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Wg Saxaul uns Sie ssbne. Porr Leutnant d. L. F. Schrönghamer-Heimdal. (Nachdruck verboten.) Stur ein Zeichen ists, ein Sinnbild, die Fahne, Aber Sinnbild des Höchsten und Heiligsten, zu dem die Blüte der Jugend schwört: „So wahr mir Gott helfe und sein heiliges Wort!" Das Liebste, das sie haben, verschwören sie an dieses Zeichen: Leib und Leben, Gut und Blut, in Treue und Gehorsam, in selbstloser Hingabe an das L- eterland. Die Fahne, die ich meine, ist heute hundert Jahre alt, io alt wie das Regiment, dem sie zugehört. In hundert Jahren haben je tausend neu zu ihr geschworen, hundert tausend Treueide, hunderttausend Schwurhände -ecken sich an dem schlanken Schaft mit den Silberringen, darauf je ein Heldenname steht,*) auf zu der zerfetzten, verschos senen Seide mit dem blau-weißen Wappen und dem thro nenden Goldlöwen darüber. Seht die Fahne! — Ist es nicht, als rauschte ein Jahrhundert aus ihr mit allem, was sie geschaut und erlebt? Heilige Schauer rieseln aus ihr hernieder zu den Zehntausenden, die einst zu ihr geschworen und die heute wiedergekommen sind, um sich erneut um sie zu scharen am hundertsten Gedenktage des Regiments. Voran stehen die Veteranen, die Helden von 66 und 70, ernst jung und sehnig, heute grau und gebeugt. Aber jetzt kommt die Fahne. Wie straffen sie sich, wie leuchten ihre Augen! Dahinter reihen sich die Jüngeren, Jahr gang um Jahrgang, Tausend um Tausend. Und die Augen der Zehntausende blitzen dem einen Ziele zu, der Fahne, die im Wirbel der Trommeln vor dem großen Regiments steht. Kein einziges Meineidsauge ist unter den Zehn tausenden — ein Sinn, ein Wille, eine Pflicht, eine Treue und eine restlose Hingabe! Auf dem Zaune hinter der Zehntausendschar reckt sich eine Jungengestalt, um auch das Zeichen zu sehen, zu dem diese alle geschworen, in dessen Schatten sie heute schwurerneuernd feiern. Jetzt senkt sich die Fahne, die goldstarren Gefechts bänd er klirren, und der Junge liest dis seltsamen Namen darauf: Plozk, Ostrolenka, Bar-sur-Aube, Arcis-snr-Aube, Wörth, Sedan, Orleans, Baris. Und auf einmal versteht der Junge, warum so viele beute aus nah und fern zur Fahnenfeier gekommen sind. Du weißt ja, Jörg Baldauf, aus der Geschichte, was diese Ramen bedeuten, Plozk, Ostrolenka — du siehst den weißen Tod auf Rußlands Eisfeldern, du siehst die Tausende, die unter dem Banner damals dahinstarben. Von 60 000 Bayern kehrten, nur mehr 300 in did Heimat zurück. Aber von diesen steht heute keiner mehr unter diesem Zeichen: nur ihr Heldengeist weht noch aus der Fahne, und ihre Schwurhände sind immer ooch und unvergänglich zu ihr emporgestrcckt: „So wahr mir Gott helfe und sein hei liges Wort!" Wörth. Sedan, Orleans, Paris! Von den Eisfeldern Polens flattert die Fahne nach den sonnigen Rebenhü geln Frankreichs, und wieder sinken Hunderte unter ihrem Zeichen in den Tod der Treue. Siehe, kaum ein Ort im schönen Bayernlande ist, aus dem nicht einer zu der ehrwürdigen, kugelzerfetzten Fahne geschworen hätte in die sen hundert Jahren. lind da Weitz es der junge Gymnasiast auf dem Zauns, warum ihm von der Fahne her so heilige Schauer zu- wchen, daß ihm die Wangen plötzlich erglühen, daß sich ihm die Hand wie von selbst zum Schwur hebt, zu die sem heiligen, todumwitterten Zeichen des Vaterlandes, der Baycrntreue. » * * Wenige Wochen später. — Trommelwirbel hallen durch die Straßen, ein Weltgewitter steht am Himmel. Die Leuts schreien Hurra, die Jungen jubeln, die Frauen eMcichen und weinen ob dem schrecklichen, unerwarteten Worte: Krieg! Bahnzüge donnern durchs Land mit unzähligen, kostbaren Frachten jungen Heldenblutes, — die gedienten Söhne des Feuer d-r überraschten Feindes. *) Wer mit der Fahne in der Hand tödlich verwundet wird, dessen Name wird in einem silbernen Ringe am Zahnsnschaft