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Das Blockhaus am Vaal. Skizze von Friedrich Meister. (Nachdruck verboten.) Ein jeder Mensch hat seine Geschichte, der eine merkwürdige, der eine alltägliche, dieser eine traurige, jener eine, über die man lächeln, vielleicht gar lachen muß. Wer diel in der Welt herumkommt, lernt manches Menschen Geschichte kennen, und seine eigene bleibt avch keine alltägliche. Heute fiel mir ein, was mir jenseit des Ozeans vor langen Jahren ein Ausgewanderter erzählte, und das soll nun auch der Leser erfahren. „Wenn man die Welt voll Menschen wie einen Kessel aufs Feuer setzen und aufkochen lassen könnte, so würden wir Goldgräber als Abschaum oben zu Tage kommen." Mit diesen Worten fing der Ausgewanderte seine Geschichte an. „Und doch hatten wir im Mond- scheinkainp am Vaalflusse einmal einen wirklich an ständigen, ja vornehmen Mann unter uns. Wie der dort hinkam, ich weist es nicht, genug, er war da, und eines Tages war auch sogar noch seine Tochter da. Sie wohnten in einem kleinen Blockhause, das entfernt von dem Kamp der anderen Digger, in einem Gehölze stand. Fehlan, so nannte sich der Mann, arbeitete här ter und unermüdlicher als wir alle; in seinem Be nehmen gegen uns war er ruhig und höflich, sonst «Ler kalt, hart und verschlossen. Mir gegenüber zeigte er sich mit der Zeit ein klein wenig zugänglicher, viel leicht. weil ich nicht ganz so wüst und verwildert wie die anderen, und nebenbei auch sein Landsmann war. Als seine Tochter mir zum ersten Mal entgegentrat, da meinte ich, einen Engel, mindestens aber ein über irdisches Wesen zu sehen. Ich hatte ihn eines Abends bis an sein Blockhaus begleitet, und sie kam aus der Tür, den Vater zu begrüßen. Wie schön sie mir er schien, das kann ich nicht beschreiben, soviel aber ist ge wiß, daß ich nie ein schöneres Weib gesehen habe, noch jemals sehen werde. „Einer von meinen Kameraden", sagte Fehlan zu ihr mit seiner Weichen Stimme und seinem harten Lä cheln, indem er mich ihr vorstsllte. Seit jenem Mo ment war das kleine Häuschen für mich der Mittel- vunkt der Welt, zu dem es mich unwiderstehlich hinzog. Bald batte ick das Glück, mich dem Fräulein — Helene hieß sie — nützlich macken zu dürfen: ich holte Wasser kür sie, machte Brennholz klein, reinigte die Stiefel, kurz, tat aste Arbeit, die sick kür sie nicht schickte. 'Zuerst mochte sie das nicht leiden, dann aber liest sie mich gewähren und zuletzt wurden wir gute Freunde, — wenn dieser Ausdruck, bei dem himmelweiten Unter schiede zwischen ihr und mir, überhaupt anwendbar ist- „Franz", sagte sie an einem regenschwülen Abend zu mir — im ganzen Kamp hieß ich nur Franz, und ich glaube nicht, daß sie meinen Familiennamen jemals gehört hat — „in der letzten Nacht habe ich einen Traum gehabt, der mich recht ängstigt. Mir träumte, ich sähe meinen Vater drüben in der Schlucht im hohen Grase liegen, fest schlafend, so fest, daß ich ihn trotz oster Mühe nicht aufwecken konnte. Und während ich ihn rüttelte und rief, wuchsen ringsum die Blumen immer höher und höher, bis er darunter ganz verborgen war. Da mußte ich weinen, und weinend wachte ich auch aus." „Sie sind zuviel allein, Fräulein", antwortete ich, „da kommen allerlei Gedanken." „Möglich", versetzte sie. „Auch ängstigt es mick, daß der Vater morgen nach Potschefstroom reisen und so viel Geld mit sich nehmen will." Potschefstroom war der Ort, wo die Goldgräber von Transvaal ihre Funde verkauften oder auf die Bank brachten. „Mein Vater hat in letzter Zeit viel Glück ge habt, nicht wahr?" fuhr sie fort. »Ja, Fräulein", sagte ich, „erst heute fand er zwei besonders große Stücke." „Das freut mich. -Aber da ist- er ja je wer!" Mir- einem