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„Du darfst nicht rückwärts fahren," antwortete die junge Dame, „das macht dich immer krank." Johann wandte den Kopf nach der Sprecherin, ihre Stimme hatte einen melodischen Klang und fiel wie Musik in sein Ohr. Ihr liebreizendes Gesicht paßte zu der Stimme; sie war ein wenig zu bleich, um wirklich schön genannt zu werden, aber gerade das zog Johann unwillkürlich an. „Wie reizend sie aussieht und wie liebenswürdig," dachte er. „Wer mag sie wohl sein?" Jetzt gab es einen plötzlichen Ruck. „O Weh," rief die ältere Dame, „ich glaube, ich sitze doch auf der falschen Seite." Sofort steckte ihre junge Begleiterin den Kopf zum Fenster hinaus. „Ja, Mutter," sagte sie, „du mußt dich hierher setzen." „Also Mutter und Tochter," überlegte Johann, „sie haben wenig Aehnlichkeit mit einander." Das Wechseln der Plätze war ihm außerordentlich willkommen, so konnte er die junge Dame unbemerkt be obachten Aas Abfahrtssignal wurde gegeben, und der Zug setzte sich in Bewegung. Adolf saß seinem Sohne gegenüber, er hatte die Augen geschloffen. Zum Sprechen war er nicht aufgelegt, ihn beschäftigte nur der eine Gedanke: Wie werde ich die geliebte Heimat wieder finden? Und sein Herz war überdoll. Man war noch nicht lange unterwegs, als die ältere Dame bemerkte, daß die Sonne sie blende, die Tochter versuchte sofort, die Gardine herunterzulassen, aber sie brachte es nicht fertig. „Nein sind diese Eisenbahnen schrecklich," klagte die Muttes wieder. Johann ließ schnell die Gardinen an seiner Seite nie der und stand auf. „Wollen Sie vielleicht meinen Platz einnehmen?" fragte er zuvorkommend, „mich stört die Sonne nicht." „Sie sind sehr liebenswürdig," antwortete die Dame, „ich kann aber das Opfer nicht anuehmen." „Es ist durchaus kein Opfer, ich bin an Sonnenschein gewöhnt." „Ich danke Ihnen verbindlichst," und mit freund lichem Lächeln nahm Frau Söderström Johanns Sitz ein. Dieser sah sich zu seinem großen Vergnügen dem jun gen Mädchen gegenüber. „Sie sind sehr freundlich," sagte Olga — denn sie war es — und hob ihre Hellen, klaren Augen zu ihm auf. „O, bitte, ich sitze sogar besonders gern in der Sonne." „Meine Mutter ist sehr, leidend," begann Olga wieder, „und eine Eisenbahnfahrt greift sie immer sehr an." „Ja, sür manchen ist das Reisen eine große Strapaze," antwortete Johann, der kaum recht wußte, was er sagen sollte, aber ängstlich bemüht war, die Unterhaltung auf recht zu erhallen. „Mir macht es Vergnügen," fuhr Olga fort, „es ist zu hübsch, wenn die Bäume und Felder an einem vorüber fliegen." „Gewiß, aber noch lieber reite ich." „Ich reite auch sehr gern." So plauderten sie ungezwungen über alles mögliche, und Johann wurde nicht müde, ihrer Stimme zu lauschen und ihr in die lachenden Augen zu blicken. Bei jeder Station fürchtete er, die Damen könnten aussteigen, aber sie machten durchaus keine Miene dazu. Jemehr sie sich St. Aubyn näherten, umso mehr er wachte Adolf aus seinem Sinnen. Er blickte aufmerksam zpm Fenster hinaus; die Gegend wurde ihm immer be kannter. Eine Erinnerung nach der anderen stieg in ihm auf und machte sein Herz schneller schlagen. Endlich hielt der Zug. Die beiden Damen suchten ihre Pakete zusammen. „Steigen Sie hier aus?" fragte Johann. „Ja, wir sind hier zu Hause." - „Darf ich Ihnen nicht behilflich sein?" „Ich danke Ihnen, hier ist unser Diener." . 5 Neben dem Stationsgebäude hielt ein eleganter Wa gen. Die Damen gingen auf denselben zu und stiegen ein. Inzwischen waren auch Adolf und sein Sohn ausge stiegen; letzterer sah dem davoneilenden Wagen mit einem langen Blick nach, dann solgte er seinem Vater, der schon ein paar Schritte voraus war. 7. Kapitel. Wieder daheim. „Weißt du gewiß, daß sie hier ausgestiegen sind?" „Ja, Mutter, ganz gewiß." „Wer mögen sie nur sein? Ich möchte dies wirklich wissen." „Mir geht es ebenso." „Ob es nicht am Ende — es wäre allerdings ein ganz merkwürdiges Zusammentreffen — aber ob nicht der junge Mann dein wirklicher Vetter ist?" Du weißt, dein Groß vater gibt sich die erdenklichste Mühe, ibn aufzufinden. Seit der andere ging, ist schon ein halbes Jahr verflossen; es wäre Zeit, daß der richtige Erbe bald erschiene. Er sieht gut aus und hat ein feines Benehmen." „Ja, mir gefiel er auch." „Ach, wenn du ein Knabe wärst, Olga, oder wenn mein Liebling nicht ertrunken wäre, dann bliebe uns die ganze Verwirrung und Unruhe erspart." „Aber Recht bleibt Recht, Mutter, und Onkel Eduards Sohn muß zu seinem Eigentum kommen. Aber die bei den waren doch augenscheinlich Vater und Sohn." „Das macht die Sache nur noch wahrscheinlicher: du weißt doch, daß dein Vetter von Adolf Funke als sein Sohn erzogen worden ist." „Aber hälft du es für möglich, daß der Mann sich hierher wagt, nachdem er solchen Betrug begannen hat?" „Das wäre allerdings nicht anzunehmen," antwor tete die Mutter. Der Wagen hielt vor ihrem Hause und das Gespräch war damit abgebrochen. