damals, als die Villa zu bauen begonnen wurde. Weißt du, da habe ich an Frieda geschrieben: „Die Stakoschs sind Angehörige einer Nie dergangsrasse und ihre Errungenschaften sind Verbrechen." Run ist es bittere Wahrheit geworden" Er hatte jedes Wort mit immer stärkerer Betonung einzeln und kalt gesprochen. Der Frau vor ihm war es, als wenn einer sie am lebendigen Leibe mit vollem Ver stände amputierte. Erst ein Bein, dann noch eines, dann , die Arme. Bis sie gliederlos war. Und wirklich war t es ihr, als sollte sie sich nimmermehr vom Flecke rühren, t so war ihr der Schrecken nahe gegangen „Wirst du ihm nachfahren?" „Natürlich. Mit dem Abendschnellzug bin ich in Breslau. Er Pflegt im Hotel du Nord abzusteigen. Ich werde ihn zu finden wissen." „Und wenn du ihn nicht gleich findest, dann suche ihn, fasse ihn, bringe ihn. Er muß . . . Joachim, er muß . . Und, was ich sagen wollte, bleibe um ihn. Er ist ein star rer Mann, furchtlos. Ich glaube, er würde sich auch nicht vor. . . ." „Mutter?!" „Ja, Junge, du sagst: Mutter! Es wäre nicht das erstemal, daß er das wollte. Er läßt nicht locker von sei nem Ziel. Vor fünf Jahren, ehe er geschworen hatte, hat er gesagt: der Bauer oder ich! Einer vor uns muß Wei chen, bevor Schwur gegen Schwur steht. — Damals fügte es das Schicksal, daß jener, ohne zu schwören, von dieser Welt schied. Ja, du hast recht, Junge, Vaters Errun genschaften sind ein Verbrechen!" Sie schwieg. Die Türe ging. Frieda Aßmann und die Geschwister Stakosch traten ein. Schweigen verbreitete sich im Raume. „Ich wollte mich verabschieden," sagte die Arzttochter. „Meine Eltern werden bereits mit dem Mittagessen auf mich warten. Sehen wir uns bald einmal wieder, Herr Stakosch?" Sie legte leit ihre Hand in die seine. Ein Hände» druck seinerseits, der ihr mehr war, als nur eine flüchtige Antwort. Dann nahm sie Abschied von Frau Stakosch und Töchtern und ging. „Das ist ein Mädel, wie sie in die Welt paßt," sagte Joachim ablenkend zu seiner Mutter, „sie weiß alles, sie kann alles, sie Hilst gerne jedem Menschen und verurteilt niemand." Dann speiste man auch in der Direktorsfamilie zu Mittag. Aber Dorothea und Hilda waren die einzigen Esser. Die Mutter hatte kaum eine Notiz von den Gerüch ten genommen und auch Joachim würgte die Bissen nur so mit Todesverachtung hinunter. Nach Tisch ging Joachim. Frau Stakosch aber wartete von dieser Stunde an mit Herzpochen auf die Rückkehr von Vater und Sohn. Taten los hajte sie an einem Erkerfenster Platz genommen. War's nicht töricht, auf die Rückkehr jetzt schon zg. warten, nmhdem er kaum gegangen war. Aber sie konnte sich nicht helfen. Um keinen Preis in der Welt hätte sie vermocht, sich jetzt irgendwie zu beschäftigen. Rattala, rattata . . . Wie der Schnellzug dahinsauste. Nun saß Joachim schon seit bald zwei Stun den im Abteil, draußen wurde es bereits Nacht, und konn te den Gedanken an seinen Vater nicht los werden. Schlechtes, unwirtliches Wetter war's. Herbststürmen! Bald würde wieder die schöne Bergheimat in zartem Schneekleide daliegen. Wie der Regen an die Wagenfenster prasselte? Schnellzüge jagten vorbei. Dann ein Personenzüg. Pause. Wieder einer. Lustiges Volk sang schlesische Hei» matlieder. Wie das so unzart und doch so eigenartig sckön klang. — Schschsch . . . fort war jeder Ton. Die Bremsen knarren. Ein Pfiff. Stillstehen der Wagenmassen. Bres lau — Hauptbahnhof! Alles ausfteigen! Hurtig verließ Joachim Coupee und Perron. Die lichtflutcnde Großstadt nahm ihn auf. Das Tuten und Töffen der Automobile tat ihm ein fach Wohl: das war etwas, wobei er seine traurigen Ge danken los wurde. Aber er hatte ja nicht Zeit, sich nm das Großstadtleben zu kümmern; zuerst mußte er ja fest stellen, ob sein Vater auch im Hotel du Nord wirklich ab gestiegen war, und sehen, ihn zu finden. Also voran. Der^Portier wußte nichts von einem Direktor Sia» kosch. Wenigstens bis jetzt sei keiner „eingeschrieben". I» den Restaurationssälen des Hotels war auch keine Spur seines Vaters zu entdecken. — Ohne viel zu überlegen, bestieg er die elektrische Bahn und fuhr nach der AlfftadL „Rechtsanwalt Dr. Königgrätzer", so hieß er ja Wohl. ES war ihm aus Justizrat Veltens Schreiben so erinnerlich. Er hatte sich rasch durchgefragt. Bald stand er im Bu reau des Anwalts, dessen Angestellte bereits zum Fort gehen angezogen waren. „Ist der Herr Doktor nicht mehr da?" „Nein, bei Justizrat Velten!" „Allein?" „Das ist uns nicht bekannt." „Danke." Joachim Stakosch stülpte wieder seinen Hut auf den Kopf und hastete die eckigen Stiegen hinab. Der Jnstiz- rat wohnte in der Schweidnitzer Straße, bald draußen, wo die Kaiser Wilhelmstraße anfängt. -Taxe!" „Ich bitte den Herrn, wohin, bittschön?" Der biedere Droschkenkutscher wischte das regnerische Naß von seinem Bocksitz und schüttelte die Decke ab. Als er das Ziel vernommen hatte, jagte er davon. Es war eine flotte Fahrt. Nun war's erreicht. Da droben war das ganze Stockwerk erleuchtet, in dem der Justizrat wohnte. Joachim lohnte den Kutscher ab und stürmte hinauf. Da das Bureau bereits geschlossen war, so gab er in der Privatwohnung seine Karte ab. „Der Herr Geheimrat hat zwar Besuch, aber er läßt bitten!" Das Mädchen riß die Türen auf. (Fortsetzung folgte l . , .. . '