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kin kriel über vrnamenliü. Bon Meister Johannes. (Nachdruck verboten.) Bor einigen Tagen fand ich Sie, lieber Freund, in Ztzve« Mußestunden damit beschäftigt, eine Tonvase mit Lnxten Bildchen zu bekleben. „Wie können Sie die stil- vMe Base mit dieser modernen, geschmacklosen Arbeit ver derben?" rief ich aus. „Ich kann nicht malen, nicht zeich ne», habe keine Vorlagen, ein Stückchen Tusche ist alles, was ich in dieser Beziehung besitze," erwiderten Sie mir. genügt vollkommen. Die Kunst ist für alle da. Wol le« nur versuchen, die Vase in griechischem Stil zu be- nealen?" Wrr machten uns an die Arbeit. Aus der Decke eines BncheS fanden wir eine griechische Verzierung (Ornament), den sogenannten Eierstab; mit Hilfe des Zirkels wurde dre Zeichnung vergrößert und mit Paus- und Blaupapier aus die Base übertragen; bald hatten wir die Zwischenräume mit Tusche gefüllt, so daß sich das Muster hell auf dunklem Gründe abhob. Unser Gespräch führte uns auf die Arten der Verzie rungen; wir sprachen über das moderne Kunstgewerbe, und Sie bedauerten, daß es ihnen fast unmöglich sei, die ver- Ahiedenen Stilarten zu unterscheiden. Das Charakteristische der Zeitabschnitte sei Ihnen fremd. Ich gebe Ihnen daher Heute eine flüchtige Beschreibung derjenigen Verzierungen, Lie Ihnen bei Ihren Arbeiten und im täglichen Verkehr »«ter die Finger kommen. Lernen Sie nur sehen, achten Sie rechr auf die kleinen Verzierungen der Oefen, der Larnpenfüßc, der Titelblätter und Einbände der Bücher, und Sie werden erstaunen, welche prächtigen stilvollen Zierarten sie entdecken. Stil kommt vom griechischen stilos (Griffel) und be zeichnet die Art und Weise, in der ein Gegenstand, durch jenen zur Darstellung gebracht wird. Die unmittelbaren Erzeugnisse des Griffels sind die geschriebenen und die gemalten Werke; im weiteren Sinne übertragen nennen wir stilvoll die Architektur, Skulptur und Musik. Daß Ler Stil in verschiedenen Ländern unter dem Einfluß des Klimas, des Materials, des Bildungsgrades des Volkes »>d des Einzelnen verschieden ist, versteht sich von selbst. I« ästhetischen Sinne ist stilvoll nicht immer gleichbedeu tend mit schon, stilvoll ist aber immer charakteristisch. Der Buffonschc Ausspruch: „Le sthle c'est l'homme", hat in lenrcrcr Beziehung seine volle Berechtigung. Einige durchgreifende Regeln müssen überall beachtet werden. Allen Verzierungen muß eine geometrische Figur zugrunde liegen: haben die Zeichnungen ein gewisses Gleich gewicht und einen gewissen Gegensatz der Linien, so nennt man sie harmonisch. Sind die Ornamente bemalt, so soll die Farbe nur zur Ergänzung der Form, oder zur Unter scheidung der einzelnen Teile von einander dienen. Ist der Grund dunkel, die Farbe hell, so muß diese scharf mit der Grundfarbe umrandet sein, bildet Gold den Hintergrund, so werden die Ränder des Musters dunkel, womöglich üchwarz ausgetragen; auch sollten bei mehrfarbigen Ver- ziornugen die helleren Farben stets den Abschluß bilden. Dre Ornamente sind mehr oder weniger der Natur nach- gebildel. Die afrikanischen und asiatischen Völker, die Griechen und Römer erfanden die Verzierungen der Friese, der Säulen, der Vasen usw. nicht selbst. Sie stellten Teile der Pflanzen und ähnliches^so zusammen, wie es ihnen für Le« jeweiligen Zweck passend erschien. Derselbe Borwurf (Motiv) tritt in vielen Abänderungen aus. Hier ein Bei spiel: ES ist das bekannte Mäandermuster, so benannt »ach dem in vielen Windungen laufenden Fluß Mäandros i» Phrygien. Wie leicht ist es, die charakteristischen Un terschiede der vier Stilarten herauszufinden! Das ägyptische Ornament ist aus unmittelbarer Nach ahmung der Natur entstanden; Blumen, Palmen, Federn dec Vögel, gewundene Seile, alles finden wir, wenn auch in konventioneller, so doch naturwahrer Darstellung. Lassen wir die großen Denkmäler einer 3000 Jahre vor Christus liegenden Zeit, die Pyramiden, Sphinxe, Tempel und Pylo nen, Paläste und Obelisken beiseite, und betrachten wir nur die mit Zierartcn bedeckte Säule. Der Aeghpter denkt sich die Säule als Baum oder als Blume, und zwar meistens als Lotosblume ;die Wurzel ist die Grundlage, der Stamm der Schaft und die Blume das Kapttäl. Ost ist dies mit einem Kranz von kleinen Lotos blumen umgeben, die dann etwas unterhalb desselben mit einem Band zusammengehalten sind. Dieser «rstrrünglich bei Feierlichkeiten an Holzfäulen mit wirklichen Blumen angewandte Schmuck ist heute noch, in Stein gemeißelt, an den Tempeln von Karnak zu sehen. Die Zierrate an den Säulen, Wänden, Decken, Grabkam mern usw. sind sämtlich polychromatisch behandell, d. h. sie sind in konventionellen Farben bemalt ohne Schatten und Schattierung. Die Friesverzierung aus der Nekropole von Theben (18.