Volltext Seite (XML)
M Wchnitz AetlMW Sonnabend den 13. Januar 1917 abends 63. Jahrganp >10 «« den Jarmuk auf einer kühugevauten Steindrucke Über schreitend, bei der Station Samach auf 208 Meter unter den Meeresspiegel. Wir sind in dem geologisch so merkwürdigen Jordantal angelangt, das einzig auf der Erde ist, weil es bis zum Toten Meer hin bis auf 394 Meter unter dem Spiegel des Mittelländischen» Meeres bleibt. Wir sind aber auch zugleich an den See! Genezareth gelangt und verlassen hier aufatmend den Wagen der sieben Plagen, um Tiberias und Nazareth! einen kurzen Besuch abzustatten. Waaen -er sieben Plagen. Unser auf der Fahrt an die Suesfront befindlicher Kriegsberichterstatter im Kaiserlich Osmanischen Hauptquartier — Paul Schweder schreibt uns: ch strahlten die Sterne am Himmel von Ta- und zwar in senem märchenhafte Glanze, wie in dieser tropischen Landschaft erhört ist. Ta er Stabsarzt Tr. L. an meine Tür. ^Effendim, ßt ja!" sagte er, als ich seufzend fragte, was >s sei. Ach richtig, der Mursitionszug nach em sollte ja um 5 Uhr früh vom Kadem- f abfahren und man hatte für unsere kleine ellschaft, die sich im Laufe der letzten Tage langen Fahrt zusammengefunden hatte, einen wagen zugesagt, aus das wir nicht den nur wöchentlich verkehrenden und darum inimer lten Postzug abzuwarten brauchten. außen in Kadem wartete schon die Frau Pastor aus Jaffa, die nach zweijähriger Abwesenheit zu ihren Lieben' in der Stadt Simons des l zurückkehrte, ferner die kleine freundliche blon- onissin aus Kaiserswerth, die ihren neuen Wir- eis in Nazareth aufsuchen wollte, der schlanke lt des Oberstkommandierenden der Suezarmee . A. und der malitiöse Oberstabsarzt Tr. Sch., den von einem Erholungsurlaub aus Deut- stederkamen und der Archäologe Tr. B. aus , der bei den Ausgrabungsarbeiten in Assur eltkriege überrascht worden war und nach heißen n drüben in Persien und Kurdistan einen kurzen in der heiligen Stadt verleben wollte. ch oben in der Luft sang der Motor eines türkischen Fliegers, der einem vor Beirut lie französischen Kriegsschiff einen Besuch abzu gedachte und auf dem Bahnhof herrschte das Geschrei der Araber, die so taten, als ob der isnahmsweise pünktlich abgehen sollte. In Wir- wurde es aber 10 Uhr, als endlich Tamascus i Blicken entschwand. Trotzdem waren wir alle Laune. Ein jeder sah nach Wochen- und mo- iger Reise.im Eisenbahnzuge, auf dem Rücken möglichen Reittiere oder im rasselnden Lastkrast- endlich ein Ziel vor Augen Jerusalem. var würde auch dies für die meisten keine blei- Stadt sein, aber der größte Teil der Strapazen doch überstanden. Also schwärmte man bald :n Schönheiten des gelobten Landes, durch das ug im Augenblick rollte. Ter eine erinnerte Kreuzzüge und malte sich aus, wie die alten wohl mit einem Herzen voll heißer Sehn- aller Leiden vergessend — diesen letzten Teil Maltigen Heereszuges zurückgelegt hätten. Der - sah im Geiste die Scharen Napoleons auf der von Jesreel im Kampfe mit den Türken und litte dachte an die stille Torfkirche, in der bei Weihnachtsandacht ihm zum ersten Mal der ch aufgestiegen war, Jerusalem mit eigenen All zu schauen. Ter vierte dachte an noch etwas es und die Frau Pastor holte ein frommes Kriegs buch aus ihrem Abteil herbei, das sie dem schüch- >l Archäologen in die Hand drückte, damit er nden etwas holprigen aber gutgemeinten Versen e, die von dem künftigen Jerusalem erzählten. Kur einer tat nicht mit, ein nervöser Professor in lantsuniform. Er hatte sich alsbald nach dem :igen mit einer Jnsektenpulverspritze be et und staubte das ganze Abteil ein. Tann r noch ganze Ströme einer desinfizierenden Flüs- t auf seinem Sitzplatze aus und hüllte sich schließ- n einen Gummimantel. Unter seinem Platz aber ! er eine mächtig stinkende Räucherlampe auf. am — er störte die erbauliche Stimmung in unan- mster Weise. Aber bald danach meinte die Frau r, daß sie