Volltext Seite (XML)
„Alwine," hörten dann draußen die Kinder den Vet ter drinnen in der Stube bei der Toten sagen, „nun bist du hinüber gegangen in die andere Welt, ohne daß ich da heim war. Und noch Aergernis hat dir mein Fortsein be reitet. Jawohl, die Rosel sägt es ja. Du selbst hast den Demmig von dir gewiesen. Aber ja, Alwine, du hast recht daran getan Wir haben nie Schulden gehabt und haben auch jetzt keine Schulden mehr, denn dem Demmig- Karle sein Geld liegt dort in der Kommode Wohl beiein ander Warte, ich will es flink holen." Und dann hörten die Kinder den Vater ein Zündhölzchen anreißen, dar auf ein pfeifendes Geräusch von dem Aufziehen der Schub lade und dann ein Klingen von Goldstücken. Klirr, klirr, klirr. Darauf ward von drinnen her ein Zählen vernehm bar. Eins, zwei, drei, vier und Weiler bis hinauf zur dreistelligen Hundert zählte der Vater. Inzwischen hatte Rosel wieder einen Zylinder ge funden. Nun leuchtete die Petroleumhängelampe durch den Raum der Flurküche, matt und traulich, als wäre in diesem Hause ein heimatliches -Glück zu Hause. Und doch kam es den Kinder nicht aus dem Sinn, daß nebenan der Vater bei der toten Mutter weilte und mit ihr redete, als wenn sie noch lebte und Anteil nahm an den Sorgen des Tages. Fränzel wenigstens, dem Rosel jetzt sein Mittagbrot zugeschoben hatte, nagte mehr an dem Löfsel, als daß er suppte. Auch der Christel, die zum Nachtmahl eine Kante derbes Brot vor sich hatte, schien es nicht recht zu munden. Immer wieder spähte eines nach dem an dern nach der Kammertür, ob der Vater nicht bald her aus käme. Gesprochen ward kaum ein Wort in dem Kreise der Geschwister. Nur einmal meinte Christel: „Rosel, so iß doch auch etwas zur Nacht und richte dem Vater das Abendbrot. Der Vater war den ganzen Nachmittag unter wegs und wird kaum etwas genossen haben." „Hast recht," entgegnete Rosel da und schickte sich an, dem Vater Schnitten mit frischer Butter zu streichen und Milch zu-Wärmen. Da ging die Kammertüre und der Vater ersckien mit der Kerze in der Hand im Rahmen der Türe. Er stellte den Leuchter auf einen Wandvorsprung, ging noch ein mal in das Totenstübchen zurück und brachte dann ein Säckchen mit reichlichem Gewicht heraus. Es war der Geldsack mit den hundert Talern für den Demmig-Karle. Langsam trug ihn Reinhold Lepach herzu und warf ihn mit einem leisen Seufzer auf den Küchentisch, daß es klirrte. „Da ist das Geld für den Lumpen, der die Mutter in die Grube gebracht hat! So ein wortbrüchiger Mensch!" Und er setzte sich neben Christel auf die Küchenbank und vergrub das Gesicht in den Händen. Rosel aber trat behutsam herzu. „Vater," meinte sich freundlich, „hier ist ein wenig heiße Milch und ein paar Schnitten habe ich dir zurecht gemacht. Iß doch ein wenig, du mußt ja viel Hunger haben." Mürrisch schob Reinhold Lepach den Milchtopf bei seite. „Laß man Rosel. Ich habe keinen Atom von Hun ger. Mir schnürt der Kummer die Kehle zu. Du kannst es Mir glauben. Muß dieser Mensch daher laufen und Lärm schlagen. Freilich, ich hatte ihn ja bestellt! Aber er hatte -och immer versprochen, daß die Sache unter uns Män nern bleibe. Und ich habe ihn ja auch nicht narren wol len. Da liegt ja sein Geld. Stimmen tut es auf Heller und Pfennig. Warum hat er denn der Mutter das an tun müssen. Weil ich geschwiegen hatte? Habe ich nicht geschwiegen, um die kranke Mutter nicht noch mit Unter haltungssorgen zu Plagen, zu quälen und ihr so die schwe ren Tage der Krankheit noch schwerer zu machen? Ach Rosel, wie ist doch das bischen Leben so unendlich schwer! Ach, wie sind doch die Menschen so schlecht und so herzlos." „Lieber Vater, so iß doch ein wenig. Die Milch wird Kiü>er ganz kalt!" „Laß W nur kalt werden, Rosel, ich kann nicht, wirk- I Uch nichts" Langsam erhob er sich dann. Mit schweren Schritten durchquerte er die Küche und polterte im Grun de derselbe» die