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2) er. „Schau über'n Schwarztann Hinweg, Christel," sagte „das sind die Könige des Gebirges, die Beherrscher der Gipfel. Schluchten und Täler. Wie sie dahinziehen Seit Wochen hatte kein rechtes Sommersonnenleuch ten mehr über den Triften, Halden und Schluchten der Berge sein königliches Spiel getrieben, und die teils 940 Meter hohen Gipfel der Friesensleine des seitlichen Rie sengebirgskammes lagen in einem Nebelschleier da, als ' wären sie über Nacht dieser Welt entrückt worden. Bald hatte es gestürmt, dann wieder geregnet und es war ge wesen, als wären alle Kobolde ungastlicher Natur losge laffen worden. Tief drunten im Eglitztal und droben auf den Höhen steiniger Felsen hatten sie gepfiffen, gedonnert und gelärmt, daß fast ein Grauen weniger beherzte Ge müter beschlich. Nun aber waren gegen Mittag die schwe ren, grauschwarzen Wolkenheere in südwestlicher Richtung über die Schneekoppe hinweggezogen, vorbei waren die naßkalten Niederschläge und ein azurfarbener Himmel leuchtete wieder über den Matten und Firnen des Riesen gebirgskammes und über den Friesensteinen, als hätte der Orient seine packende Farbenpracht dem Horizont die ses Bergpanoramas geliehen. Still war's auf der Trift des westlich gelegenen Kam mes der Friesensteine, mittagsstill. Die Sonne warf ver schwenderische Strahlen auf Gras und Gestein und der kleine Wettersee, der nahe der Lepachschen Baude (Hütte) durch die Regenwasser auf steinigem Grunde entstanden war, begann wieder auszudörren. Ueber den talwärts gegen Quirl gelegenen Schwarztann schwebten lautlos zwei Adler hinweg. Vor seiner sommerlichen Baude neben seinem zehn jährigen Töchterchen Christiane stand Reinhold Lepach, Ler Besitzer des Friesensteinhoss. und schaute den zwei Raubvögeln gedankenvoll nach. Wie die Augen eines Feldherrn spähten die seinen, tiefschwarzen, über das Flugfeld der Adler dahin. Die lange, hagere Figur des bartlosen Mannes beugte ft dabei ein wenig vor, nahm dann wieder eine gerade und fast stolze Haltung ein und bog sich darauf zu dem da nebenstehenden Kinoe fast zärlich herab. mit leisem Flug, die zwei Späher nach Brot! Sie suchen einen guten Fang zu machen, und wenn sie ihn haben, dann wird er eilends verteilt. Hörst du, wie gierig ihr Ruf nach Beute erschallt?" „Finden alle Tiere, Pater, jeden Tag mühelos, was sie zum Leben brauchen?" „Nein. Christel nicht immer. Oft müssen sie lange suchen ehe sie der Nahrung habhaft werden. Es gHt ihnen oftmals wie den Menschen, die kein Brot mehr zu Hause haben." Ueber des Mannes Antlitz, dem man sonst seine vier- z g Jahre kaum ansah, huschte ein Zug von Kummer und als übermanne ihn derselbe, beugte sich seine Gestalt nach kurzem Aufrecken wieder etwas nach vorne. Doch HÄd meinte, ein wenig abgewendet, zu seinem Kinde: „Du kennst doch keinen Hunger, Christel, und das ist gut so. Ju gend soll nichts von Sorgen wissen. Wenn einem Men schen in seinem späteren Leben kein rechtes Glück mehr begegnen will, dann soll er wenigstens einer glücklichen Jugend gedenken können, einer Zeit voll Frohsinn und Lust, ohne Tränen und Not. — Jetzt aber gehe und rufe den Fränzel vom Anger herauf. Sag' ihm, die Mutter sei kränker und er soll der Rosel Kaminholz herzutragen. Du aber bleib' bis zum Abend beim Vieh; ich selbst muß hinunter nach Zillertal, Doktor Aßmann zu rufen. ES wird wieder viel Geld kosten, Kind, wenn der Doktor her- aufkommt, aber nicht wahr, ihr wollt doch bald wieder eine gesunde Mutter haben?" Und als Reinhold Lepach das sagte, seufzte ei schwer. Christel nickte. Schweigsam schlich sie dann den Hang hinab, wo sie gar bald den Bruder fand. Beim alten Schott, dem Stammhund der Lepachbaude, saß Fränzel inmitten der väterlichen Herde, deren Kühe alle mit Glöck- lein am Halse dahingrasten, und pfiff sich eins. „Kling klang — bimbam". erschallte es ringsher von den Kuh schellen, und dazwischen vernahm man noch ein öfteres Blöken einiger Lämmer. Das war Bergesfrieden, Weide geläute, so ganz nach dem Herzen der Kinder. Hier beim Getier ihres Vaterhauses, da fühlten sie sich so unbändig Wohl, hier im leuchtenden Grün des Bergangers, den bren nenden Sonnenstrahlen, dem Herüberwinken ferner Berg kuppen und dem prächtigen Gipfelleuchten der Schnee koppe. „Frauzel," rief Christel, „der Vater läßt sagen, daß ich dableiben soll. Du aber sollst hinauf in die Baude und der Rosel das Holz herzutragen helfen. Schott komm! Fränzel steig auf." Und Christel trieb die ein wenig zerstreute Herde wieder zusammen, wie es der Vater liebte. Der Junge blieb aber noch ein wenig unschlüssig stehen „Die Mutter ließe mich sicher beim Vieh!" sagte er. — „Aber natürlich, der Vater! Der weiß schon, daß die Christel ebenso gerne beim Vieh ist, als ich. Christel, ich gehe nicht!" „Willst du Wohl folgen! Die Mutter ist wieder krank, Fränzel, und der Vater will hinunter nach Zillertal, um nach einem Arzte zu sehen. Folge doch, Fränzel!" Der Junge machte ein saures Gesicht und trat auf die Schwester zu. „Sag' einmal, Christel," sagte er traurig und setzte sich auf die Erde neben die Schwester, die sich auf einem Feldsteine niedergeläffen hatte, „warum ist denn die Mut ter immer so krank? Ändere kranke Leute, die werden wie der gesund; aber die Mutter! Die ist immer wieder krank! Wie das wohl kommen mag? Bahnwärter Dirschke auS Schmiedeberg hat erst neulich gesagt, daß ärztliche Hilfe da wenig nütze. Wenn man aber einen rechten Kräutertee wisse, der kuriere vom stärksten Uebel. Und weißt du Christel, der alte Klissth dort unten von der Schaft"^ bei Wüste-RHrsdvrf, der sammelt solch« Kräuter 7. (Nachdruck verboten.) I. Die Waisen vom Friesenslemhvs Roman aus den schlesischen Bergen von Gerhard Büttner.