eingegraben. . , Landes ziehen allerorts jauchzend und singend zu ihren Fahnen. Und ein Ungedienter, ein ganz Junger, eilt auch zu seiner Fahne, der er an einem Julitag auf dem Zaun hinter den Zehntausenden schon heimlich zugeschworen. Als erster von den vielen, die sich in diesen Tagen freiwillig ins Jubelregiment einreihen ließen, stürmt er in die Re gimentskanzlei und bittet: „Nehmt mich mit! Bitte, nehmt mich mit!" Der Adjutant mustert ihn eine Weile. „Wie alt?" — Siebzehn!" — Ja, das sieht man. Schmal und aufge schossen- eine richtige Schulpflanze ist er noch, der Jörg Baldauf. Aber seine Lippen sind verkniffen und bekunden ein eisernes Wollen, und seine Augen leuchten in dem heiligen Feuer, das von der Fahne vor wenigen Woche^ in seine Seele geströmt, von der nämlichen Fahne, unter der sich das Feldregiment jetzt sammelt, um in den näch sten Stunden schon hinauszuziehen Wider einen der dielen Feinde, die Deutschland nun verderben wollen. So wird Jörg Baldauf trotz seines jugendlichen Al ters als Kriegsfreiwilliger ausgenommen. Und nach einer Woche schon, während draußen in Lothringen die Fahne von Sieg zu Sieg getragen wird —, übt daheim im Stand orte eine neue, fahnenlose Truppe, das Regiment der Kriegs freiwilligen. Aber bereits nach kurzer Zeit kommt auch für sie der große Ehrentag, die Stunde, in der auch sie der hundertjährigen Fahne zuschwören. In Flandern, hinter der Gefechtsfront des Regiments, wo das Ersatzrcgiment vollends feldfertig ausgebildet wird, verliest der Offizier vor der durch neue Schlachten getra genen Fahne die Stabung des Fahneneides: „Ihr sollt schwören zu Gott dem Allmächtigen einen körperlichen Eid, daß ihr dem allerdurchlauchttgsten, groß mächtigsten König und Herrn Ludwig IU., unserem aller- gnädigsten Kriegsherrn, treu dienen, Allerhöchstdessen Wohl nach Kräften fördern, alsdann allen Vorgesetzten den ge bührenden Respekt und Gehorsam leisten, deren Befehle ohne Widerrede und unverdrossen vollziehen, im Kriege wie im Frieden, zu Wasser und zu Land, bei Tag und bei Nacht, auf Märschen und Wachen, bei Belagerungen, in Stürmen und Schlachten, überhaupt bei allen Gelegen heiten, euch als tapfere und treue Soldaten erweisen, eure Fahne niemals treulos und meineidig verlassen, vielmehr sie stets mutig verteidigen und nach Vorschrift der Kriegs gesetze euch jederzeit so benehmen wollet, wie es ehr- liebenden Soldaten geziemt. Auch schwört ihr, im Kriege den Befehlen Seiner Majestät des Deutschen Kaisers alS Bundesfeldherrn unbedingt Folge zu leisten!" Tie Freiwilligen nehmen den Helm ab und erheben die Schwurhand: »Ich schwöre, daß ich alles dasjenige, was mir soeben vorgehalten worden, und ich wohl verstanden habe, ge treu befolgen will, so wahr mir Gott helfe und sein heiliges Wort!" Der Schwur verhallt über den hochgestreckten Hände», über den blitzenden Jungenaugen, die auf einmal so männ lich und entschlossen, so ernst und tief auf das heilige Zeichen blicken, daß man merkt, Schwur und Tat sind eins, koste es, was es wolle! * * « Ein Aufatmen geht durch sämtliche Besatzungen der Schützengräben an der Front in Flandern, die sie seit Monaten gegen eine Uebcrmacht gehalten: Morgen geht's zum Angriff! Morgen gibt's einen freien und frischen Sturm! Mor gen, denkt ein jeder, morgen! Ob's wahr ist? — Ja, es ist so! Schon beim Morgengrauen entfalten sie im Unter stand des Bataillonsführers die Fahne. Ein brauner Ser geant trägt sie. Raunend geht die Kunde von der ent falteten Fahne von Graben zu Graben: „Tie Fahne ist da! Tic Fahne!" Zum Sturm vorwärts! Jörg Baldauf ist der erste auf der Brustwehr; wie eine Lawine brandet es jetzt feldgrau aus Graben und Graben, während die Hörner in einem fort das Sturm signal gellen. Jörg Baldauf'S Auge sucht die Fahne. Ta, da flat tern die Seidenfetzen in der Dämmerung, umbrüllt vom