Volltext Seite (XML)
ver grdeinmirvottr UngM. Humoreske von F. Clemens. (Nachdruck verboten.- Am Narew war's, in den heißen Kampftagen des Mutt. In zähem, unwiderstehlichem Ansturm hatte «e Armee des Generals von Gallwitz die Festungen Nozan und Pultusk eingenommen und zwischen beiden Orten den Uebergang über den Fluß erzwungen. Im Norden und Süden der Festungen drangen die deut schen Truppen siegreich vor. An einem nebligen, reg nerischen Morgen war's, als der Hauptmann drei Mann als Patrouille aussandte, zur Erkundung, ob ein Dorf, das man mittelst des Feldstechers vom Gipfel eines Baums aus gesichtet hatte, von Russen besetzt sei Zum Führer der drei bestimmte der Hauptmann den Gefreiten Martin, Ler geläufig Russisch sprach und wegen seiner Schlauheit und Gewandtheit bei feinen Kameraden in großem Ansehen stand. Erst, als Martin zur Kompanie kam, hatte man weidlich über ihn gelacht, denn er war eigentlich ein possierliches Kerlchen, untersetzt, mehr breit als lang und mit einem Ausdruck in dem pausbäckigen Ge sicht, der unwillkürlich zur Heiterkeit stimmte. Bald «der lachte man nicht mehr über sein Aeußeres, son dern über die tollen Scherze, die er machte, und Iber die lustigen Streiche, durch die er die Kame- »aden zu unterhalten wußte. Er besaß eine unver wüstlich gute Laune, sprach vorzüglich Russisch, Eng- Lsch und Französisch, sogar etwas Bulgarisch und hatte im Kartenspiel nicht seinesgleichen. Und das war kein Wunder. Martin war von Beruf Artist und hatte als „Professor Martini", kundig der höhern Magie, als Gedankenleser und Antispiritist halb Europa durchreist. Er hatte auch den Kameraden schon lange versprochen, ihnen einmal eine Vorstellung zu «eben, aber die Umstände waren bisher der Ausfüh- »«ng dieser Absicht entgegengewesen. Als Patrouillenführer konnte den andern niemand willkommener sein. Martin hatte stets ein „Schweine- Ulück", wie sie zu sagen pflegten, man bezeichnete ihn scherzweise als hieb- und stichfest. Seine schwarze Kunst schützte ihn, behauptete man lachend. „Doch mit des Geschickes Mächten usw." Diesmal ließen ihn offen bar seine Geister im Stich, denn kaum -waren die drei wenige Kilometer von der Front entfernt, als plötz lich ans einem Gebüsch eine Schar Russen hervor brach und die Patrouille nach tapferer Gegenwehr überwältigte. Martin und seine Begleiter wurden ge fangen, man band ihnen die Hände auf den Rücken und sandte sie in Begleitung von fünf Kosaken nach dem russischen Lager. „Du, Martin," äußerte einer der Gefangenen wäh rend des Marsches unzufrieden, „heut bist du mit deinen Kenntnissen reingefallen." „Wieso denn?" fragte Martin mit großer Ruhe. „Na, du bist doch gefangen." „Vorläufig," brummte Martin. „Jetzt gilt's, zu zeigen, was du kannst," meinte der andere Kamerad. „Los also, zeige deine Kunst, »der ich erkläre dich für einen elenden Stümper." „Abwarten," brummte Martin. Die beiden Soldaten hatten natürlich nur im Spaß gesprochen, mit einer Art Galgenhumor, denn im Ernste glaubte keiner an irgendwelche übernatürliche Kräfte ihres Führers. Schweigend schritten sie vor de« Kosaken her. Nach einiger Zeit gelangte man in das Dorf, das sie hatten auskundschaften sollen, und Ke konnten sich nun überzeugen, daß keine Russen darin lagen. Aber freilich half ihnen das jetzt nichts »ehr. Am Wege lag verlockend ein Wirtshaus. Tie Ko- MEen blickten begehrlich nach dem Schilde, Martin be merkte es und rief ihnen plötzlich auf Russisch zu: „Seid ihr durstig, Kameraden? Wir sind's. Wenn Hr Lust habt, gehn wir hinein lind trinken ein Glas. Sh zahle für euch." Die Kosaken schmunzelten, blickten den Sprecher »Ser nichtsdestoweniger verwundert an Erstens, weil fie erstaunt waren, ihn so gewandt ihre Sprache spre chen zu hören, zweitens, weil sie bei der Gefangen nahme nach ihrer sonstigen