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Brunos Freundeskreise von nichts anderem die Rede, als davon, oh Bruno „hin" fahren dürfe. Dieses „hin" war ein landwirtschaftlicher Ball in der Nähe von . XBruno brannte darauf, sich dort im Kreise seiner Gespielinnen, der Freunde und Bekannten seiner Eltern, die ihn alle nur in Pumphöschen kannten, als erwachsenen jungen Mann in Frack, Lackstiefeln und Weitzen Glacees zu zeigen. Dis Erlaubnis, den Ball zu besuchen, durde von der Weihnachtszensur abhängig gemacht. Diese war nicht glänzend: im Lateinischen, Deutschen und Mathematik: Noch nicht genügend. Die Aussichten sanken unter 0. Aber als Bruno unter dem brennenden Weihnachts baum wirkli chsehr hübsch ein Geigensolo ausführte, als er feierlich gelobte, von nun an ernstlich zu arbei ten, seins Horazodsn auss genaueste zu lernen, nur noch Sonnabends Skat zu spielen, sein "Stammlokal nur ganz selten, beinahe nie, zu besuchen, da wurde -das Herz der gütigen Frau Amalie Berger gerührt, und die Lösung der wichtigen Frage „Ball" wurde ver schoben. Jetzt hatte Bruno mit glänzender Majorität «uf der gesamten Linie gesiezt, er durste fahren. „Nun leb Wohl, mein guter Junge. Nimm dich recht in acht, datz du dich nicht erkältest, und fahre zwei ter Klasse, hörst du. Geld hast du genug." Lautes Trampeln auf der Treppe des eleganten Hauses. Heftiges Reitzen an der Klingel. „Morgen, morgen, Bruno; famos, datz du noch da bist. Wir dringen dich nach der Bahn." „Ein Billet zweiter nach Gandersberg" will Bruno eben sagen, da fällt ihm Max Ring ins Wort: „Was, Mensch, du wirst doch nicht zweiter Klasse fahren, na so ein Stumpfsinn. Ich bin noch nie in Meinem Leben zweiter gefahren. Das Geld würde Ich sparen, oder noch lieber verkneipen!" „Ja, Bruno,d as ist wahr", fuhr Heinz Berg mann fort, „du könntest uns eine Lage schmeißen, wir find deinetwegen nach dem Bahnhof gekommen." „Gut, also ein Retourbillet dritter „Ganders berg!" „Kellner, vier Töpfe Bier!" „Na, prost Bruno, datz du di chgut amüsierst. Sage dels?" fragte der Ur-Berliner Mar. mal, sind denn in dem Nest eigentlich schneidige Mä- „Na, und ob. Ich sage dir, reizende Käfer." „Du, Bruno, du erlaubst Wohl, datz ich mir eine „Jauersche" bestelle", fragte Heinz, der stets einen be neidenswerten Appetit hatte. „Na, ich bin blotz froh, ^Gaß ich da nicht hin muß", fährt er dann fort. „So «in Stumpfsinn. Sich die Halbs Nacht um die Ohren schlagen." „Das glaub ich schon", versetzte Bruno, „die Ge- tchmäcker sind eben verschieden. Für mich gibt es rein schöneres Vergnügen als tanzen. Ohne mi chrüh- M.en zuwollsn, Walzer tanze ich fein, und auch am liebsten." „aN, na, wenn's nur wirklich so weit her ist." „Na, mehr wie du, Heinz, von der Geschichte, verstehe ich sicher vom Walzer!" „Ter Witz ist aber faul. Für den wirst du dich Hdürken!" Eben hatte Bruno ein Glas Bier erhalten, da- er tönt der durchdringende Rus des Bortiers: „Einstei- gen in der Richtung nach . . . Gandersberg . Ver- pändlgerweise Winn Bruno sein Bier im Stich lassen, aber da hat er nicht mit seinen Kommilitonen ge rechnet. „ Ein allgemeiner Entrüstungssturm erhebt sich: Was, Bier stehen lasien, na so 'ne Schlavpheit, du, «ms nächste Mal bestell dir noch Limonade oder Zucker- wasser ist noch besser." Für einen deutschen jungen Mann im Alter von 47 bis 21 Jahren gilt nichts für eine so große Schande, als zuzugestehen: ich kann nicht mehr trinken, das Bier schmeckt mir nicht mehr, ich habe keinen Durst Wehr. Daran dachte Bruno. Mit Todesverachtung, Wit geschlossenen Augen und gezückten Speer drängt er Häher auf seinen Feind ein und vernichtet, wenn auch ^stark blutend", zwei Drittel desselben. In nervöser Hast eilt er auf den Bahnsteig, gefolgt von dem treue« Max, der den Handkoffer