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' gk>nc E- cinng auS Transvaal von 17 (Nachdruck verboten.) Wieder war es Selwyn, der zuerst hinaufkletterte. Fanning rollte unterdessen den von der unteren^Kichpe hcraufgezogenen Strick zusammen; doch als er -selwyn nun folgen wollte, bemerkte er zu seiner Ueberraichung, daß das Seil nicht mehr herabhing, und hastig aufschauend, sah er es blitzschnell über dem oberen Felsenvorsprung verschwinden. Was sollte das bedeuten? Er rieb sich die Augen, m der Meinung, sich getäuscht zu haben, doch das Seil war wirklich fort. Wie konnte Selwyn gleich einem Schulkunden in der immerhin gefährlichen Lage, in der sie sich befan den, solch einen dummen Scherz machen? Es war leicht sinnig — und albern im höchsten Grade. Wozu diesen un nützen Aufenthalt verursachen, da doch jede Minute kost bar war und sie darauf bedacht sein mußten, ihren Schatz in Sicherheit zu bringen? Plötzlich durchzuckte ein Gedanke sein Gehirn, der ihm das Blut buchstäblich zu Eis gefrieren machte, — ein Ge danke, so entsetzlich, so unerhört, daß er einen Augenblick völlig davon betäubt war. Schrecken, Entrüstung und Zorn erfüllte sein Inneres, und mitten in dem Chaos der auf ihn einstürmenden Gefühle glaubte er die mahnenden Worte Marian Selkirks zu vernehmen, die sie auf der Ve randa in Fredensborg zu ihm gesprochen: „Ich würde diesem Manne niemals trauen, — seine Stimme klingt falsch!" Großer Gott' Konnte es möglich sein? Konnte ein Mensch sich einer solchen Verräterei schuldig machen? Wie ein Zentnergewicht fiel es ihm plötzlich auf die Seele, daß Selwin den kostbaren Diamanten, das unschätz bare „Auge der Nacht", bei sich trug. Doch trotzdem — es war unmöglich! Der Mann, dem er zweimal das Leben gerettet, den er zum Krösus gemacht konnte ihm seine Gut herzigkeit nicht in solch schurkischer Weise vergelten. Es mußte schließlich doch nur ein derber Scherz sein, den der andere sich mit ihm erlaubt hatte. „Etwas nicht in Ordnung mit dem Seil?" rief er hin auf, bemüht, seiner Stimme einen sorglosen Klang zu geben. Keine Antwort. Wieder und wieder rief Fanning den Namen seines Gefährten, dock alles blieb still, so angestrengt er auch lauschte. Nur einmal glaubte er das Geräusch sich entfer nender Schritte zu hören. Willem Fannings Leben war einen wechselvolles, be wegtes gewesen, aber noch nie hatte er so bittere Augen blicke durchgekofiet als die nun folgenden. Er wußte nicht, was ihn härter traf, der nichtswürdige Verrat des falschen Freundes oder der Gedanke an das grauenvolle Schicksal, das seiner harrte, lebendig in dem Krater einqeschlossen, dem sickeren Tode preisgegeben. Fanning erbebte, als er daran dachte, mit Welcker Kaltblütigkeit der Elende seinen teuflischen Plan ausgcsührt hatte. Warum hatte Selwyn ihn bis auf diesen Felsenvorsprnng gelangen lassen, anstatt ihm bereits in der Tiefe den Rückweg abzusckneiden? Ö, einfach darum, weil er recht aut wußte, daß er sich erst jen seits des Kraterrandes in Sickcrheit befand. Wäre er noch auf dem ersten Felsvorsprung gewesen, auf dem Fan- Teutsch von M. Walter. ning jetzt stand, so hätte letzterer ihn für seine Schlechtig keit von unten her niederschießen können. O, der Elende hatte alles schlau berechnet, und seine Schurkerei war jetzt so klar wie das Sonnenlicht. Bei Gott! Die Erde irua keinen schlimmeren Teufel als Moritz Selwyn! 23. Kapitel. Judas Jscharioth. Nichts im großen Weltall birgt so tiefe Rätsel wie die menschliche Natur, und eines der unerklärlichsten ist wohl, daß ein Mann von ehrlicher Gesinnung durch eine jäh an ihn herantretende Versuchung zu niedrigster, ge meinster Handlungsweise verleitet werden kann. Als Moritz Selwyn den ersten Felsvorsprung erreicht hatte, dachte er nicht im entferntesten daran, Verrat an seinem großmütigen Freunde zu üben. Erst bei dem zwei ten Aufstieg kam ihm der höllische Gedanke, ganz plötzlich, ganz unvermittelt, vielleicht hervorgerufen durch den Um stand, daß er den kostbaren Stein in Verwahrung hatte. Seine unersättliche Habgier rief ihm zu: „Warum teilen? Behalte den Schatz für dich allein!" So trat die Versu chung an ihn heran, — sie blendete, überwältigte ihn und machte ihn zum Schurken, zum Judas. Wohl sträubte sich sein besseres Ich gegen eine derar tige schwarze Tat, wie er sie auszuführen beabsichtigte: aber nur zu rasch setzte er sich über alle Skrupel hinweg, indem er sich einredete, dieser Bur mit seiner Erfahrung und Findigkeit werde sich schon herauszuhelfen wissen. Bis ihm dies gelang, würde er, Selwyn, natürlich schon weit fort und in vollkommener Sicherheit sein. Er erinnerte sich plötzlich der Worte Fannings: „Glaubt Ihr, daß Ihr Euch allein zucücksinden könntet?" O ja, er glaubte es zu versichtlich und im Besitz des Millionenschatzes lohnte es sich gewiß, den Versuch zu machen. Und so kam es, daß er, dieses alles blitzschnell erwä gend, das Seil beraufzog und den unglücklichen Kameraden einem grausamen Schicksal überließ. Ohne Gewissensbiffe, ja ohne sich noch einmal umzuwenden, schritt er dem Orte zu, wo die znrückgelaffenen Pferde gemächlich das spärliche Gras abweideten, das hie und da zwischen den Spalten des Gesteins hervorwuchs. Selwyn sattelte die Tiere, und dann zog er den Edel stein aus der Tasche, ihn mit trunkenen Blicken betrachtend und sich an dem feurigen Glanz weidend, den die letzten Strahlen der untergehenden Sonne dem Kleinod entlockten. Dieser köstliche Stein war nun sein eigen, er gehörte ihm allein. Zufriedenen Sinnes barg er seinen Schatz wieder in der Brusttasche, und dann schaute er sich noch einmal um. Da war der Lagerplatz, an dem er mit Fanning die kurze Nachtruhe gehalten: allerhand Gegenstände lagen zerstreut am Boden, ihre zusammengerollten Decken, die Vorräte und der Wasserschlauch. Gedankenvoll blieb Selwyn stehen; er schien zu über legen mit sich zu kämpfen. Wie eine rotglühende Kugel sank die Sonne hinter den zackigen Fslsrissen hinab; über der Oeffnung des Kra ters schwebten bereits die Schalten der Dämmerung, und Das Mge -er Nacht I. B Mitford.