Volltext Seite (XML)
Kunst vornehmen und lasziven Genres, in der man - nun endlich das Natürliche und Naive gefunden zu ha- ben glaubte, erwies sich so zu sagen als durchaus § sicht wurzelecht, sondern als ein Reis, das vor noch i nicht tausend Jahren dem Stamme einer viel älteren ! Kultur, nämlich der chinesischen, entsprossen war. Wer ! also die japanische Kunst in ihrem Werdegangs ver- ! stehen will, muß sich Wohl oder übel auch mit der chinesischen befassen, deren Ursprünge um mindestens 2000 Jahre älter sind als jene. Wenn sie damit auch noch nicht an das ehrwürdige Alter der baby lonischen Kunst heranreicht, welcher wir nach den über raschenden Forschungsergebnissen aus allerneueftsr Zeit ein Alter von etwa 8 Jahrtausenden zusrcennen müs sen, so kann ihre Bedeutung kaum hoch genug einge schätzt werden, da wir uns gegenwärtig halten müssen, daß sie für ein gutes Drittel der Menschheit maß gebend geworden ist, während ihr indirekter Ein fluß über alle mongolischen Völker bis an die Wolga, nach Tibet und bis nach Vorderindien hinreicht. Seltsamerweise sind es nicht die monumentalen Bauten und die Bildhauerei, in welchen die Ursprüng- -lichkeit der chinesischen Kunst zur Geltung kommt; denn hier hat das Eindringen des Buddhismus die indischen Kunstformen mit ihrem Pagodenstil und vieldachigen Glockentürmen zu den alleinherrschenden gemacht, und auch die Kunstindustrie mit ihren Bronzegeräten und Elfenbeinschnitzereien steht sichtlich unter indischem Einflüsse. Wer die echten Kunstprodukte des chinesi schen Volksgeistes studieren will, kann dieses nur an den wertvollen Porzellanen und an den Gemälden tun, mit denen der Chinese die mannigfaltigsten Webereien schmückt. Schon um das Jahr 2600 v. Chr. Geb. wurde Stosse: Holz, Papier, Leinwand, Seide und andere im Reiche der Mitte eine Art Freskomalerei geübt, und um etwa 200 nach Chr. Geb., also eine Zeit, aus der die ältesten, erst vor wenigen Jahren entdeckten Mu mienbildnisse von el Fahum stammen, stand die Por trätmalerei bereits in hoher Blüte. Auf unsere Tage ist natürlich von den Gemälden der damaligen Zeit, sowie auch der nächstfolgenden Jahrhunderte nichts «kommen, denn in keinem Lande hat die bestehende Ordnung so oft gewechselt und ist bei jedem Umsturz« so entsetzlich viel verwüstet worden, wie gerade in China, wo 24 Dynastien einander gefolgt sind, bei deren jedesmaligem Sturze stets Millionen von Men schen das Leben verloren, während die Zerstörung von Erzeugnissen des menschlichen Fleißes mit der allge meinen Menschenschlüchterei gleichen Schritt hielt. Nichtsdestoweniger sind wir über die Frühperi oden der chinesischen Malerei sehr gut informiert: denn was. Pausanias für die griechische und der alte Vasari für die italienische Kunst bis Michelangelo geleistet hat, haben zahlreiche Kunsthistoriker, deren Leben in die Zeit vom 9. Jahrhundert n. Chr. bis in die Gegen wart fällt, hinsichtlich der Malerei ihres Heimatlandes ? getan. Fünf große Quellenwerke behandeln die Kunst schöpfungen von den ältesten Zeiten bis zum Auf treten der jetzt herrschenden Mandschudynastie um die - Mitte des 17. Jahrhunderts und mit welcher Gründ lichkeit deren Verfasser zu Werke gegangen sind, kann man daraus ermessen, daß der aus einem Teil von ihnen und noch zahlreichen anderen Büchern zusam mengestellte Bilderkatalog des Kaisers Hu-Tsung aus der Mitte des 12. Jahrhunderts n. Chr. in 20 Büchern 6396 Bilder von 231 Malern behandelt. Von da an wächst die Literatur ins Grenzenlose, und so sind denn auf die Gegenwart die Namen von vielen Tausenden von Malern gekommen, welche bis auf die Zeit des sagenhaften Kaisers Huang-Ti (2700 vor Chr.) zu- ! rückreichen. - In den Uranfängen menschlicher Kunst gehen Sch .iftzeichen und Malerei überall eng zusammen; die äst-, Schrift ist überall eine Bilderschrift, und erst allmählich entwickelt sich durch Trennung der Laute und Vereinfachung der für sie geltenden Zeichen daraus «n Alphabet. Wie bekannt, sind nun die Chinesen noch heute nicht zu einem Alphabet in