alten Treppeustiegen empor, die auf den iiAchchraUm führten. Da oben in einer noch bewohn baren Kampier, wo die Rojel schlief, da furche er -.noos. Nur das weißgelbe Mondlicht, das vom Firmament der hier hereinlugte, erhellte das Kämmerlein notdürftig. Doch es dauerte gar nicht lange, da hatte Reinbold Le pach, was er suchte. Fest preßte er cs an sich, als er ge funden hatte, und stieg mit ein wenig leichteren Schritten die Stiegen wieder hinab. Drunten legte er auf den Küchentisch, was er heruntergeholt batte. Ein Buch. Ein altes, abgegriffenes Buch! „Bringe mir Tinte und Feder," wies er die Christel dann an. Und als die Tochter beides ihm brachte, setzte sich der Herr vom Friesensteinhofe hin und trug mit eckigen, un schönen Schriftzügen in eine der Vorderseiten der alten Bibel auf der Seite, wo seiner Frau Geburtstag vermerkt stand, ein: Gestorben am 2. Juni des Jahres 18 . . in der Lepachbaude auf dem Friesensteinhof! Eine heiße Träne netzte noch die feuchte Schrift. Dann aber reichte er Rosel die Bibel binüber und meinte: „Da lies jetzt den Geschwistern die Geschickte von dem Tode des Herrn auf Golgatha vor. Ich selbst will hinein in die Kommer und bei der Mutter ein Vaterunser beten. Und dann wollen wir schlafen gehen. Seid auch dann recht stille im Hause! Der lieben Mutter tut ja die Ruhe so not!" Und damit schloß er hinter sich die Türe nach der Kammer der Toten. Um den Tisch aber in der Flurküchc saßen die Ge schwister beisammen und hörten andächtig Rosel zu, ohne Müdigkeit zu zeigen. Erst als von der Schwester Lippen die Worte erklan gen: „Es ist vollbracht!", da begann der Fränzel i. n Köpfchen auf die Schulter Christels zu legen. Das Sano- männchen kam und nahm den kleinen Geist mit sich fort in die Regionen der Traumelfen, der zierlichen Nixen und den zauberhaften Höhlenraum der Waldschrate. Und Ro sel brach ab. Ohne drinnen den Vater zu stören, stieg Rosel zu issrer Kammer im Dachstock empor, nachdem sie zuvor die Geschwister in ihre Betten in der Hinteren Kammer, die sich von der Küche aus an die der Eltern anschloß, ge bracht hatte. Drinnen aber bei seiner Alwine hielt Reinbold Le pach bei weit geöffneten Fenstern die Totenwache. Ein kleines Nachtlicht nur hatte der Mann angebrannt und das verbreitete in dem schmalen Raume ein magisckcs Halbdunkel von phosphornem Schimmer, ähnlich wie cS in den Palästen des Morgenlandes geberrsckt baben moch te, als die Märchen von tausend und einer Nacht von de« Lippen einer begabten Schönen flossen. Draußen, rings auf dem Friesensteinbof, webte die Nacht ihre düsteren Schleier, und ein ganz leises Rauschen zog durch die Natur, als irrte ein seltsames Heer von Ge spenstern umher, voran der Erlkönig in nebeligem Ge wände. — Rastlos aber drängle die Nacht dem Tage ent gegen. — 2. Kapitel. Schwere Schritte hallten von steinigem, abschüssige : Wege in den erdämmernden Morgen hinein: Grubenar beiter strebten in Scharen der Schmiedeberger Zeche zu. Der Andrang zur Tagschicht war nn -r ein reger und eS waren auch ein paar „Grubenmc"^ nämlich Frauen, darunter, die über Tage mitbei -< wurden. Fra: mr waren es natürlich nicht alle: ,u.. Mädchen über sech zehn Jahren waren auch dabei. iber man machte da wenig Unterschiede. Alles Weibliche hieß eirHach krrzweg „Frau". Männer und Frauen trugen fast durchweg ie eine Blechkanne mit sich. Sie enthielt zumeist den Krüb- stückskaffee. In der Mehrzahl war es kaum Bohnenkaffee, und wenn es nicht einen besonderen Mischmasch von Korn- und Bohnenkaffeeaufguß vorstellte, was in den Kannen war. dann pflegte es der verbotene sogenannte „Untertagetrunk" zu sein: verdünnter Kornscknaps. Aber man durfte ja nicht denken, daß es die bekannten Trinker waren, die den Alkohol in die Zeche schmuggelte«. Die Schmuggler dieser unter Tage ost käuflich gesuchten Ner venauspeitschung waren in anderen Reihen zu suchen. »