—22. Dynastie) zeigt die Lotosblume in den verschiedenen Graden ihres Wachstums. Im Original erscheinen die äußeren Kelchblätter grün, die Blumen blätter rot, die herzförmigen Blätter sowie der Stiel ansatz gelb, die dazwischen stehenden geschlossenen Knospen gelb und grün. Das Wenige, das wir von der assyrischen Ornamentik wissen, also was an Bas-Reliefs, Bronzen, Ziegelsteinen und Kleidersäumen uns überliefert wurde, behandelt poly chromatische Umrisse ohne Modellierung. Ost sind es Tep pichmuster, die, in Stein gemeißelt, als große Platten Wände und Fußböden der Paläste bedeckten. Die Kunst der griechischen Heroenzeit ist uns durch Homer bekannt. Wir wissen von KönigSPalästen, die frei lich nur einfache Holzbauten waren, von verzierten Waf fen, Schilden, Röcken, von Schmucksachen und dergl. mehr. Erst in der republikanischen Zell entfallet sich die Kunst in ihrer ganzen Größe. Wie dies die StaatSform mit sich bringt, tritt der Palast — die große, kunstvolle Wohnung des bevorzugten Einzelnen — zurück, und die Kunst gipfelt im Tempelbau, dem Haus der Gesamthell. Die griechischen Verzierungen lassen sich in drei Grup pen teilen, bei denen die Grenzen nicht allzu genau ge zogen werden dürfen. 1. Die Ornamente der Säule, 2. die Ornamente der Gebäudeteile und 3. die Ornamente des Kleingewerbes, wie z. B. die Verzierungen der Basen, der Hausgeräte usw. Das griechische Voll hätte einen außerordentlich ent wickelten Schönheits- und Kunstsinn. Die Anmut des süd lichen Klimas, die tiefen Einbuchtungen des Meeres, die den Verkehr und Handel erleichterten, die poesievolle Ver götterung der Natur, die Teilnahme des Bürgers am poli tischen Leben, das alles bildete Herz und Verstand des Ein zelnen, und das Ergebnis war die hervorragende Stel lung, die das griechische Voll zu seiner Zeit und die di« griechische Kunst und Poesie heute noch einnehmen. Die Säule, das Hauptglied des Tempels, war für die Griechen nicht, wie bei den afrikanischen Böllern, die Nach bildung eines Baumes oder einer Blume; sie stellte in ihren Augen ein belebtes Wesen dar, das in Reih und Glied mit anderen, gleichgeformten, gemeinsam das Tem peldach stützte. Es würde zu well führen, wenn wir die einzelnen Typen der Säule besprechen wollten. Das Ge meinsame an ihnen, die Auffassung der Basis als Fuß, der Säule als Körper und des Kapitals als Kopf, ist be kannt ebenso, daß in den Karyatiden des ErechtheionS die Säule geradezu in menschlicher Gestalt austritt. Auf diese Weise erklärt, sind die Ornamente der Säule leich ter zu verstehen. Da haben wir den beliebten Hals schmuck der Griechinnen, die mit Ringen zusammen gefaßt ten Wollenfäden, der unter dem Namen Perlschnur be kannt ist, ferner das Körbchen, wie es die Kyriatiden tragen, und andere Einzelheiten mehr. Die Verzierungen der Gebäudeteile, besonders die deS Frieses, sind entweder Tiere, Rosetten, Blumen, Blätter, die zu einem zierlichen Geflecht vereinigt sind, oder eine nach vorwärts- sich bewegende Zeichnung, die der oben erwähnten Mäander. Die Vorbilder zu den Verzierungen sind der Natur entnommen; Lorbeer-, Reben- und Epheu- zweige, der Akanthus, Lotos-, Wasserrosen und Geisblatt blüten, alles findet sestre Verwendung. Ob die Friese der Tempel bemalt waren oder nicht, ist von den Kunsthistorikern noch nicht mir voller Be stimmtheit entschieden. Wenn uns Nordländer auch die Vor stellung einer bemalten weißen Marmorfläche sonderbar berührt, so müssen wir uns vergegenwärtigen, wie an ders die Farben unter dem blauen griechischen Himmel wirken, denn bei uns. Goethe erzählt in seiner italieni schen Reise von dem Eindruck, den die lebhaften Farben des römischen Nationallostüms auf ihn machten; sie ständen