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Erst nach längerem Gespräch hierüber meinte er wieder: „Und nun, wollen Sie einmal den Weg nach dem Frie- fensteinhof machen? Ich habe es mir überlegt. Sie kön nen den Bauer immerhin einmal zu mir auf das Zechen bureau bestellen, vielleicht habe ich bis dahin ein Unter kommen für den Mann gefunden.* „Unter diesen Umständen bin ich selbstverständlich gerne bereit, die heikle Mission zu srchmen. Was meinen Herr Direktor Stakofch dazu, we»e. .»/ warte, bis Joachim von seinem Frühritt hsimkommt und ihn dann mitnehme, ohne ihn in die Zwecke meiner Expedition ein zuweihen. Zudem bin ich wirLich ein schlechter Reiter, und so wäre es mir doppelt lieb, wenn ich einen kundi gen Sattelfreund bei mir hätte." „Dem stimme ich zu. Aber Vorsicht, Herr Quint, daß mein Junge nicht Pulver riecht. Also, auf Wiedersehen nach Ihrer Rückkehr!" Mit festen Schritten verließ der Hauslehrer das Ar beitszimmer des Direktors, wies den Diener an, den jun gen Herrn zu bitten, nicht abzusatteln, wenn er heimgerit- ken komme, ihn von der Rückkehr desselben sogleich zu ver ständigen und inzwischen den Schimmel zu satteln. „Verstehen Sie? Ich muß mit dem jungen Herrn einen Ausritt besorgen. Inzwischen gebe ich weiter Hilda und Dorothee Stunde. Kommt aber Joachim bis elf Uhr nicht zurück, dann satteln Sie den Schimmel für mich eo ipso." Behende stieg Herr Quint die Treppen empor. Als er auf den Flur des dritten Stockwerkes der Villa kam, wel ches zugleich der Dachstock war, in dem das Unterrichts- zimmer lag, scholl ein gellendes Gelächter aus demselben. Nahe der Tür, hörte der Hauslehrer die ein wenig dich terisch veranlagte Dorothee mit glühendem Pathos gerade noch einmal deklamieren: „Kennst du das Haupt, das braune Locken schmücken Und ein paar Augen diamantenklar? Ein edles Männerhaupt. Es muß entzücken. Und wie!? Das eben ist ja wunderbar. Des Guten Nase ist zu spitz und länglich, i Des Mannes Mund? — O, schweigen wir voll II.ui. j Denn jedes Wort darüber ist bedenklich Und wär', wie seine Rede abgeschmackt. s Ein Stück Satyr-, das die Welt durchwandelt, Ist dieses große, hag re Menschenkind. Scheinbar wohl einem Zirkus abgchandelt: Ter arme Peter Friedrich Markus Quint!" Noch einmal lachte Dorotheens Schwester Hilda, dann auch sie selbst über diese Reimereien, und als dann iwtnnen endlich alles still war, trat der unfreiwillige Zeuge der Verspottung seiner Person in das Zimmer ein, wo die beiden Mädchen in ähnlicher Allotria ihre unbeaufsichtigte Zeit verbracht hatten. Zuerst hatten die beiden am Fensterkoof stehenden Schwestern den Hauslehrer gar nicht bemerkt. Dann stieß Dora die Schwester ziemlich unsanft und meinte: „Du, da paß doch schon auf, der Herr Peter ist da." Doch sie hatte die Vorsicht geübt, nur so halblaut zu sprechen, daß davon nichts zu den Ohren des Eintretenden arang. „Peter Friedrich Markus Quint," fragte der Haus lehrer die sechzehnjährige Dora, während sie sich zu wei terer Arbeit um den Tisch setzten, „wo hat denn das Seine Fräulein diese Weisheiten her?" Die Angeredete kaute verlegen an ihren Fingernägeln und schwieg. Als sie auf einen fragenden Blick auch im Schweigen beharrte, forschte er nicht weiter nach. Ener gisch und dennoch wohlwollend führte er die Stunde zu Ende. Es hatte bereits elf Uhr geschlagen, die Un terrichtsstunde war vorüber, und Herr Quint schritt die Haustreppe hinab. Daß Joachim noch nicht zurück war, dachte er. Der Zunge mußte doch wissen, daß sein Vater sonst gegen solche ausgedehnten Spazierritte um die Mittagszeit war. Zudem in Winterszeit. Wenn er das Pferd wieder mit Galoppritt bei der Jahreszeit abhetzte, so konnte das un berechenbare Folgen haben. Und wo er nur steckte. Ob etwa doch. . Quint machte sich so seine Gedanken über die Vermu tungen des Direktors. Ta hörte er, während er das Sornerra-u der Vista durchquerte, bereits das Schnaufen des für iä: griatt ten Schimmels. Rasch begab er sich in sein dem Garren - i liegendes Zimmer, kleidete sich rittmäßig an uns bestieg kurz darauf die Stute. Die herrlichste Winterfonne lag ans den Legen, cUs er so die Be'rglandschaften durchquerte. Hin und wicr.r schlug dem seltenen Reiter ein mit weißen Flocken e.