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irs Mn Sckulrpockemmplang. Von Dr. E. Küstner. (Nachdruck verboten.) Der 14. Mai 1916 ist der 120. Geburtstag der Schutzpockenimpfung. Die Jmpfgegner unter unseren Lesern werden freilich sagen: „Das ist auch etwas Rechtes." Indes wir wollen uns hier nicht mit der Frage beschäftigen, ob die Impfung in der Tat ein Segen für die Menschheit oder ob sie, wie ihre Feinde behaupten,» nwirksam, ja unter Umständen sogar ver derblich ist. Wir halten uns hier nur an die historische Tatsache, und es steht fest, daß es sich um etwas von großer Bedeutung handelt. Auch meinen wir, daß Ler Mann und Gelehrte, welcher der Erforschung der Schutzpockenimpfung mehr als zwanzig Jahre mühe voller Arbeit gewidmet hat, doch wohl ein freund liches Erinnerungswort verdient — selbst von seinen Gegnern und obwohl er ein Engländer war. Die Idee der Impfung im allgemeinen und der Schutzpockenimpfung im besonderen ging nicht von Edward Jenner — Lies ist der Name unseres Geistes- Helden — selbst aus. Schon im Altertum kannte man eine künstliche Uebertragung der Menschenblattern, nur war das Verfahren ein von dem jetzigen durchaus verschiedenes. Man impfte nämlich einfach das Gift von an Blattern erkrankten Menschen in kleine Haut verletzungen oder Hautwunden Gesunder ein, weil man die Entdeckung gemacht hatte, daß eine derartige Ueber tragung der Krankheit einen milden und gutartigen Verlauf nahm. Diese Art der Impfung scheint sich lange Zeit hindurch erhalten zu haben, denn sie gelangte am Anfang des 18. .Jahrhunderts aus dem Orient wieder nach Europa. Die Gemahlin des englischen Gesandten in Konstantinopel, Ladh Montague, war es, welche das Schutzmittel im Jahre 1718 der Zivilisation bsscheerte, worauf es, da ihm eine Anzahl bedeutender Aerzte das Wort redete, rasch eine große Verbreitung fand. Die Schrecken der Pockenepidemien warben der neuen Erscheinung zahlreiche Freunde, wie ja auch die Furcht vor den verheerenden Wirkungen der Diph- teritis und Tuberkulose das Heilserum und das Koch'sche Tuberkulin so ungeheuer schnell in Mode brachten. Wie aber auch bei der Tuberkulinbewegunz die Reaktion nicht ausblieb und wie auch das Heilserum von vielen früheren Bewunderern später wieder angezweifelt wurde, so war es auch mit der Blatternimpfung. Nur zu bald entdeckte man, daß die Einimpfung der Men schenblattern (Variolation) gap keine so ungefährliche Sache war. Nicht nur für den Impfling selbst, son dern auch für die Umgebung, denn in vielen Fällen steckte er diejenigen seiner Bekannten, Verwandten oder sonstigen ihn umgebenden Individuen an, die nicht geimpft waren, so daß die Sterblichkeit durch die ent setzliche Seuche nicht nur nicht gemindert, sondern unter Umständen sogar noch gesteigert wurde. Es ver steht sich, daß man bei Wahrnehmung solcher Wirkungen bald von der Sympathie für das neue Schutzmittel kuriert ward, trotzdem erhielt sich der Gebrauch bis zum Ende des 18. Jahrhunderts, in einigen Ländern noch erheblich länger. Die bis dahin übliche Jmpfmethode wurde schließ lich durch eine andere, die noch jetzt im Gebrauch befind liche, ersetzt. Im nordwestlichen Deutschland wie auch im südlichen England (also in Gegenden mit bedeu tender Rindoiehzucht), wußte man lange schon, daß ein dann und wann an den Eutern der Kühe ent stehender Blatternausschlag sich mitunter auf die Hände der Melkenden verpflanzte und diese dadurch gegen Lie Menschenpocken geschützt seien. Bereits im Jahre 1763 soll diese Tatsache dem Landprediger Heim zu Soltz bekannt gewesen sein, und schon 1765 soll man im Holstein'schen Kuhpocken als Schutzmittel auf Men schen übertragen haben. Wie Dr. med. Kreß in seinem Buche: „Der Mensch" mitteilt, wurde eine glücklich verlaufene und angeblich vollkommen schützende Imp fung unmittelbar vom Euter der Kuh weg im Jahre 1791 an den Kindern durch den Schullehrer Plett zu Stackendorf im Holsteinschen vorgenommen. Dieser Vorgang fand indessen wenig