wägt. Heinz verzehrt unter dessen in Seelenruhe den Rest seiner Jauerschen. Glücklich findet Bruno noch einen Platz in einem überfüllten Rauchkoupee dritter Klasse. Als er aus einem unruhigen Halbschlummer erwacht, fährt der Zug in die Bahnhofshalle von X. Unser Held fühlt sich elend, zum Sterben elend. Wenn ich etwas ge nieße, wird mir besser, denkt er und steigt aus. Wohl erquickt ihn ein köstliches Butterbrot und einige rot wangige Aepfel, aber in. seiner Zerstreutheit hat er sich sein Koupee nicht gemerkt. Wie soll er- dasselbe finden? In zwei, drei hat er vergeblich nachgesehen, verzweislungsvol! steigt er in einen Wagen vierter Klasse ein, um eventuell ohne Handkoffer und Ball anzug zum Ball zu fahren, da ertönt in nächster Nähe eine tiefe Baßstimme: „Sie, junger Mann, Sie ha ben ja Ihren Koffer hier noch stehen." WWie den Seeleuten des Kolumbus die Worte „Land, Land", wie den Soldaten Xenophons der Ruf „Thalatta, Thalatta", so köstlich dünkten unserm Bruno die Worte des biederen Spießbürgers. Ohne Unfall er reicht er Gandersberg. Schleunigst wird nun Toilette gemacht. Ter Frack, ein Weihnachtsgeschenk der gu ten Mutter, sitzt tadellos, der Scheitel bildet eine schnurgerade Linie. Voll frohen Selbstbewußtseins be tritt Bruno den Saal. „Ach, das ist ja sehr nett von Ihnen, Herr Ber ger, daß Sie gekommen sind. Ich bitte Sie, sich fü» den heutigen Abend als meinen Gast zu betrachten." Mit diesen Worten empfing ihn der Landrat Bunhardt. Bruno strahlt. Die Musik spielt den prickelnden Walzer von Strauß: So voll Freudigkeit, Giebt es weit und breit, Keine Stadt, Wie die Kaiserstadt, Wie das lustige Wien. Bruno tanzt unaufhörlich. Er walzt wirklich nicht schlecht, der junge Mann, noch ein wenig schülermäßig, aber sicher und nach dem Takt. Dabei trinkt er tüchtig. Die köstlich süße Ananasbowle, der schäumende Sekt, das ist doch etwas anderes, als das fade Bier. Plötzlich fühlt er eine gewisse Müdigkeit in den Kniekehlen, eine Art Schwindel. Ach was, ein Mann gdars sich durch so was nicht beeinflussen lassen, die Zähne aufeinander gebissen, ein Glas Sekt zur Stärkung und es wird weiter gewalzt. Richtig, es geht brillant. Aber plötzlich kommt der Anfall wie der: Bruno unterhält sich gerade mit Lotte Bermäth. Man will eben von dem interessanten Thema „Gas" aufd as Thema „Fußboden" übergehen, da bricht Bruno plötzlich ab. Mühsam schleppt er sich auf einen Stuhl. Alles dreht sich vor seinen Augen: der Saal, die Menschen, die Möbel. Er hat das Gefühl, ein Pfropfenzieher arbeite in seinem Innern, zugleich legt sich eine schwere, eiserne Hand an seine Kehle. Er kann kein Glied mehr rühren, keinen klaren Gedanken mehr fassen. Nur das empfindet er mit Bestimmtheit, dast etwas Schreckliches, unsagbar Furchtbares herannaht. Ta, in der höchsten Not, kommt Rettung. Frau Landrat Bunhardt hat den Armen erspäht Lund mit dem seinen Takt, wie er gebildeten Frauen eigen ist, kommt sie ihm zu Hilfe. „Aber lieber Herr Berger, Sie sehen ja ungemein blaß aus, Sie sind gewiß von der Reise ein wenig an gegriffen. Wenn ich Ihnen einen Vorschlag machen darf, legen Sie sich einen Augenblick, nur einen kleinen Augenblick hin, und t anzen Sie dann mit frischen Kräf ten weiter." Mechanisch nimmt Bruno den Arm der gütegen Frau, mechanisch folgt er ihr. Was dann weiter ge schah, hätte er nicht sagen können. Als er nach vielen Stunden aus einem wohltätigen Schlaf erwacht, ist es halb 4 Uhr morgens. Bruno liegt auf einem bequemen Sopha, aufd em Tisch daneben steht eine geöffnete Flasche Selterswasser und eine Flasche Eau de Cologne. CMusik vernimmt er nicht mehr, dagegen tönt ein dum pfes Grollen, wie das Brausen des Meeres an sein Ohr. Die Gesellschaft ist eben im Begriff, aufzubrechen. So endete Brunos erster Ball.