noch etwas müde sei und sich ein wenig >r Abteil zurückziehen wolle. Auch die Tiako- l verschwand, und gleich, nachdem beide hinaus n, rief der lange Stabsarzt: „Donnerwetter, die !itos sind ja wieder einmal unausstehlich! Wenn keine Anopheles darunter sind, sonst habe ich :r für einige Wochen die Malaria am Halse!" ES waren aber gar keine Mücken da, wenigstens iufig nicht. Tie kamen, genau wie in der Ge- te von den sieben ägyptischen Plagen, erst am ld ins Abteil und fielen da kaum noch auf. Ter stabsarzt meinte, es würden wohl Phlebotomii taci, die sogenannten Sa nd fliegen sein. Tie ! er von Afrika her und habe sie auch in Aleppo ichtet. Sie seien Träger des Papatacifiebers, das Europäer nur einmal, dann aber nicht wieder be- ie. Auch die berüchtigte Aleppobeule schienen sie erursachen. Allein wir fanden trotz angestreng- Suchens auch keine Sandfliegen in dem Abteil, gstens in diesem Augenblick noch nicht. Sie er« >en erst in der Nähe des See» Genezareth, und da n wir uns schon Mit ganz anderen Tingen abge- en. Inzwischen hörten wir im Tamenabteil unter- te Schmerzenslaute» und der Mann im Gummi- tel wurde auch unruhig. Er bat, die Uniform aus sen zu dürfen, und betrachtete dann — tiefsinnig ein alt^r indischer Fakir — seinen Nabel. Auf al schrie er laut auf und präsentierte dem Ober arzt ein wurmartiges Tier, das sich verzweifelt einen Fingern wand und den Schwanz drohend lchtete. „Eine Kleiderlaus, Effendim!" sagte der Medizin- n trocken. „Sie ist Träger des Flecktyphus!" - des Kimmels willen." schrie der AenaNliche. „kön Aus aller Wett. " Ein „tüchtiger" Geschäftsmann. In einer gro ßen Mehlschiebungssache sitzen in Dessau in Unter suchungshaft Bäckermeister Krüger und die Kaufleute Görner und Reiß aus Magdeburg. Nachdem Krüge« seit Krtegsbegtnn beschlagnahmtes Mehl vertriebe« hatte, knüpfte er seit 1915 mit vier Windmühlenbe sitzern aus dem Kreise Dessau Geschäftsverbindungen an, die recht umfangreich wurden. Er zahlte ihnen für den Zentner Mehl 2 5 Mark. Das Getreide hier zu haben die Windmüller von Landwirten erwor ben. Für das Mehl forderte und erhielt K. bis zu 125 Mark für den Zentner! Ta die Vorräte der Windmüller einmal zu Ende gehen mußten, suchte K. einen neuen Lieferanten und fand ihn in der Per son des Magdeburger Kaufmanns Reiß. Später trat Görner hinzu. Diese lieferten das „Steinnutzmehl" waggonweise nach Dessau. Reiß gab für den Zentner 3 5 Mark. Umgesetzt wurde es zu 130 Mark. Bei der Beschlagnahme wurden noch über 100 Zentner vorgefunden. - * In der Eisenbahnzentralwerkstätte zu Darm stadt wurde bei der Explosion einer Sauerstoffplatte einem Arbeiter der Kopf abgerissen. Zwei andere Ar- . beiter wurden tödlich verletzt. tk Ein Schwur mit der linke» Hand. Vor dem Elbinger Schöffengericht hatte in einer Taubendieb stahlsangelegenheit der Arbeiter und Kriegsbeschädigte Karl Tiffert, dem der rechte Arm fast ganz fehlt, zN erscheinen. Ta D. beim Schwur nicht den rechten Arm bezw. die rechte Hand gebrauchen konnte, mutzte er mit der linken Hand den Armstumpf etwas an heben und schwören. t Die Sache ist gar nicht so einfach, sie bedarf möglicherweise, da die starke Anschwellung der Zahl der Krüppel diese Fälle mehren dürste, einer gesetz lichen Neuregelung. Paragr. 481 der Zivilprozeßord nung sagt nämlich: „Ter Schwörende soll der der Eidesleistung die rechte Hand erheben." Einstweilen werden die Gerichte sich somit in solchen Fällen auf die in dem Wort „soll" liegende Ungewißheit stützen müssen. " I» Leutnants-Uniform 2IV VOO Mart erschwindelt. Der Stadt Neukölln, — dem Berliner Vorort, der f> ^er Rixdorf hieß, — haben neulich drei Schwindler „einen Waggon holländische Plockwurst" für 21 000 Mark verkauft, sich gegen Aushändigung der Duplikatfrachtbriefe die Kauf summe bezahlen lassen und sind dann unbekannt wohin avgereist, wofür die Rixdorfer vergeblich auflihren ckngebltch