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6bend§tunde " onterkZlkingzhellZge 2ü? WMmtL-Sritimg Amtsblatt) Die Waisen vom Friesensteinhos. Roman aus den schlesischen Bergen von Gerhard Büttner. B) (Nachdruck verboten.) Heimwärts zog es ihn heute zu Frau und Kindern, wie selten je. Wie er sich doch heute den halben Tag lang so allein gefühlt hatte. So ganz, als hätte er alle seine Lieben verloren und wäre nun wieder allein gestanden in der weiten, rauhen Welt. Gerade so, wie ehedem, als er noch Junggeselle war, als er noch nicht wußte, was eine Familie und ein eigener Herd zu bedeuten vermögen, ehe dem. als cr noch nicht wußte, was es heißt, wenn statt eines so viele Hungrige nach Brot rufen, oder auch nur mit den Augen darum bitten. Ja, und so war alles ge- kommen im vorigen Herbst! Und kummervoll mußte er jetzt daran denken, wie seine Alwine ihm eines Tages gesagt hatte: „Nun reicht das Mehl zum Brotbacken nicht mehr. Reinhold. Du mußt hinunter nach Schmiedeberg und nach den Viehpreisen fragen. Wenn sie recht hoch stehen, kannst du verkaufen; die alten Holländer und die zwei Schwarzen!" Und dann war er gegangen, talab wärts, mit der Sorge und der Liebe für die Seinen im Herzen. In Schmiedeberg begegnete er einem alten Freund, welchem der Friesensteinhofbesitzer Lepach sein Leid klagte. Dieser hatte ihm einen anderen Weg gewiesen, den zum Demmig-Karte. Der leihe Geld gegen Zins und warte auch lange. — Gedankenvoll stand der Mann plötzlich auf Lem Wege still. Er nahm sein Taschentuch und wischte sich den Schweiß vom Bergsteigen von der Stirne. Jetzt war es ihm eingefallen: „Der Demmig-Karle, der wollte ja heute sein Guthaben holen!" Und er schritt rascher zu. »Jawohl, das sollst du haben." so sprach er murmelnd vor sich hin, „droben in der Lade, in der Kommode, da lie gen sie und warten aus dich, die blanken, die harten sil bernen Taler, die hundert!" Und nochmals verdoppelte Reinhold Lepach die Schritte. Und an eins noch mußte er immerfort bei der Wan derung heute denken. An den Gottesacker drunten vor Schmiedeberg, bei dem er auch wieder vorbeigekommen war. Da lag ja sein Hannchen begraben, das Kind, das dis leuchtendsten Augen von allen gehabt hatte! Wenn sie noch lebte, so dachte er erst einen Augenblick, und dann wieder: doch auch gut, daß sie schon selig wurde, ehe das Leben das raube, die zarte Seele zerfleischte. — Rein bold Lepach war es immer klar gewesen, daß alle un schuldigen Kinderherzen den Pforten des Paradieses am nächsten stehen. Und Weiler strebte der sorgende Mann zu den Höhen des Friesensteinhofes empor. Wie es jetzt seiner Alwine Wohl ging'? drchzog es sein Hirn. Ob Wohl die Hustenanfälle nachmittags nachgelassen batten, ob es wohl nichts schaden würde, wenn der Dok tor Aßmann aus Zillertal erst morgen, vielleicht auch erst übermorgen zur Kranken kam? Dringend gebeten hatte er ja die Haushälterin des Arztes darum. Und der pflegte ja seinen Beruf ernst zn nehmen, der Doktor Aßmann. Und wie Reinhold Lepach in immer stärker düsternder Bergnacht näher dem Friesensteinhofe kam, gewahrte er neben der als herrliche Silhouette gegen Himmel streben den Baude einen anderen, ihm sonderbar dünkenden Schat tenriß. Es kam ihm vor, als stünden da in tiefer Nacht finsternis, beleuchtet von den Gestirnen des Firmaments, Menschen, Menschenkinder, die kein Obdach haben. Instinktiv strebte er noch hastiger vorwärts, fast lief er schon. Da hörte er weinerliche Menschenstimmen aus dem Kreise der figürlichen Silhouette, und dann kam es ihm zum Bewußtsein: Das waren ja seine drei Kinder: die Rosel, die Christel und der Fränzel! Sie kamen ihm ge wiß, wie schon oftmals, entgegen, es waren ja so gute, liebe Kinder! Nur die weinerlichen Stimmen befremde ten ihm Jetzt schienen die drei den Vater erkannt zu haben; wenigstens merkte er. wie die Gruppe den Hang ihm ent- gegenkam. die Rosel voran. „Vater!" rief ihm die Tochter entgegen, indem sie versuchte, den Strom ihrer Tränen einzudämmen, „Va ter, erschrick nicht! Unsere gute Mutter ist tot!" Die Stille der Bergnacht lieh den wenigen Worten einen mächtigen Klang. Es war dem heimkehrenden Manne, als hätte ihn ein Blitzschlag betäubt. Minuten lang blieb er ins Knie gebeugt auf der Anhöhe stehen, stützte den linken^ Arm aufs Knie und in die flache Hand den Kopf, und erst wenige Sekunden darauf entrang sich seinem Munde ein häßlicher Aufschrei. Der klang fast wie der Schmerzensruf eines zu Tode verwundeten Rehes. Und noch häßlicher wie er erklang, gab ihn das Echo wie der. Hui. wie schaurig das klang! Dann aber mischte sich sein leiseres Weinen in das seiner Kinder. Ruckweise richtete Reinhold Lepach sich dann empor. „Kommt, Kinder," sagte er mit gedämpftem Tone, faßte die Rosel unter dem Arm, die Christel aber an der Hand, ließ den Fränzel voranschreiten und begab sich in die Baude. Bleierne Luft, dünkte ihn, erfüllte das Haus. Er riß das Küchenfenster auf und ließ die Nachtkühle einströmen. Dann hieß er Rosel das Licht anzünden. „Die große Hängelampe, Tochter," sagte er, „fie war immer der Mut ter Stolz. Und, auch für die Kammer richte ein Lämpchen her; es ist ja so Sitte. Wann ist sie Wohl schlafen gegan gen, die Mutter?" Rosel, an die diese Frage gerichtet war, ließ den Zylinder fallen, den fie gerade in der Hand hielt, und das Streichholz verlöschte noch einmal, mit dem sie die Lampe hatte anbrennen wollen. Sie trat zum Vater und umschlang seinen Hals: „Schilt nicht," bat sie ihn zärt lich, „aber ich weiß die Zett nicht genau; sie ist gestorben gegen Abend, die Mutter, als ich auf ihrem Bettrande schlief Als Fränzel Hereinham, da war sie toll Der Schreck mag sie vollends überwältigt haben, den der Bauer Demmig aus Schmiedeberg am Spätnachmittag ins Haus trug. Der kam nach Geld. Vater, das du dir von chm geliehen haben sollst. Und Rutter selbst hat ihn fort gewiesen, weil wir nie Schulden gehabt hätten und keine haben" „Mach' nur erst Sicht," sagte der Bauer mit vibrie render Stimme, der Man ein« uerk Erregung anMerkie und dann betrat er allein die Schlüfiammer, hinter sich di Ture schließend.