- schmückter Ast einer Fichte am Wegraine ins Gesicht or r streifte seinen Anzug. Das Beste war aber die Luft. A wie die Frische um ihn her, ihm, dem Bücherwurm u o Gedankenhelden, Wohl tat. Er atmete mit vollster Kra - anstrengung so tief, als er nur irgend konnte. Sob. e reine Winterlust sollte er in einem großen Sack hcimn: -- men können. Die Stubenluft in der Villa war ja nicht schlecht, ihr Wintergarten sogar einfach pompös.. Ab.r eine solche Natürlichkeit war ihm lieber und herzerfrischen der, als jene künstliche in der Behausung des Grubendirch tors. In angenehmem Tempo folgte der Schimmel feiner Zügelführung. Quint schien das Reiten sichtlich zu gest len. Er hatte ja diesen Weg ttilweise schon manchmal si ch seinem Aufenthalt als Hauslehrer bei Direktor StakoKa allein oder mit Joachim im verflossenen Herbst gemaä i. Aber von dem Ausblick, wie er ihm jetzt von dem erbeb ten Sattelsitz geboten wurde, hatte er noch nie etwas ae- spürt. Das war ja mehr als nur ein hoheitsvolles Berg- Panorama, was sich ihm da in winterlicher Pracht zeigte. Vor ihm der aufsteigende Weg zu den Höhen der drei Friesensteine, den er bis zur Abzweigung des noch steue ren Weges auf den höchsten von ihnen zu verfolgen Hane. Neben ihm jetzt das Tal des Schwarzranns, fernerhin die verschneiten Tiefen und Höhen des im Spätsommer, als er noch nicht hier weilte, abgebrannten Silberwaldes. Wie schien ihm plötzlich die Welt der Berge, die Welt des Waldes, doch so schön, so unsagbar schöm Er kam sich vor, als wäre er plötzlich ein ganz anderer Mensch geworden, so ein echter Höhenwanderer, so ein Schwärmer für Schönheiten der Natur. Gerade so, wie — In Gedanken sprach er den Namen Joachims aus. Er konnte dem jungen Manne jetzt nachfühlen, wie es kommen könne, daß man mehr Gefallen an der Freiheit der Natur haben könne, als am Lernen und Studieren, mehr Freude am Sichausleben, als am Werden, am langsamen Vor wärtsbilden des Menschengeiftes bis zu der Höbe, die die menschliche Gesellschaft in ihrer Rangordimng vorschrieb. Ein paar Bauern kamen an ihm vorüber, hinter ibnen einige Frauen. Die ersteren führten ein lebhaftes G.- spräck miteinander, die nachfolgenden Frauen trugen Kör be auf dem Rücken. Es machten Leineweberfrauen sein, die jetzt auf Absatz ihrer Warenvorräte im Hinblick auf dos immer Verdienst bringende, nahende Weibnachtsscst in der Umgegend bedacht waren. Die Bauern waren wohl die Bewohner der einzelnen kleinen Höfe, die abseits und an der Landstraße, die beri- hinan führte, lagen. Es war die Bergstraße von Sch-üe- deberg nach Knpferberg, die er jetzt ritt. Dann kam die Wegkreuzung. Der Weg, der ein w., r rechts umbog, war die Straße, die zu der höchsten Kur - der Friesensteine führte. Dort oben lag der Friesenstci - Hof des Bauern Lepach. Eine halbe Stunde bergan ' >r er Wohl von dort aus bereits langsam geritten, ' m ein junges, winter lich vermummtes Mädchen ihr regen. Als er es sab, riß er die Zügel an und stieg r „Ist es wohl noch weit hinauf bis zmn Hofe des Bauern Lepach, Fräulein?" „Mein Vater ist nicht daheim, Herr, wenn Ihr zu ihm wollt. Er ist nach Schmiedeberg hinunter, um nacv Arbeit zu sehen. Der Winter wird halt bart und .. ." „So, Sie sind die Tochter vom Friesensteinhof? Ibe Herr Vater hatte sich auch um einen Posten auf der „Za- renzeche" mehrfach beworben. Da komme ick, um ibn i n Auftrage des Herrn Direktors aufzusuchen und ihm u eröffnen, daß er sich in das Zechenbureau bemühen möcknc. möglichst noch heute vormittag." Er bemerkte, wie Rosel nachdenklich wurde (Fortsetzung folgt.)