in Aachen stehenden Waggon Plockwurst warten. — Eine - führende Rotte hat dabet der angebliche Oberleutnant Fritz Hammer gespielt, der sich als den Bevollmächtigten eines Grafen Fritz von Pappenheim ausgab. ANerdingS hatte der als österreichischer Soldat austretende Agent Fritz Gchallgo mit dein betreffenden Magistratsbeamten Neuköllns — einem gewissenhaften, im Dienst erprobten Magistrats sekretär — tn der Lebensmittelversorgung schon früher gearbeitet, und die Geschäfte waren zur Zufriedenheit er ledigt worden. So hatte Schallgo bet dem Geschäft mit „holländischer Plockwurst" schon einen guten Anhaltspunkt. Aber man kam erst zum Abschluß, als der „Oberleutnant" Hammer, dessen Offiziersuniform Vertrauen einflötzte, mit auf der Bildfläche erschien. Schallgo, der übrigens in - Wirklichkeit Rindfleisch heißen sott, wird wegen gleicher Betrügereien von der Stadt Köln steckbrieflich verfolgt. „Hammer" soll identisch sein mit einein 29 Jahre alten, aus Ober-Glogau gebürtigen Georg Rindfleisch, gegen den die Staatsanwaltschaft in Köln a. MH. bereits einen Haftbefehl erlassen hatte. Rindfleisch ge hört zu der Bande Hellermann und Genossen, die durch Riesenschwindeleien bereits drei Viertel Millio nen Mark erbeutet hat. Die Verhaftung Hellermanns, der ebenfalls den Oberleutnant spielte, ist inzwischen erfolgt. '/* Raubmord in Halle. Die Frau des Trechsler- meisters Ninckleben in Halle wurde von einem Unbe kannten, der ihr billiges Fleisch verschaffen wollte, in die Moltkestraße gelockt, durch Messerstiche getütet und ihrer Barschast von 105 Mark beraubt. //* Bergkraxler verunglückt. Ter neunzehnjährige Julius Brunner und die neunzehnjährige Mitzi Wel ser, beide aus Wien, sind von einer am Sonnabend unternommenen Raxpartie nicht zurückgekehrt. Man, befürchtet, daß beide ums Leben gekommen sind. — Vom Kaiserstcin im Schneebcrggebiet ist am Sonntag Landesrechnungsrat Fahrnbaner tötlich abgostürzt. * In Marburg wurde an der Universität eine Hochschulbücherei und Studieuanstalt für blinde Stu dierende begründet. * " Tas Schwein iln Kiudcrwagc». Ein glänzen des, „abwechslungsreiches" Schlachtfest mit Hindernissen bereitete die Berliner Polizei einer in der Emdener Straße in Moabit wohnenden Familie. Diese Familie hatte d^ser Tage „großen Besuch". In einem Kin- derwaaeu wurde ein Schweinchen von einem Zentner nen Sie mich nicht noch schnell impfen ? Sie hat mich ja schon seit einer halben Stunde gebissen!" —- „Gegen Flecktyphus gibt es keine Impfung," erwiderte der Oberstabsarzt. „Nach drei Wochen, wenn Sie etwas . Verdächtiges merken, kommen Sie zu mir. Mit einer Spritze Salvarsan werde ich sehen, was sich machen läßt!" — Der andere-sank verzweifelt in die ver lausten Polster zurück. „Da habe ich nun meine sämt lichen Sachen aus Seide Herstellen lassen und alle in Deutschland angepriesenen Schutzmittel gegen Ungezie fer mitgebracht, und nun —" „Ja, mein Lieber,"' sagte der Oberstabsarzt, „die helfen nur den Fabrikan ten. Sie hätten sich auch noch Heftpflaster um den Hals und um die Fuß- und Handgelenke kleben sol len und den Leib mit Sublimat waschen können. Und wenn Sie dann bei Müttern geblieben wären, so hätte Ihnen nicht das Geringste geschehen können!" In diesem Augenblick zuckte der Oberstabsarzt selbst zusammen und sagte: „Teubel auch, das ist aber ein Floh! Hat zufällig einer der Herren einen Nuß knacker bet sich?" — Herr von A. lachte. „Sehen Sie, meine Herren," sagte er dann, „wir alten Wüsten schiffer sind immun!" Und dabei entblößte er seinen Männerbusen und zeigte auf eine friedlich weidende Herde von Flöhen, Wanzen und Kleiderläusen. „Mau muß nur mit den Tierchen umzugeben verstehen. Mich stechen sie nicht so leicht. Wenn sie Hunger kriegen, fange ich ihnen einfach eine Kopflaus, und da die nicht zum Bau gehört, wird sie glatt aufgefressen!" Und schon griff er dem nervösen Mann mit