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ZUR EINFÜHRUNG Bisher ist der in Krefeld lebendeKomponist Berndt Bosseljon in der offiziellen Musikwelt noch ziem lich unbekannt. Sein ,,Symphonischer Prolog“, also sein Vorspruch zu einem Sinfoniekonzert, ein Vorspruch mit sinfonischem Atem, entstand 1949. Das Werk spricht eine lebhafte und kraftvolle Sprache. Sie ist an der Orchesterbehandlung Hindc- miths geschult, was beim Blechbläsersatz besonders auffällt, aber auch der Streicherbehandlung ihren Stempel aufdrückt. Bosseljon bemüht sich um eine Einheit der musikalischen Gestaltung, wobei ihm die Polyphonie ein wertvolles Hilfsmittel ist, wobei der Rhythmus einen Hintergrund abgibt, der das Ganze zusammenhält. Aus einem hämmernden Motiv der Bläser, ähnlich dem Anfangsmotiv der Fünften Sinfonie Beethovens, entwickelt sich der Prolog. Sofort ist der Hörer inmitten eines drama tisch-kraftvollen Geschehens, das unvermindert bis zum Schluß anhält. Mit demselben Motiv, in seiner Vergrößerung gebracht, zugleich aber von einer rhythmischen Variante sekundiert, schließt auch der Satz, damit die Einheitlichkeit besonders unter streichend. Die Streicher verleihen ihm etwas Un ruhiges und Dramatisches, nur an einer Stelle singen sie eine breite, gehaltvolle Melodie, die aber von rhythmischen Bläsereinwürfen begleitet wird, die die dramatische Unruhe weitertragen. Die Oboe stimmt etwas später eine weitgespannte Melodie an, die von Flöten und Klarinetten fugatoartig auf gegriffen wird. Der Schluß beschwört Beethovenscher Pathos, wobei die Ähnlichkeit des nunmehr auf Achtel verkürzten Eingangsmotives mit dem Schicksalsmotiv aus der Fünften sehr auffällig ist. Mit einem glanzvollen Aufschwung schließt das Werk, von einem Komponisten Kunde gebend, der mit großem handwerklichem Können eine Entwick lungsphase der Neuen Musik beherrscht, die durch Hindemith ihre Prägung erhielt. Was er zu sagen hat, ist durchaus eigen und zeugt von einer Persön lichkeit, die Beachtung verdient. Fr6d6ric Chopin (1810—1849) ist der große, un erreichte Poet am Flügel. In den Kleinformen zeigt sich seine Größe und seine Vollendung, die er in den großangelegten Klavierkonzerten und Sonaten nicht ganz erreichte. Chopin war ein so ausschließ licher Komponist für sein Instrument, daß in seinem 1829 geschriebenen f-Moll-Klavierkonzert der Orchesterpart etwas spärlich davongekommen ist, so daß zwischen dem bezaubernden Klang des Klaviers und der stumpfen Zurückhaltung des Or chesters ein Mißverhältnis besteht. Der Solist ist in diesem Werk jedoch die Hauptsache, so daß dieser kleine Mangel nicht ins Gewicht fällt. Dem Solisten ist allerdings Gelegenheit zu einem vir tuosen Können gegeben, wie es in der Klavier literatur fast einzig ist. Chopins Vorbild ist Paga- nini. Aber die Virtuosität ist niemals Selbstzweck, sondern immer Mittel, einen poetischen Zauber zu verwirklichen. Die vielen andeutenden Beiworte in der Klavierstimme: mit Gefühl, mit Seele, mit gro ßer Delikatesse, verhauchend, leidenschaftlich, deuten an, was Chopin aussagen will. Er beherrschte die Kunst der schmückenden Verzierung wie kein anderer: Vorschläge, Triller, prasselnde Arpeggien und Läufer in allen Lagen, subtilste Pedalbehand lung, Terzen- und Sextengriffigkeit und die erstaun lichsten Sprünge kennzeichnen seinen Stil. Immer kommt jedoch auch sein von seiner Mutter ver erbtes polnisches Blut zum Durchbruch — und der lungenleidende Chopin verströmt sich in den leiden schaftlichsten Ausbrüchen urromantischer Kunst. Der Schlußsatz, einem Rondo ähnlich, bringt diese brillante Leidenschaft am stärksten zur Geltung. Paul Büttner (1870—1943) ist eng mit Dresdens Musikkultur verbunden. In Dresden geboij^B studierte er hier bei Draeseke Komposition, wuWP am hiesigen Konservatorium Lehrer und später Direktor und hatte dadurch einen entscheidenden und günstigen Einfluß auf Dresdens Musikleben. Er war ein bedeutender Komponist von durchaus eigenem Profil, der vor allem auf dem Gebiete der Kammermusik, der Chorkomposition und der Sin- fonik Großes leistete. Mit seinen vier Sinfonien errang er europäische Geltung. Seine Tonsprache ist an Richard Strauß geschult, sein Orchestersatz klingt erstaunlich gut, seine Einfälle sind klar geformt und von durchaus eigenem Gesicht. Seine zweite Sinfonie in G-Dur ist zunächst von der äußeren Form her ungewöhnlich. Die übliche Vier- sätzigkeit zieht Büttner zur Dreisätzigkeit zusam men, indem er den dritten und vierten Satz zu einem Satz zusammenschweißt, in welchem aller dings der langsame Teil in der ,,Introduzione“ deut lich sichtbar bleibt und das Finale, das sich daraus entwickelt, in ein lebhaftes Rondo ausläuft. Auf einem rhythmischen Hintergrund hebt sich zu Beginn eine gefühlsgesättigte Melodie der Bratscher ab, in die bald kontrapunktierend die Violinen ein fallen. Dieses thematische Material entfaltet sich mit dramatischer Ausdruckskraft, auf Konflikte zusteuernd und sie lösend. Der erste Satz hat eii^a grandiosen Schwung, der bis zu seinem Schluß^B vermindert anhält. Die rhythmische Kraft ist staunlich, sie wird im Scherzo (dem zweiten Satz) unvermindert weiter eingesetzt. Dieses Scherzo zeugt von einem wahrhaft musikantischen Tempe rament und von einer außergewöhnlichen Fähigkeit zu einer bannenden Orchestergebärde. Mit einer nach Moll gewendeten schwermütigen Melodie der tiefen Streicher beginnt die langsame Einleitung (Introduzione) des letzten Satzes, die bald unter brochen wird von einer kraftvollen Blechbläser episode, worauf die wehmütige Stimmung des An fangs nochmals aufgegriffen wird, um bald wieder in eine kecke Stimmung lustiger Jagdmotive um zuschlagen, woraus sich das frische Rondo ent wickelt. Dieser Schluß hat eine herrliche Lebendig keit, die es verständlich macht, daß Büttners Schaffen weit über Dresdens Mauern hinaus Be achtung fand und findet. Joh. Paul Thilman.