Gepflogenheit ihre Ge fangenen ausgeplündert, aber außer einigen Kupfer pfennigen bei Martin nichts gefunden hatten. „Hast du denn Geld?" forschte der Führer in er wartendem Tone. „Versteht sich. Ich habe noch ein deutsches Gold stück,, aber so gut verborgen, daß ihr's nicht findet, wenn ich es euch nicht freiwillig gebe. Das wollen wir vertrinken." Einer so liebenswürdigen Einladung vermochten die fünf Russen nicht zu widerstehen. Der kleine Trupp begab sich in die Schenke, die Kosaken lehnten ihre Gewehre in eine Ecke und nahmen an einem der Tische Platz. Das Verhältnis zwischen Gastgebern und Bewirteten war jedoch insofern ungleich, als den drei Deutschen befohlen wurde, sich im Hintergründe des elenden Raumes aufzustellen, sodaß sich der Tisch mit den Russen zwischen ihnen und der Tür befand. Dadurch wollte man ihnen jede Möglichkeit zur Flucht abschneiden, obwohl diese mit gebundenen Händen ohnehin undenkbar schien. Ein altes Mütterchen erkundigte sich nach dem Be gehr der Gäste. „Rjumka wodki," befahl der Führer, und als die Atte entgegnete, es sei ihnen streng verboten, Wutkt an die Soldaten zu verabfolgen, wurden sie wütend und drohten, sie auf der Stelle zu Kochstücken zu zerhacken, wenn nicht in einer Minute die Flasche auf dem Tische stände. Damit war die Alte sehr zu- frieden; nur zum Schein, um der Verantwortung zu entgehen, ließ sie sich zwingen. Bald prangte denn auch eine große Flasche Branntwein auf dem unsau ber» Holztische, und ein großes Glas machte fleißig die Runde unter den Zechern. Auch den Gefangenen setzte man es an den Mund, ja, der Führer rief dem freigebigen Martin sogar ein gutmütiges „Danke schön, Kamerad" zu. Plötzlich trat eine unerwartete Störung ein. Man hörte draußen auf der Straße laute, unartikulierte Töne, die schnell näherkamen. Erstaunt hoben die Kosaken die Köpfe. Im selben Augenblicke rief eine laute Stimme in russischer Sprache vor der Tür: „Die Deutschen sind da! Rette sich, wer kann!" Und wirk lich, im selben Augenblick vernahm man vor dem Fenster draußen deutsche Kommandorufe. „Halt! Stillgestanden! Bataillon halt!" riefen mehrere laute Stimmen hintereinander und auch einige durch- und nach einander schallende Hurras wurden vernehmbar. Entsetzt sprangen die Russen auf und griffen be stürzt nach ihren Schaschkas (Säbeln) — da — eine neue überraschende Erscheinung! Wie ein großes dunkles Rad flog es blitzschnell an ihnen vorüber, und ehe sie noch recht wußten, was das für ein merkwürdiges Ding sei — denn sie hatten ihre Blicke nach dem Fenster gerichtet — erhob sich das „Rad" pfeilgeschwind auf zwei Füße, packte eins der Drago nergewehre der Kosaken, stellte sich drohend vor den übrigen auf und donnerte auf Russisch den fünf Sol daten Väterchens zu: „Gebt euch gefangen! Unsere Kameraden sind da! Ihr seht, Flucht ist umsonst. Den ersten, der einen Schritt nach der Tür tut, schieß' ich nieder!" Verblüfft starrten die Kosaken sich an — aber in der Tat, obgleich man vor den Fenstern noch nichts bemerkte, tönten die deutschen Kommandorufe fort, und auch die Stimme vor der Tür wurde wieder hör bar: „Zu spät! Zu spät! Ihr seid verloren!" Da erkannten die Russen, daß jeder Widerstand vergeblich und töricht sei- Gehorsam schnitten sie auf Befehl Martins die Fesseln seiner Kameraden durch und ließen sich von diesen ihrerseits die Hände binden. „Vorwärts mit euch!" kommandierte Martin, nach dem er die Alte mit einem Zehnmarkstück, das er in seine Weste eingenäht trug, bezahlt und das überschie ßende Geld zurückempfangen hatte. Der kleine Trupp marschierte ab. Vergeblich aber sahen sich die gefan genen Russen auf der Straße nach den Deutschen um, es war alles öde und leer. Und nicht bloß die Russen, auch Martins Kameraden wunderten sich, nur er selber schien alles in bester Ordnung zu finden.^