dem Gummi mantel an den Hals und sagte: „Sie gestatten!" Gleich darauf prügelte sich sein zoologischer Garten um eine mit rotem Blut vollgesogene Laus. Ta wurde es üuch dem Kriegsberichterstatter zu viel, und er ging in sein Abteil, wo es sich inzwischen ein türkischer Major bequem gemacht hatte. Auch er wurde offenbar von allerlei Getier torpediert. Von Zeit zu Zeit fuhr er sanft, wie es die Art des Tür ken ist, unter den Umformrock und holte etwas Win ziges heraus, das er dann vorsichtig auf den Boden setzte. Tenn der Koran verbietet das zwecklose Töten von Tieren, und kein frommer Türke würde es je mals wagen, einem dieser niedlichen kleinen Lebe wesen etwas zuleide zu tun. Daß sie beißen --- Kis met, Effendim! Draußen flogen die Städte und Dörfer des hei ligen Landes vorüber. Zuerst das seltsame Terat, das sich über einer alten Stadt erhebt, die mit vollkommen erhaltenen Straßen, Plätzen und Häusern unterir disch sich stundenweit hinzteht. Ueberall sieht man türkisches Militär, zum Teil in den hier sehr zahlreich vorhandenen Ruinen antiker Städte hausend und Re kruten für den Suez drillend. Ab und zu geht auch ein Streifkorps auf die Räu- b e r j a g d. Tenn nur wenige Kilometer von der Bahn strecke entfernt dehnt sich noch ganz unerforschtes, ja ganz unbekanntes Land, in dem unruhige Bedulnen- stämme noch immer die türkische Oberhoheit nicht aner kennen wollen. Vor allem erscheint die Hedschasbahn den edlen Wüstensöhnen als ein gefährlicher Gegner, da sie die alte Pilgerstratze nach Mekka mehr und mehr von den Gläubigen entblößen wird, die man hier in dieser ungeheuren Einsamkeit nach Herzenslust ausplündern konnte. In der nächsten Station — el Muzerib — wird jetzt alljährlich nach dem Eintreffen der aus allen Teilen der Welt kommenden Pilgertruppe die große Mekkakarawane zusammengestellt, für deren Beförde rung Sultan Abdul Hamid die Hedschasbahn ursprüng lich in erster Linie bestimmt hatte. Aber heute geht der Hauptverkehr der Bahn ganz andere Wege, hinunter zum Suezkanal, und dorthin blicken die Augen der Gläubigen fast ebenso sehnsuchtsvoll, wie einst nach den heiligen Stätten im heißen Sand der arabischen Wüste. Mehr denn je sind diese vom übrigen Welt verkehr abgeschnitten, und keines Ungläubigen Fuß kann auch heute, wo die Giaurs Bundesgenossen der islamitischen Welt sind, Mekka und Medina betreten. Nicht einmal die Erbauer der Bahn sind bis zu den heiligen Plätzen vorgedrungen. Von einer bestimmten Station ab übernahmen mohamedanische Arbeiter und Beamte den Weiterbau, und auch von unseren Feldgrauen ist keiner dorthin gelangt. Ich lernte in Aleppo einen deutschen Ingenieur kennen, der den Bahnhof in Medina entworfen hat. Aber seine Ausführung hat er nicht zu sehen bekommen. Na türlich wird es immer Märchenerzähler geben, die an den heiligen Stätten geweilt haben wollen. Aber es gibt auch nicht die geringste Möglichkeit für einen Nichtmuhamedaner, dahin zu gelangen, und die tür kische Regierung achtet im eigensten Interesse darauf, daß die religiösen Gefühle der Araber besonders un ter den gegenwärtigen Umständen in jeder Weise re spektiert werden. Ganz tn der Nähe der Station Muzerib sucht man übrigens die Heimat Hiobs. Man zeigt dort sogar einen Stein, an dem der gleich uns armen Reisenden von allerlei Plagen heimgesuchtr Prophet seinen wun den Rücken gerieben haben soll, und ferner die Quelle, ln der er nach seiner Genesung gebadet haben soll. Aber die unerbittlichen Archäologen haben längst fest gestellt, daß dieser Stein ägyptischen Ursprungs ist und * dem Osiris geweiht war. In später Abendstunde führt uns der Zug ins lieb liche Tal des Jarmuk, eines Nebenflusses des Jordan, der mit seinen hübschen Wasserfällen und tiefen Schluchten an die Jlsefälle im Harz erinnert. In ganz kurzer Zeit senkt sich die Bahn um 600 Meter und kommt dadurch schließlich, den größten Wasserfall