jauchzenden Ruf sprang sie zur Lür. Ihr Vater war's jedoch nicht, der dort draußen stand. „D Franz!" stieß- sie, erschrocken hervor, denn vor sich sah sie ehren schwarzbärtrgcn, banditenheffren Men schen, den schlimmsten Gesenken Pes ganzen- Kamps, einen ehemaligen Mätrofest. Und hinter dem stand noch einer, ein falscher, unheimlicher Kerl, der sich Philipp nennen ließ. Beide wären zufällig in der Nähe gewe sen, als Fehlan heute den großen Fund machte. Ich gewann sogleich die Neberzeug«N-g, daß sie nur gekom men waren, das Haus zu umschleichen, und daß sie auf das Oeffnen der Tür nicht gerechnet hatten. Helene, fragte mit bebender Stimm« nach ihrem Begehr. Die Kerle aber grinsten sie nür unverschämt an, machten einige hämische Bemerkungen über meins Anwesenheit und schlenderten in das Gehstlz zurück. „Sind das die Leute, mit denen mein Vater arbei« tet?" sagte Helene, die totenbleich geworden war. „Dann stehe Gott uns bei!" Ich bemühte mich, ste auf andere Gedanken zu bringen; ich schürte das Feuer zu Hellem Brande und tat geschäftig bald dies und bald das, um bei ihr bleiben zu können, denn ich hatte das Gefühl, daß die Kerle noch immer draußen herumsirichen. Nach einer Weile fragte sie mich, ob ich nicht ihrem Vater ent- gsgengehen wollte. „Aber Sie —" wandte ich ein. „O, ich fürchte mich nicht hier im Hause", versetzte sie mit gezwungenem Lächeln: „bin ich denn nicht täg lich vom Morgen bis zum Abend allein?" Ich riet ihr noch, die Türe nur auf meinen oder des Vaters Pfiff zu öffnen, dann ging ich. Ich traf Fehlan sehr bald und zwar gerade in der kleinen Schlucht, von der Helene geträumt hatte. Die Picke über der Schulter kam er leichten Schrittes daher und nickte mir so heiter, wie ich ihn noch nie gesehen, seinen vornehm herablas senden Gruß. Ich berichtete ihm kurz das Vorgefal lene und riet ihm, vorsichtig zu sein. „Danke," sagte er gleichgültig. „Ich will Ihnen übrigens eins Neuigkeit mitteilen, Franz", fügte er hinzu. „Mit dem Mondscheinkamp bin ich fertig: ick habe Glück gehabt und bin nun in der Lage, wieder in die Welt zurückkehren zu können. Meins Tochter weiß noch nichts davon. Morgen nehme ich sie mit nach Potschefstroom; von dort geht's nach Natal und dann nach Europa." Ich stand wie vom Donner gerührt. Fehlan aber fuhr rubig fort: „Wenn Sie uns morsen früh noch ein Abfchiedswort sagen wollen, so sollen Sie will kommen sein. Aber wie sehen Sie aus, Franz? Also die Trennung von mir gebt Ihnen nahe? Sie sind ein treuer Bursche. Es Ware mir lieb, wenn Sie uns bis zu der Stelle, wo dis Wagen halten, bealei- ten wollten: man kann nicht wissen, ob dis Hallnn- ken nicht im Hinterhalt liegen werden. , Die Miete für mein Häuschen Habs ich dem Gastwirt Johnson bereits bezahlt. Vielleicht sind Sie so freundlich, ihm hernach den Schlüssel zu bringen. Aber Mensch, Franz!" schloß er lachend, „hat die Neuigkeit Sie denn sprachlos gemacht?" Das hatte sie, und mehr als das. Mir war, als hätte ich einen Schuß durch und durch erhalten. Die Erde schien unter mir zu schwanken und nur mit Gewalr vermochte ich mich zu fassen Jene Nacht werde ich bis an mein Ende nicht vergessen Ich wanderte umher, wie ein ruheloser Geist. Oede lag die Zukunft, leer mein ganzes wei teres Leben vor mir. Aber was war nur denn He lene? Wa§ konnte sie mir denn sein? Mir, einem Vagabunden, der nicht wert war, den Staub unter ihren Füßen zu küssen? . . . Um das Morgengrauen suchte ick den Ort auf, wo das Häuschen stand, unter dessen Dach sie zum letzten Mal ruhte. Ich kam in die Schlucht, wo die Blumen so üppig wucherten. Und unter diesen Blu« men sah ich etwas, das mein Blut erstarren ließ — das bleiche Antlitz eines toten Mannes. Fehlan, He«^