Beachtung, weil die von Aerzten angestellten Versuche nicht befriedigend aus gefallen waren und man daher der Impfung skeptisch gegenüberstand. Der als Entdecker unserer Schutzpockenimpfung be kannte und genannte Edward Jenner war ein englischer Wundarzt. Am 17. Mai 1749 als Sohn eines Pfarrers in Berweley (in Gloucester) geboren, lernte er bei einem Wundarzte in Sudbury, um von 1770 ab seine Studien bei dem berühmten Anatom und Chirurg John Hunter zu vollenden. Später nahm er in seinem Ge burtsorte Aufenthalt, wo er als Wundarzt praktizierte. Seine wissenschaftlichen Studien setzte er aber fort und beschäftigte sich vor allem lebhaft mit einem Ge danken, den die Aeußerung einer Bäuerin in ihm wach gerufen hatte. Die schlichte Frau hatte ihm nämlich die unter den Landleuten der dortigen Gegend, in welcher die Kuhpocken häufig grassierten, verbreitete Anschauung von der schützenden Wirkuung derselben gegen die Menschenpocken mitgeteilt. Einundzwanzig Jahre forschte und prüfte der gewissenhafte Gelehrte die wichtige Angelegenheit, von 1775 bis 1796, obwohl das negative Verhalten der Aerzte, die er umsonst für seine Ideen zu interessieren versuchte, nicht gerade ermutigend sein mochte. Erst stellte er das Bestehen der Anschauung fest und prüfte die ihm mitgeteilten Fälle, in welchen sich die zufällige Uebertragung fchutz- bringend bewährt haben sollte. Leider entdeckte er hierbei, daß der behauptete Schutz in zahlreichen Fällen nicht eingetreten war, während in anderen der Erfolg wirklich bestand. Woran lag das? Jenner kam endlich hinter die wahren Ursachen. Er fand nämlich, daß nur eine bestimmte Art der am Euter der Kühe vor kommenden Ausschläge die echte Kuhpocke, und auch diese nur in einem bestimmten Stadium ihrer Entwicke lung, als Schutzmittel gegen Menschenblattern zu er achten sei. Einer allgemeinen Benutzung dieser Fest stellung bereitete vor allem die Tatsache Hindernisse, daß die echte Kuhpocke nur in -wenigen Gegenden vor kommt und auch dort nicht immer vorhanden ist. Jen ner gelangte daher zu einem anderen Ausweg: er be gann die Schutzpocke des Menschen durch Impfung auf andere Individuen zu übertragen. Der Tag, an wel chem die erste solche Ueberimpfung vollzogen wurde, der 14. Mai 1796, ist also der eigentliche Geburtstag der Schutzpockenimpfung zu betrachten, er krönte das Lebenswerk des unermüdlichen Forschers. Ein Milch mädchen aus der Gegend von Berkeley, Sara Nelmes, war es, von dessen Hand der Arzt die Pocke auf den Arm des achtjährigen James Phipps übertrug — zwei Namen, die dadurch der Kulturgeschichte einoerleibt worden sind. Die Sache erregte überall großes Auf sehen und der Erfolg übertraf alle Erwa.rungen, da die in der Folge dem kleinen Phipps eingeimpften Menschenblattern nichts über diesen vermochten. Jen ner setzte seine Experimente noch mehrere Jahre fort, begründete und fixierte sein Verfahren, das er 1798 in einem illustrierten Werke veröffentlichte. Tie neue Entdeckung verbreitete sich rasch über England, Deutsch land, Frankreich, ja die gesamte Kulturwelt. In Eng land wurde bereits im Jahre l799 das erste öffentliche Jmpfinstitut errichtet, innerhalb 2 Jahren wurden über 12 000 Menschen geimpft. In Dresden nahm General stabsarzt Dr. Raschig 1801 die erste Impfung an seiner eigenen Tochter vor, bald folgten andere diesem Bei spiel. Bayern führte 1807 zuerst den gesetzlichen Impf zwang ein, dann folgte Baden 1815, Hannover 1821. England kam erst 1857 dem Vorbild der anderen Län der nach. Jenner selbst erlebte noch die großen Erfolge seiner Entdeckung, er ward geeehrt und belohnt, indem man ihn zum Präsidenten des zur Verbreitung der Impfung errichteten „Royal Jennerian Society" erhob und l802 und 1807 durch je eine Nationalbelohnnny von 10 000 und 20 000 Pfund Sterling allen Sorgen des täglichen Lebens entrückte. Er starb am 26. Ja nuar 1823 in seiner Geburtsstadt,- 34 Jahre nach sei nem Tode errichtete man ihm z» E-ven i« Llvrdon: «in DerckmaL. -