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„Hm, allerdings eine gute Weile her. Sie sollen aber drunten im Lande starke Regengüsse gehabt haben; da wird's wohl nicht an Ueberschwemmungen und unpassier baren Wegen fehlen und das mag die Post verzögern." „Meinst du, dies sei der einzige Grund für sein Still schweigen?" fragte Hilda besorgt. „Ich hoffe es wenigstens. Er war ja sehr krank, doch schon in der Besserung, als er uns schrieb. Er wird sicher kommen, sobald er kann, und gewiß auch seinen Freund mitbringen. Für die Mädchen wäre mir der Besuch recht lieb, denn ich fürchte, Violet empfindet es sehr, hier nie mand zu haben, der ihr den Hof macht." „Ach da du gerade von Violet sprichst," bemerkte Hilda, die Arbeit ruhen lassend, „ist es dir nie in den Sinn gekommen, daß sie den armen Fanning bei seinem letzten Besuch in ihr Netz gelockt hat?" Mit verdutzter Miene schaute Selkirk zu der Sprecherin hinüber. „Den ins Netz gelockt?" lachte er dann hell auf. „Daran habe ich wahrhaftig nicht gedacht. So'n alter Junggeselle, der längst über solche Torheiten hinweg sein müßte. Er ist ja nur einige Jahre jünger als ich." „Nun, was macht das aus?" gab die kleine Frau mit kühler Ueberlegenheit zurück. „Hältst du ihn etwa schon für einen Methusalem? Männer wie er, die ein so freud loses Leben führen, verlieben sich oft Hals über Kopf bei erster Gelegenheit." Selkirk strich sich nachdenklich den Bart. „Hm, wenn das wirklich der Fall wäre, so sehe ich allerdings nicht ein, warum er das Mädchen nicht gewinnen sollte." „Als ob Violet jemals einwilligen würde, sich in der Wüstenöde des Veidt zu begraben!" siel Hilda ein. „Kennst du sie so wenig, um das zu glauben?" „Hm, dahin ginge sie vielleicht nicht — hätte es aber auch gar nicht nötig. Willem könnte recht gut hier eine Farm übernehmen. Er ist ein tüchtiger Kerl und versteht seine Sache. Daß er jetzt so herunter, liegt nur an dem miserablen Boden dort. Hier würde er sich wieder ganz ordentlich herausbeiße« und so mag er getrost um das Mädchen freien." „Zu solchem Handel gehören aber Zwei," bemerkte Hilda, über seinen Eifer lächelnd. „Willst du damit sagen, daß Violet sich nichts aus ihm macht?" fragte er verwundert. „Soviel ich beobachtet habe, ist er ihr ziemlich gleich gültig." „So, dann spielt sie nur mit ihm?" „Das will ich nicht gerade behaupten. Du weißt, sie ist von Jugend auf an Bewunderung gewöhnt und hat etwas sehr Gewinnendes in ihrem Wesen. Möglich also, daß Fanning sein Herz ohne ihr Zutun verloren." „Na, für so dumm halte ich ihn eigentlich nicht," be zweifelte Selkirk. „Aber Ihr Frauen versteht nun mal alle das Kokettieren." Mit dieser, das gesamte weibliche Geschlecht verur teilenden Bemerkung streckte er sich behaglich aus und war nach fünf Minuten fest eingeschlafen. Seine Frau störte ihn nicht; sie arbeitete still weiter und überließ sich ihren Gedanken, die sich zum größten Teil mit Violet beschäftigten. So kam es, daß sie das Heranrollen eines Wagens völlig überhörte und erst als sie eine ihr wohlbekannte Stimme vor der Haustüre vernahm, fuhr sie überrascht in die Höhe. „Fanning!" rief sie in freudigem Erschrecken. „Chri stoph, wache auf!" schüttelte sie den schlafenden Gatten. „Willem ist da?" „Wer? was?" rief dieser, sich rasch ermunternd und aufspringend. „Fanning sagst du? Das ist ja eine famose Ueberraschung!" Und mit dem Ausdruck hellster Freude auf seinem gutmütigen Gesicht eilte er dem langjährigen Freunde entgegen, ihn mit brüderlicher Herzlichkeit be grüßend. „Mlamaghtag! (Allmächtiger! — Ein beliebter Aus ruf der Buren) Willem, das Fieber hat dich ja arg mit genommen!" rief er, den jungen Farmer scharf anblickend. „Na, das wird sich wohl wieder geben. Freut mich, Sie zu sehen, mein Herr!" wandte er sich dann zu Selwyn, den Fanning ihm vorstellte. Gleich darauf erschien