unserem Sinne («kommen, sondern besitzen für die vielen tausend Worte ihrer einsilbigen Sprache ebenso viel verschie ¬ dene Zeichen, die also eigentlich Symbole sind. Unter diesen Umständen ist es kein Wunder, daß ihre Malerei von Symbolik bis zum lieber maß durchtränkt ist, und daß die Gemälde, welche zum allergrößten Teil Ge- leoenheitsgelchenke sind, durch die aus ihnen darge- stülten Gegenstände das bezeichnen, was der Geber dem Belchen ten wünscht. Diese Bilder sind also eigent lich, um sich eines trivialen Vergleiches zu bedienen, gemalte Rebusse, deren Inhalt allerdings, da die Sym bole seit Jahrtausenden dieselben sind, sür den Be schenkten ebenso leicht lesbar sind, wie für uns ge wöhnliche Schrift. M. vl Brandt, der, wie kaum ein zweiter, außer vielleicht dem bekannten Abbe Hue, mit der chinesi schen Kunst vertraut ist, gibt in einer musterhaften Monographie über die Symbolik derselben eine lange Reihe von Beispielen. So bedeutet z. B. ein Pferd den Vater, eine Kuh die Mutter; Huhn, Fasan und Ziege sind Zeichen sür Töchter; Drache, Schwein und Hund ebensolche sür Söhne; Kometen bedeuten Un glück, ein roter Vogel ist äquivalent für Süden; der himmelblaue Drache für Osten; ein schwarzer Krieger für Norden; ein weißer Tiger für Westen; eine große Schildkröte bedeutet einen tapferen Krieger, während die kleine Landschildkröte ein Zeichen des Schimpfs und der Beleidigung ist. Daß der Löwe ebenso wie der Elefant das Sinnbild urwüchsiger Kraft ist, dürfte nicht wunderbar erscheinen, während die Bedeutung eines Weißen Fuchses für hohes Alter sich Wohl höch stens aus der weißen Farbe erklären läßt. Die Elster, welche bei uns in dem schlechten Geruch diebischer Eigenschaften steht, gilt dem Chinesen als ein Symbol ehelichen Glücks, während Gänse und Enten ein Zei chen für Gattentreue sind. Durch Kombination dieser Symbole kommt eine jedem gebildeten Chinesen verständliche Bilderschrift zu Stande: so bedeutet, um wiederum M. v. Brandt zu zitieren, ein Bild, auf welchem zwei Fische einen Klangstein tragen: „durch viele Jahre sollst Du Glück und Freude genießen;" freilich sind die Zusammenstel lungen zahlreicher Gegenstände, deren jeder mehrere Bedeutungen hat, oft auch so schwierig zu deuten, - daß selbst die Gelehrtesten der Gelehrten über ein der artiges Bild stundenlange Diskussionen führen. Daß bei einer derart auf Schrauben stehenden Kunst auch die Kritik eine Reihe verwickelter Gesetze hat, ist selbstverständlich. Interessant ist da, was uns Friedrich Hirt in den „Einheimischen Quellen über die chinesische Malerei" von Sien—Ho... erzählt, ker des 5. Jahrhunderts n. Chr. war Dieser stellt folgende 6 Grundregeln für die Kunstkritik auf: 1. Der Ausdruck des Geistigen muß dem Leben entsprechen. 2. Zuerst muß ein Entwurf dorhergehen. 3. Die wiederzugebenden Gegenstände müssen die richtigen Umrisse haben. 4. Das Kolorit muß der Natur der Gegenstände entsprechen. 5. Das Darzustellende muß im Raume richtig ver teilt sein. 6. Die Zeichnung muß nach Vorlage erfolgen. „Herrlich! etwas dunkel zwar, aber's klingt doch wunderbar", möchte man bei diesen teils selbstverständ- chen, teils unbegreiflichen Grundsätzen ausrufen. So abgeschmackt theoretisch, von der höchsten Pe danterie erfüllt ist die chinesische Kunst von Alters her; aber der bezopfte Künstler kann in seinen Bildern seine Vertrautheit mit den Dichtern zeigen, deren be- rühmtestß Gedichte er Wort für Wort in Symbole übersetzt und malerisch wiedergibt. Für unsere Uebernervösen unter den Künstlern, welche Farben schmecken und hören und sich einbilden, in einer nur ihnen und einigen ihrer Anbeter sym phonisch klingenden Disharmonie ganze Bilder und Vorgänge zum Ausdruck bringen zu können, nament lich aber sür eine Richtung in der Malerei, welche das Publikum doch nur höhnt, indem sie uns nur ihnen verständliche Rätsel als Quintessenz der Malkunst vor setzt, sollte der verknöcherte Standpunkt der chinesi schen Kunst eigentlich abschreckend wirken, die mit ihrer Symbolik sich heillos verrannt hat.