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Hause vorfuhr. Ein Diener eilte herbei und meldete: „Heute wird niemand empfangen." Calin übergab ihm eine Visitenkarte mit dem Auf- t«g, dem gnädigen Fräulein seinen Besuch in einer wich tigen Angelegenheit zu melden. Der Diener sprang davon, kam bald wieder zurück und geleitete Calin in den großen Empfangssalon. Hier mußte er eine Weile warten. Er setzte sich in einen Fau teuil. Um seiner Aufregung Herr zu werden, wollte er Hch dazu zwingen, die prunkvolle Ausstattung des Gema ches mit größter Aufmerksamkeit zu bewundern, allein Hine Gedanken glitten flüchtig, gedankenlos über die weiß und blau gemusterten, durch breite Silberstreifen beleb- ' len Tapeten hin undchlieben selbst nicht an den die Wände zierenden Meisterwerken der Kunst hängen, sondern husch te» über die mattblauen Brokatmöbel hinab, streiften die weichen, echten Teppiche, welche vom glänzenden Parkett nur wenig sehen st ßen. Da ging die Lür auf. Calin erhob sich rasch. „Bin ich nicht tapfer?" sagte Maritza, nachdem sie Ca- lins Gruß durch ein freundliches Kopfnicken beantwortet hatte. „Bei uns zu Lande ist es ja nicht Sitte, daß junge Mädchen Herren allein empfangen. Aber Sie sehen, ich bin sehr emanzipiert ... ha, ha, ha, ha . . . wie nämlich meine lieben Eltern behaupten . . - Aber bitte, nehmen Sie doch Platz — so — und mir gestatten Sie wohl, mei nen geliebten Schaukelstuhl zu benützen. Also, eine wich tige Angelegenheit führt Sie hierher. Ich glaube — ich fürchte fast, daß ich errate —" „Sie fürchten?" „Na, na, Herr Calin, machen Sie doch nicht gleich ein solches Gesicht. . " „Fräulein Maritza, Sie sind grausam, Sie scherzen, wenn es mir so schwer zu Mute ist. Gewiß, Sie haben es erraten, aber ich kann nicht raten und weiß nicht, ob ich hoffen darf oder fürchten muß ... Ich prüfe Ihren Blick, den Sie mir hier und da schenken: bald scheint es mir. als suchten Sie mit Innigkeit und Wärme in meinem Herzen zu lesen, bald aber als sähen Sie gleichgültig über mich hinweg, gedankenverloren in die Ferne. Die Unge wißheit nagt an meiner Seele. Fräulein Maritza, Sie find eine rätselhafte Sphinx!" Maritza hatte, während sie den Schaukelstuhl in fort währender Bewegung hielt, den Worten Calins aufmerk sam zugehört, jetzt setzte sie ihr Füßchen auf den Boden, wodurch der Stuhl zur Ruhe kam, und sagte ernst: „Sie haben recht, ich bin eine Shinx, vielleicht mir selbst eine Shinx. Ich weiß nicht, was ich wünschen soll; ick weiß nicht, ob ich liebe oder hasse, rätselhafte Stim mungen überkommen mich, Neigung und Abneigung wech seln bei mir plötzlich und unerklärlich." Sie seufzte leise; dann begann sie wieder im gewohnten Plauderton: „Ich habe schon so oft über die Liebe nachgedacht und wissen Sie, wie ich sie mir vorstelle? Nein, auch das können Sie nicht erraten! Deshalb will ich es Ihnen auch gleich sagen. Ein glitzernder Eispalast auf einsamer Bergeshöh birgt in seinem großen Saal eine herrliche Maid. Sie thront natürlich auf einem goldenen Thron und nährt sich von Sönnern- und Mondenschein, von Rosenduft und Zephiren. Und sie wartet sehnsüchtig auf Erlösung durch den Prinzen Wunderhold. Der sieht Wohl das herrliche Mädchen, kann aber nicht zu ihr gelangen, denn der Palast hat nicht Tor noch Tür und ist unzerstörbar — Feuer, Kanonenkugeln — alles wirkungslos. Einzig und allein der von wahrer, großer Liebe erfüllte, glühende Blick eines edlen Jünglings bringt den Palast im Nu zum Schmelzen. Was sehen Sie mich so traurig an, Herr Calin? Ja, ja. das kommt davon, wenn man ost rumänische Volks märchen liest! Dann gewöhnt man sich daran, seine Ge danken märchenhaft zu enthüllen oder — verhüllen. Und wer trägt schuld daran? Sie, mein Herr, denn Sie haben mir diese Lektüre wärmstens empfohlen. Sagen Sie doch, Herr Calin, ist es wahr, daß wir vor einem Krieg zwi schen England und Rußland stehen?" Calin antwortete nicht. Er sah sie bloß traurig an und erhob sich. Maritza reichte ihm ihr warmes, weiches