Ma ria«, deren Augen freudig aufleuchteten, als sie den will- »mmnenen Gast erkannte, und auch die Kinder kamen aus dem Garten gerannt, den „Onkel Willem", wie sie ihn nannten, lärmend und jubelnd umdrängend. Dem kaum von schwerer Krankheit erstandenen, ein samen Manne tat diefer herzliche Empfang uncndliw Wohl; dennoch aber fühlte er sich nicht ganz zufrieden, denn er vermißte in dem Kreise jemand, der ihm teurer war als sein Leben. Violets Zimmer lag nach der Rückseite des Hauses, so daß sie nur schwach das Geräusch vernommen hatte, welches durch die Ankunst der Gäste hervorgerufen wurde. Instinktiv ahnte sie, wer es war, allein es lag nicht in ihrer Art, sich irgend eines Mannes wegen stören zu lassen, — sie würde nicht eine Minute früher erscheinen, als es ihr beliebte. Sie ordnete ihre Toilette noch etwas sorg fältiger und schritt dann gemächlich in den Salon hinunter. Kaum war sie dort, so öffnete sich die Türe, und Sel kirk führte den Engländer herin, so daß sich Violet plötz lich Auge in Auge mit diesem befand. Ein leiser Ausruf entfuhr Selwyns Lippen, als er das schöne Mädchen sab, das bei seinem Anblick jäh erbleichte und einen Schritt zurücktrat. Schon wollte er ihr die Hand entgegeustrecken, doch der warnende Ausdruck ihrer Augen ließ ihn an sich hallen. „Fräulein Avoryk" stellte Selfirk, der den kleinen Zwischenfall nicht bemerkt hatte, seine Kusine vor. „Herr — hm, ich bitte um Verzeihung —, habe Ihren Ramen vorhin nicht so recht verstanden und Fanning erwähnte ihn auch nicht in seinem Briefe." „Selwyn," ergänzte der andere. „Beim Zeus! Die Hälfte unseres Namens ist ja die gleiche," bemerkte Selkirk. „Wir fangen beide mit „Sel" an; dann« freilich zweigen wir ab." Es war eine ganz unbedeutende, harmlose Bemer kung, ebenso rasch vergessen, wie ausgesprochen, aber Sel kirk sollte sich ihrer eines Tages in einer Weise erinnern, die ihm nicht nur peinlich war, sondern auch wichtige Fol gen hatte. Mit der Miene einer Königin nahm Violet die Vor stellung an, und sich dann der Tür zuwendend, fragte sie ihren Vetter: „Wo ist Herr Fanning? Ich mutz ihm doch guten Tag sagen." Ohne eine Antwort abzuwarten, eilte sie zu Selwyns geheimen Aerger in den Hof hinab, wo Fanning noch i» eifrigem Gespräch mit Hilda und Marian stand. Viole« begrützke ihn mit gewinnender Höflichkeit, fragte teilneh mend nach seinem Befinden und seinen Reiseerlebnissen und wußte ihr Opfer so zu umstricken, daß derselbe vor Entzücken über ihre Liebenswürdigkeit hätte laut aufju- beln mögen. „Nun, wie gefällt Ihnen unser Land, Herr Selwyn?" war die unvermeidliche Frage, die Frau Hilda an den Engländer richtete, als die ganze Familie im Wohnzim mer vereinigt war. „Was halten Sie davon?" „O, ich denke, einige Teile des Landes sind sehr schön," war die diplomatische Antwort, „und in einer dreispän nigen Kalesche recht bequem zu durchreisen. Andere Telle hingegen, besonders jenes Gebiet, in dem Freund Fan ning haust, erinnern mich an die Antwort eines Ameri kaners, als man ihm die gleiche Frage stellte." „Und was sagte der?" „Er reiste gerade während einer Dürre durch daS Karooland und da meinte er, wen« U m ein Stück davon gehörte, so Netze er sich einen gro' Farbentopf komme« und striche es grün an." „Na, das hätte er von unserer Gegend nicht sage» können," bemerkte Selkirk stolz. „Nein, gewiß nicht," stimmte der Engländer bei. „Es , ist hier ein wahres Paradies, dessen Schönheit sich i» Worten gar nicht ausdrücken lätzt." „Das ist eine hübsche Lobrede?" sagte Frau Hild« lächelnd. „Sind Sie Jagdliebhaber, Herr Selwyn?" „Und wie?" fiel Fanning hier ein. „Den ganz« Weg entlang fröhnte er dieser Passion und hat sich ei» Dutzend Bauern auf den Hals gehetzt, weil er ihnen unter ihren Augen die Böcke wegschob, ohne die Herren erst nm Erlaubnis zu fragen." (Fortsetzung folgt.) ' es