Volltext Seite (XML)
«Uf d« einsamen Klippe, den Tod vor Augen, stand der Mann, den ein Juda- Ucharioth schnöde verraten, der ver- «rteilt war, nie wieder ein menschliches Antlitz zu schaue», nie wieder eine menschliche Stimme zu hören. Willem Fanning war eine stolze, furchtlose Natur, aber der Gedanke, daß er durch die Schlechtigkeit eines Mit menschen, den er für seinen Freund gehalten, an dieser öden, gottverlassenen Stätte elendig verschmachten sollte wie ein Tier der Wildnis, dieser Gedanke rüttelte an sei- U'N starken Nerven und machte sein mutiges Herz erbeben. um hatte er auch diesem Manne vertraut, warum hatte nicht auf Marians Warnung gehört? Frauen haben eine so scharfe Beobachtungsgabe; sie erkennen den Charak ter eines Menschen oft viel rascher und beurteilen ihn rich tiger, als es der Mann vermag. Doch all diese Erwägungen kamen jetzt zu spät. Er war unrettbar verloren und mußte sich mit seinem schreck lichen Schicksal abfinden, so gut er konnte. „Heda, Fanning!" Der Angeredete zuckte jäh zusammen, als der Klang dieser Sümme sein Ohr traf. Er zögerte einen Moment, bevor er antwortete, und dann kam nur ein einiges Wort über seine Lippen: „Nun?" „Ich möchte etwas mit Euch besprechen." Warum zeigt Ihr Euch nicht?" war Fannings miß trauische Entgegnung, denn der feige Verräter hielt sich ge flissentlich außer Sehweite. Auch jetzt ließ er die Frage des anderen unbeachtet und rief in kurzen, hastigen Sätzen hinab: „Hört mal, Kamerad! Ihr müßt es wohl gemerkt ha ben, — ich bin einer, dem es gewaltig am nötigen Klein geld fehlt. Könnte nie genug davon besitzen; ganz das Gegenteil von Euch. Habt es mir ja selbst gesagt." „Weiter!" „Hm — Ihr meintet, mäßiger Reichtum würde euch genügen. Den habt Ihr. Bei mir liegt die Sache anders. Ich brauche viel, sehr viel." Er machte eine Pause, da aber keine Antwort er folgte, fuhr er fort: „Also, kurz lind gut, ich will Euch einen Vorschlag machen. Jeder von uns behält, was er bei sich hat. Einverstanden?" „Nein!" „Na, na, alter Junge, seid doch vernünftig! Ihr wißt ja eigentlich recht gut, weshalb mir so viel am Gelde gele gen ist. Nur um Violets willen, das schwöre ich euch! Ich hatte wirklich keine Ahnung, daß Ihr auch ein Auge auf das Mädchen geworfen hattet, aber da die Kleine sich für mich entschieden und Ihr Euch — das muß ich zugestchen — trotzdem bisher so nobel gezeigt habt, so seid auch jetzt großmütig genug, ihr Glück zu begründen. Laßt uns von diesem Augenblick an miteinander quitt sein und zwar in der Weise, daß jeder behält, was er hat. Vielleicht seid Ihr dabei sogar im Vorteil, denn Ihr habt sicher mehr Steine gesammelt wie ich. Gebt mir also Euer Ehrenwort, daß Ihr einwilligt, und dann lasse ich das Seil gleich hin unter." Was für ein seltsamer Charakter dieser Mann war! Er vertraute blindlings der Ehrlichkeit des andern, wäh rend er selbst, hätte er sich an dessm Stelle befunden, nicht einen Moment gezögert haben würde, sein gegebenes Wort zu brechen und sich sein Recht, wenn nötig, mit Gewalt zu erzwingen. „Wenn ich mich aber weigere?" versetzte Fanning mit großer Ruhe. „Wenn?" war die halb überraschte, halb ärgerliche Antwort. „Ja, dann helfe ich Euch auf keinen Fall her aus!" „Nun gut, ich — weigere mich, auf Eure Forderung einzugehen." Der entschlossene Ton, der aus seinen Worten klang, ließ keinen Zweifel über den Ernst der Erklärung auf kommen. Das erkannte Selwyn recht Wohl; auch wußte er aus Erfahrung, daß dieser hartköpfige Bur von einem einmal gefaßten Entschluß nicht abzubringen war. „Wenn Ihr das tut, Fanning," rief er ungeduldig hinunter, „so begeht Ihr einfach Selbstmord." „Und Ihr das erbärmlichste Verbrechen, das je erson nen ward," gab Fanning ernst zurück. „Mögt Ihr es mir glauben oder nicht, ich möchte jetzt nicht mit Euch tauschen. Lieber stehe ich hier im Angesicht des Todes — ein recht licher Mann, als an Eurer Stelle, das