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Abendstunde Fem gesponnen. Eine Erzählung vom Balkan von Adolf Flachs. 81 (Nachdruck verboten.) „Der Idealist ist schlau und praktisch, wenn es IMen Zwecken paßt. Warum mußte es gerade Maritza sein, in die er sich verliebt! Gibt es nicht andere schöne und wohlhabende Mädchen? Freilich fällt die Strafe härter aus, als er verdient. — Aber ist er denn der erste? Wurden im Laufe der Jahrhunderte nicht Tau fende von unschuldigen Menschen einem höheren Zwecke geopfert? Haben ein Cäsar, ein Napoleon gezögert, Men schenleben aufs Spiel zu setzen, wenn es ihnen zur Errei chung eines bestimmten Zieles für notwendig erschien? Wer ein Führer sein will, dem ziemt nicht weibische Schwäche und Empfindsamkeit. Wenn ich als Lenker der Geschicke meines Volkes Glück und Segen verbreiten oder Angemach von ihm abwenden werde, wird Gott und die Gesellschaft verzeihen, daß ich ein einziges Leben nicht geschont!" Er fühlte sich durch diese Betrachtungen nun gleichsam gestärkt, ermutigt, und seine Stimmung war wieder geho ben. Er klingelte zweimal, Mihai trat ein und brachte den Morgenimbiß. Auf dem Tablette befand sich ein Brieschen — goldberändertes Elfenbeinpapier, das einen zarten Veil chendust verbreitete. Toporeanus Herz pochte. „Viel leicht von Maritza," sagte er sich, „vielleicht erklärt sie ihr gestriges Verhalten —" Er überlegte, ob er den Brief gleich öffnen soll oder nicht. — Nein! Bringt er etwas Erfreuliches, dann wird er es nach dem Frühstück um so besser genießen können: ist der Inhalt unangenehm, dann hat er sich vorher gestärkt. Er zwang sich, langsam den Kaffee zu schlürfen und ließ sich dann die duftenden Rosen- blättchen, in Zucker eingesotten, schmecken. Hierauf zün dete er eine Zigarette an, nahm den Brief zu sich und ging Ins Wohnzimmer; er setzte sich auf den Divan, öffnete das Schreiben, überflog rasch die wenigen Zeilen, und feine Hand senkte sich mit dem Brief. Toporeanu ward es unbehaglich und schwül zu Mute: die Furcht dännnerte in ihm auf, daß sein Glücksstern sich zu verdunkeln beginne. Nach der Kürze und der kühlen Höflichkeit des Schreibens von Madame Zoe zu schließen, Weint Maritzas Abweisung seiner Annäherung nicht die Folge einer vorübergehenden Mißstimmung, sondern einer tieferen Abneigung gegen ihn, den Herzensbezwinger von Bukarest, gewesen zu sein. Das verletzte und schmerzte feine Eigenliebe; es traf ihn wie ein unerwarteter Peit- Wenhieb. Er langte nach dem Spiegel und bettachtete sich — er fand keine Veränderung in seinem Gesicht, die Augen hatten den früheren, glänzenden, feurigen Blick; die blauen Ringe seiner Äugen hoben den blassen Ton seiner Gesichtsfarbe noch wirksamer hervor. Maritza war ihm sonst liebenswürdig, manchmal sogar Deundschastlich entgegengekommen. Und nun diese plötz- Üche Wandlung? Calin? Immer und überall Calin! So wird es stets sein! — Er hat ihr offenbar durch sein muti ges Auftreten an jenem Äbend imponiert, seine unge- Wminkte Aufrichtigkeit, in ihrem Kreise etwas seltenes, Akt die Wirkung nicht verfehlt. O, wie er Calin in diesem Augenblick haßte! Und der Haß wurde genährt durch ein instinktives Gefühl der Eifersucht, die in seiner plötzlich aufleimenden Liebe zu Maritza wurzelte. Ss wurde To poreanu dunkel vor de« Augen und er zitterte vor WM. Rein, nicht schonen wird er ihn morgen, sonder« erbar mungslos niederschießen, auf die Gefahr hin, daß Maritza ihn verabscheuen wird. Ein Fieberschauer durchrteseNe Toporeanu, er suchte seinen Ingrimm nach außen abzit leiten, ergriff einen Stuhl und schlenderte ihn mit «klar Macht zur Erde, daß Mihai erschrocken und neugieriU den Kopf zur Tür hereinstteckte, den er aber schleunigst zu rückzog, als er die große Aufregung seines Herrn bemerkte. Toporeanu litt es nicht in seinen Räumen; er ging ans, bestieg einen Schlitten und ließ sich weit hinausfahren, aufs freie Land. Die Stille der Natur, das einförmige Weiß, das Straßen und Felder bedeckte, das gleichmäßige Ge klingel der Schellen auf dem Geschirr der Pferde schläfer ten seine Unruhe ein wenig ein; allmählich entwirrten sich seine Gedanken und Gefühle, die früher, wie der jetzt fal lende vom Wind gepeitschte Schnee, herumgewirbelt hat ten, und als er wieder vor seinem Wohnhaus einttaf, da fühlte er sich ruhiger. Auf dem Schreibtisch fand er ein in Zeitungspapier eingeschlagenes Paket; er öffnete es und fand den Roman. „Die Würfel sind gefallen; mein Glück mag vielleicht Lau nen haben, aber es bleibt mir treu!" dachte er unter dem Einfluß einer ihm selbst unerklärlichen, hoffnungsfreudi gen Stimmung. Mit einem Gefühl der Dankbarkeit für den Verfasser blätterte er wieder in dem Buche, hier und da eine Stelle lesend; dann zerriß er es in mehrere Teile, warf sie in den Ofen, in welchem das Feuer lustig flackerte. Bloß ein Blatt behielt er und steckte es in die Hosentasche — morgen nach dem Duell wollte er diesen interessanten Abschnitt noch einmal lesen, um ihn seinem Gedächtnis einzuprägen, dann wird auch diese letzte Spur durch die Flammen vernichtet. — Seine Aussichten bei Maritza sah er jetzt auch in einem viel freundlicheren Lichte. Um sich in der optimistischen Beurteilung seiner Lage selbst zu be stärken, wiederholte er immer die alte, abgenutzte Redens art, die Madame Zoe mit einem tiefsinnigen Ausdruck im Gesicht gebraucht hatte: „Nicht jede Festung ergibt sich auf den ersten Sturm." Und er kam so von seinem Entschluß, Calin im Duell zu treffen, wieder ab. Aber immer wieder beschlich ihn die Furcht, sein Glücksstern sei im Erlöschen; Ruhe und Sicherheit konnte er an diesem Tage nicht fin den, obgleich er alle jene Mittel versuchte, die er sonst in ähnlichen Fällen mit Erfolg anzuwenden pflegte. Auch die Nacht brachte ihm nicht die ersehnte Befreiung von der ner vösen Verstimmung. Der Schlaf, der Sorgenbrecher, kam erst spät an sein Lager. Calin war am Vortage des Duells gleichmütigen Sin nes. Er erwog Wohl die Möglichkeit und Wahrscheinlich keit eines für ihn ungünstigen Ausganges, allein er tat dies mit einer stolzen Kaltblütigkeit. Fifirik bemühte sich vergebens,, seine Herzensangst durch die alte witzelnde Sprechweise zu bemänteln. Am Sonnabend kam er zu ganz ungewöhnlicher Stunde, schon gegen 7 Uhr abends, nach Hause. Er und_ Cakin be wohnten gemeinsam ein freundliches Gartenhäuschen iu^