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Abendstunde A^Mri'itL Seitiwg Gmtsvistt) Der Erbe von Oerke-alen. Roman von SilaS Hocking. 30) (Nachdruck verboten.) Nicht weit von ihrer Wohnung war er ihr begegnet, er hatte sie in einem Augenblick erkannt, aber sie ihn nicht. Fragend blickte sie ihn an, denn Fremde kamen nicht häu fig ins Dorf. „Kennen Sie mich nicht, Kätchen?" fragte er da schmerzlich bewegt. „Nein." „Ich kannte Sie sofort, obgleich —", er schwieg, er hätte beinahe etwas gesagt, Was sie vielleicht schmerzlich berührt hätte. „Ich entsinne mich nicht —" „Ich bin Adolf Funke." „Das kann nicht sein," sagte sie, während Tränen ihre Augen umflorten. Es war ein schmerzlicher Moment für beide — wie ein Erwachen aus einem langen» langen Traum. Dreißig Jahre lang hatten sie einander im Herzen getragen in Hangen und Bangen, aber jetzt, wo sie sich Auge in Auge gegenüber standen, verflog alle Romantik im Nu. Kätchen war noch immer sympathisch und an mutig, aber sie war nicht das Kätchen, das er verlassen. Zwischen achtzehn und achtundvierzig liegt eine große Kluft, ein halbes Menschenleben. Und bei ihm war die Veränderung noch größer. Dreißig Jahre hindurch hatte sie von einem blühenden Jüngling geträumt mit frischen Wangen und fröhlichen Augen, nun stand ein wettergebräunter, graubärtiger Mann vor ihr, dessen Augen durch buschige Brauen fast verdeckt wurden. Es war ihr, als hätte jemand mit rauher Hand ihr Ideal zerstört. O, hätte sie doch ihren Traum Weiterträumen dürfen? Dies war nicht der Mann, dem sie Treue bewahrt, es war der Adolf nicht, dem sie sich zu eigen gegeben, es war ein Fremder. Adolf war es. der das peinliche Schweigen brach. „Ich weiß Wohl, daß ich mich sehr verändert habe," sagte er in fast entschuldigendem Tone, „aber ich habe auch schwer gelitten." „Aber Sie haben nicht getan, was man Ihnen zur Last legt?" „Nein Kätchen, dann wäre ich Ihnen nicht unter die Augen getreten." „Ich wußte es. obgleich ich dafür ausgelacht wurde." „Die Wahrheit wird bald genug ans Licht kommen." „Es freut mich — o, es freut mich, daß Sie — sich Ihren — guten Namen bewahrt haben," 'versetzte sie, ohne ihn anzublicken. „Ich habe nie daran gezweifelt." „Ich danke Ihnen für Ihre gute Meinung, wenn ich sie auch nicht völlig verdiene, später werde ich Ihnen viel leicht alles sagen — wenn Sie es hören wollen." „Werden Sie hierbleiben?" „Ich weiß es selbst nicht , ich beabsichtige es nicht, — aber —" „Vielleicht kommen Sie einmal wieder," sagte sie zö gernd, „ich wollte eben ins Dorf gehen, und Vater ist noch aus dem Felde." „Ist er gesund?" „O ja, er hat sich jetzt sehr erholt. Als Mutter starb, fürchtete ich, ich würde ihn auch vald verlieren." „Ich möchte ihn gern Wiedersehen. Darf ich Sie ein Stück begleiten?" So gingen sie miteinander und sprachen über alte Be kannte, über das Wetter und die vorjährige Ernte, aber über ihre früheren Beziehungen redeten sie kein Wort. Sie fühlten beide, daß ihre Liebe zu Ende sei und daß keine Macht der Welt das Feuer der ersten Leidenschaft wieder entfachen könne. Adolf hätte weinen mögen, als er wieder in seinem Zimmer saß, und Kätchen zerfloß wirklich in Tränen. Nie mals hätte ich geglaubt, daß die Zeit so grausam kein könne, ihre alles zu rauben, was ihr heilig und teuer war. Vergeblich war ihre Treue gewesen, niemandem hatte es etwas genützt, daß sie geharrt und gehofft und ent behrt hatte. O, du grausame Zeit, wie viel nimmst du uns und gibst so wenig dafür! Erst Johannes' Kommen ' Adolf aus seinem trü ben Sinnen, und voll Intern,' - lauschte er auf seines Sohnes Bericht über die Begegnung mit seinem alten Widersacher. 8. Kapitel. Gedemütigt. Eine Stunde nach Sonnenuntergang begab sich Adolf mit Herrn Weller aufs Schloß. Sie waren beide ernst gestimmt, wußten sie doch, daß es einen schweren Kampf galt, für den sie sich wacker rüsten mußten. Der Bediente meldete Peter den Besuch zweier Herren. „Wer sind sie denn?" schrie ihn Peter an. „Herr Weller und der Herr, der gestern abend schon hiee war." „Beim Zeus, die haben's eilig," murmelte er, und fügte dann laut hinzu: „Führen Sie die Herren in die Bibliothek." „Bei Tag und Nacht keine Ruhe mehr," stöhnte er, als er wieder allein war. „Ob sie wegen des Jungen kommen? Da habe ich doch Weller Unrecht getan." Er schlürfte die Treppe zur Bibliothek hinunter. Vor der Tür blieb er noch einen Augenblick zögernd stehen, ehe er mit fest zusammengeknisfenen Lippen eintrat. Weller und Adolf erhoben sich beide, Peter begrüßte sie mit leichtem Nicken und humpelte dann zu einem Stuhl. „Sie sind wohl wegen des jungen Mannes gekommen?" fragte er. „Ich wollte über diesen Punkt noch einmal mit Ihnen reden, Herr Funke, aber unter vier Augen." „Darum bin ich nicht gekommen, antwortete Adolf kalt, „heute handelt es sich um die Begleichung einer alten Rechnung." „So?" sagte Peter trotzig. „Herr Weller wird Ihnen die Sache näher ausein andersetzen." „Mich verlangt nicht nach einer Unterredung mit ihm." „Aber er wünscht Sie zu sprechen, und Sie werden ihm wohl oder übel zuhören müssen."