Gewissen mit Ler fluchwürdigsten Judastat belastet! Und," fügte er mit er hobener Stimme hinzu, „achtet Wohl auf meine Worte: Was auch geschehen mag, Ihr werdet nie die Früchte Eures schändlichen Verrates genießen!" Tiefes Schweigen folgte diesen Worten. Erst nach Verlauf mehrerer Minuten Hötte Fanning wieder seinen Namen rufen. „So gebt doch enWch nach, Fanning!" drängte Sel wyn mit sichtlicher Ungeduld. „Seid vernünftig und sagt ja!" „Niemals!" klang es kalt und entschlossen zurück. „Ich bin nie ein habgieriger Mensch gewesen, Selwyn, und mein ärgster Feind kann mir nicht nachsagen, daß ich je einen andern übervorteilt hätte. Auch war ich stxts bemüht, uacb festen Grundsätzen zu handeln, und indem ich mich weigere, auf Eure schurkische Bedingung einzugeh-n, folge ich nur dieser Gewohnheit. Und nun laßt mich noch eins hinzu fügen, Moritz Selwyn! Ich stehe allein iy der Welt, nichts fesselt mich an diese Erde, — ich kann «lso mit meinem Leben machen, was ich will. Nun Wohl, jch opfere es lie ber, als daß ich gegen meine Grundsätze handele. Ihr aber, von dem Augenblicke an, daß Ihr diesen Ott ver laßt, werdet keine ruhige Stunde mehr haben. Die Er innerung an das, was Ihr heute getan, wird Euch verfol gen bis ins Grab. Mit all Euren Schätzen werdet Ibn der ärmste, elendeste Mensch sein. Und deshalb, im An gesicht des Todes, vermag ich noch, Euch zu bemitleiden!" Wieder folgte tiefes Schweigen diesen ernsten Worte«, die einen um so größeren Eindruck machen mußten, als Ke ohne jeden Anflug von Groll oder Zorn gesprochen wor den waren. Trafen sie den Judas ins Herz? Ein leises Rascheln in der Luft und zu Faunings Füßen lag das Seil. Doch er streckte die Hand nicht dar nach aus. „Vorwärts, alter Junge," rief Selwyn, über den Fels rand blickend, in scheinbar herzlichem Ton. „Jch habe j- nur Scherz mit Euch getrieben. Wollte mal sehen, wie Ihr einen lustigen Sckerz auffaßt. Na, verteufelt schlecht, da muß ich sagen." Kopfschüttelnd trat Fanning einen Schritt zurück. „Ihr möchtet mich Wohl schneller ins Jenseits be fördern," sagte er mit bitterem Lächeln. „Es sollte mich gar nicht wundern, wenn Ihr das Seil durchschnittet, so bald ich in halber Höhe wäre." „Nein, ich schwöre, daß ich das nicht tun werde!" be teuerte Selwyn. „Mensch, könnt Ihr denn nicht eine kleine Neckerei verstehen? Wahrhaftig, ich habe Euch nur ein wenig zum Narren gehalten, weiter nichts." Fanning glaubte dem Verräter natürlich keine Silbe, meinte aber den Grund zu dessen veränderter Handlungs weise herausgefunden zu haben. Ohne Zweifel war Sel wyn einer mächtigen Versuchung erlegen, hatte sich jedoch dann eines Besseren besonnen und den ganzen Vorfall als einen unschuldigen Spatz hingestellt. So urteilte der ehr liche Bur, was freilich nicht hinderte, daß sei» Mißtraue« gegen den Gefährten rege blieb. Mehr als einmal, wah rend er sich am Seil hinaufarbeitete, erwartete er, daß er jählings in die Tiefe stürzen würde, er gelangte jedoch glücklich an den Rand des Kraters. „Bei Gott! Ihr seid ein kurioser Mensch!" begrüßte ihn Selwyn mit gezwungenem Lachen, verstummte aber, als er den kalten, finsteren Ausdruck in Fannings Gesicht bemerkte. „Jch wünschte, ich könnte an Euren „Scherz" glauben," sagte der Gerettete ernst, „doch ich vermag cs nicht und sage es Euch frei heraus. Wißt Ihr Wohl, daß Ihr un barmherzig gelyncht worden wäret, wenn Ihr an irgend einem Lagerplatz der Goldsucher solch einen Streich ausge führt hättet? Nein, unterbrecht mich nicht!" fuhr er fort, als der andere nochmals den Versuch machte, sich zu recht fertigen. „Eure Handlungsweise ist auf keinen Fall zu entschuldigen, trotzdem will ich mein Wort nicht zurück nehmen und unsern Vertrag halten: gleicher Gewinn für beide. Eine Bedingung jedoch muß ich daran knüpfen." „Und die heißt?" fragte Selwyn, dem diese Ausein andersetzung wenig zu behagen schien. > - . ! (Fortsetzung iolgt.) ! . L