Händchen zum Kusse — eine Auszeichnung, deren sich kei- «r von den Herren rühmen konnte. Nun wurde Calin völlig irre an ihr. Er preßte seinen Mund innig auf ihre Hand und flüsterte lächelnd: „Gute Nacht, Fräulein Sphinx!" Maritza setzte sich ans Fenster, sah Calin wegfahren und verfolgte ihn im Geiste noch lange. Eine seltsame Schwermut bedrückte ihr Herz. Sie hatte sich so sehr ge freut, daß sie diesen Abend ganz allein mit ihren Gedanken werde verbringen können, da mußte just heute Calin kom men und gerade heute ihr sagen, was sie schon lange ahnte, ja sogar wußte. Und dann dachte sie: warum hat er mich mit diesem Geständnis überrascht, sozusagen über fallen? Konnte er, der kluge Mann, es sich nicht denken, daß ich selbst noch nicht weiß, ob ich ihn liebe oder nicht? „Ach wäre er doch nicht gekommen! Ein guter, präch tiger Mensch! Das ist er zweifellos. Freilich, schön kann man ihn nicht heißen, nicht einmal hübsch. Die allzu kräf tige Gestalt, die massiven Glieder, der ruppige Schnurr bart und das starke glatt gekämmte Haar und diese ge sunde, rote Gesichtsfarbe! Und dann — seine wirklich un angenehme Aufrichtigkeit! Uh! Wie ganz anders dagegen Toporeanu — ein Salonheld und schön dabei! Und welch geschmeidiges Wesen, welch sicheres Auftreten, und wie klug, vorsichtig und rücksichtsvoll er spricht. Oh, auch seine Seele. . . Vielleicht harmoniert das Aeußere mit dem In neren, sogar wahrscheinlich. — Ich habe Calin heute ge kränkt. Ich kann seinen Abschied .das Lächeln nicht ver gessen — es war so traurig." Maritza horchte plötzlich auf; aus der Ferne erklang gedämpft, aber deutlich ein Lied: „Flüst're, Eichenblatt, und sage Ihr, wenn wieder sie bei Tage Zu dem Brunnen kommt, im Garten Will versteckt ick auf sie warten, Will derweil ihr Veilchen brechen; Mußt nur zärtlich von mir sprechen, Wenn sie dann ihr Köpfchen neigt Lächelnd und errötend schweigt, Flüst're lauter nur, dann schleich' ich Schnell die Holde, dann entweich' ich." (Von Vasile Alexandri, deutsch von Carmen Sylva.) Die wehmütige Volksweise, die abendliche Stille, die Mondschcinpracht verfehlten ihre Wirkung nicht — Ma ritza weinte und wußte eigentlich nicht warum. * Calin saß, von seltsamen Gedanken bewegt, in der Birja (Droschke), die ihn wieder nach Hause bringen sollte. Trotz der jetzt ziemlich frisch wehenden Lust wurde es ihm immer heißer, je mehr er sich bemühte, mit Vernunstgrüu- den das „Törichte" seiner Liebe für die seltsame Bojaren tochter mit ihrem zerfahrenen, sprunghaften Wesen sich selber zu erklären, zu beweisen. Wer ihm vor vier, fünf Monaten gesagt hätte, er würde sich durch eine junge Dame, sei sie noch so interessant und schön und klug, von seinem Streben, seiner vorgezeichneten Bahn abbringey lassen! Bis dahin hatte sein ganzes Sinnen und Trach ten dem Wohle des rumänischen Volkes gegolten. Die Stellung als erster Kassierer bei der Banca Generale lie- ihm so viel freie Zeit, daß er sein an der Wiener Univer sität erworbenes vielseitiges Wissen zum Wohle seines Vaterlandes verwenden konnte. Er hielt in Handwerker kreisen volkstümliche Vorträge, er gab ein volkstümlich geschriebenes Wochenblatt heraus, das in den mittleren Schichten der städtischen Bevölkerung, sowie auf dem Lande unter den Bauern wirtschaftliche Fortbildung zu verbreiten bestrebt war. Als Sohn unbemittelter Bau ersleute besaß er kein Vermögen und war auf sein aller dings ziemlich hohes Gehalt angewiesen, das immer sehr rasch zerrann, Weil Calin nicht bloß seine Eltern unter stützte, sondern überall mit Geld hilfreich einsprang, wo Menscken aus dem Volke unverschuldet in Elend gerieten. Und zwei schwarze Augen hatten nun seine Liebe zum Volke ganz in den Hintergrund gedrängt. Er sckämte sick dieser Treulosigkeit und nahm sich jetzt vor, den sentimen talen Liebesgram abzuschütteln und sich wieder seiner Le bensaufgabe ganz zu widmen. Er tippte mit dem Stock den Birjar (Droschkenkut scher) auf den Rücken: „Zur Confiserie Capscha!" (Fortsetzung folgt.) -