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Sun: »2^ -«-Ls Ler Erbe von Oerke-aLen. Roman von Ellas Hocking. 25) (Nachdruck verboten.) Es war ein seltsames Gefühl, das beider Herzen be wegte; Johann schwamm in einem Meer von Wonne. Vom ersten Augenblick, da er Olga gesehen, hatte ihm eine innere Stimme zugepflüstert: „Die oder keine!" Ueber die Zukunft machte er sich keine Gedanken; er hatte von jeher an Bestimmungen geglaubt. Daß er sie, Lie Verkörperung seines Ideals, innerhalb 24 Stunden nach der Begegnung in seinen Armen hielt, daß er ihr das Leben hatte retten dürfen, war ihm eine Bürgschaft sicheren Glückes. Und auch Olga fühlte sich glücklich. Nach der großen Aufregung, die sie soeben überstanden, fühlte sie sich so ge borgen, so sicher in seinen Armen. Hin und wieder wagte sie einen verstohlenen Blick auf sein männlich schönes Ge sicht, und mit jedem Mal gesiel er ihr bester. Es war ein wunderseliges Gefühl, einer großen Gefahr entronnen zu sein, und daß der Retter ein so stattlicher, liebenswürdiger Mann war, machte sogar das Abenteuer hoch interessant. Ms sie in die Nähe der Häuser kamen, bestand Olga darauf, abzusteigen. „Unser Haus ist nicht mehr weit," sagte sie, mit der Hand nach rechts zeigend, „ich bin in wenig Minuten daheim." „Jst's dort das Haus zwischen den Bäumen?" fragte Johann. „Ja, ich bin Olga Söderström; meine Mutter würde sich gewiß freuen, meinen Retter kennen zu lernen " „Mein Name ist Johann Funke," antwortete Johann, der in diesem Moment gar nicht daran dachte, daß sein Vater erst sein Inkognito wahren wollte. „Darf ich mir gestatten, Ihnen heute nachmittag meine Aufwartung zu Wachen?" „Gewiß, es wird uns eine Freude sein," versetzte Olga und wollte etwas hinzusetzen, aber er sah ihr mit jeinem so sprechenden Blick in die blauen Augen, daß sie sich errötend abwandte. Er hätte sie gern nach Hans gefragt — ja, er hätte ihr am liebsten seine Liebe gestanden, aber er bezwang sich: „Also ich komme heute," wiedrholte er und drückte ihre Hand zum Abschied. Dann schwang er sich auf's Pferd Und sprengte davon. In seinem Herzen war lauter Sonnenschein. 4. Buch. Sieg. l. .Kapitel. Unglück überall. Es wird jetzt Zeit, daß wir zu Hans zurückkehren. 2r war in tiefster Niedergeschlagenheit nach seinem Ab- chied von Dora nach dem Bahnhof gegangen. Der Ber uft des heißgeliebten Mädchens war das letzte und wich tigste Glied in der engen Kette von Enttäuschungen und Seelenschmerzen. Wäre Dora frei gewesen, so hätte er mutig und uner- chrocken seinem Schicksal getrotzt und alle Hindernisse mit Mannesmut überwunden, aber nun fühlte er, wie ihn eme stumpfe Gleichgültigkeit überkam. Er war nicht so feige, das Leben, das ihm zur geworden, mit eigener Hand kürzen zu mögen. Rei^ so lange es Gott gefiel, mußte er ausharren, und ihn IM er jetzt, ihm zum Weiterleben Kraft zu verleihen. Und dann ging er auf die Reise. Die Einzelheiten derselben konnte er sich später nie «s Gedächtnis zurückrufen,, er wußte nicht, hatte er Bekannte getroffen oder nicht, er wußte nur, daß er elend, namenlos elend war. Wie ein Träumender löste er eine Karte nach der Hauptstadt, wie ein Träumender bestieg er den bereit- stehenden Zug und fuhr in die dunkle Nacht hinaus. Hätte er mehr Geld gehabt, so wäre er wahrscheinlich auf ein Schiff gegangen, um nach Australien zu dampfe», aber da dies ausgeschlossen war, hielt er oie Hauptstadt für den geeigneten Ort, um fein Glück zu versuchen. Als er dort ankam, fror und hungerte ihn. In der Mesenstadt war es noch still. Leichte Rauchwolken stie gen aus den gigantischen Schornsteinen empor und ließe» erkennen, daß die Glut in dem Herde eben erst entfach! war. Einzelne Fußgänger eilten über die Straße, um de» Frühzug zu erreichen, aber, bereits eine Stunde später war das Bild ein völlig verändertes. . Hans hatte noch keinen bestimmten Plan für die Zu kunft gefaßt, so viel er auch in den letzten Stunden dar über nachgedacht, es wollte ihm kein vernünftiger Einfall kommen. Er verstand vom Broterwerb viel weniger alS die barfüßigen Jungen, die sich müßig auf den Straße» umhertrieben. „Vielleicht finde ich etwas, bevor mein Geld zu Ende ist," dachte er bei sich, „aber wenn nicht, was dann?" Er war nicht ganz fremd in der Stadt. Während seines Studiums war er häufig dort gewesen, um sich zu amüsieren. Welch ein Unterschied zwischen damals und jetzt! In einer edlen Aufwallung hatte er stehenden Fußes und ohne weitere Rachegedanken den Ort verlassen, a« den er kein Anrecht mehr hatte," aber jetzt, während «c hungernd und frierend an dem rauhen Herbstmorge« durch die stillen Straßen schritt, sah er die Sache denn d»ch in einem anderen Lichte. War er nicht ein Tor gewese^ daß er Roberts Aussagen so unbedingt Glauben geschenkt hatte? Er lenkte seine Schritte nach einer ihm von früher her bekannten Restauration. Nachdem er sich gewärmt u«d umgezogen und ein einfaches Frühstück zu sich genommen hatte, fühlte er sich bedeutend Wohler; er setzte sich in das Lesezimmer und nahm eine Zeitung zur Hand. Seine Stimmung verbesserte er sich zusehends; es war noch lange nicht das Schlimmste, in einem gemütlichen Raum aus ruhen zu können. Nach längerer Zeit nahm er seinen Hut und schlenderte langsam nach dem Strand. Wie in einem riesigen Bienen korb wogte die Menge durcheinander, das stets wechselnde, kaleidoskopartige Treiben verwirrte ihn förmlich. Er kam sich vor wie ein Tropfen im Weltmeer^ Wie sollte er.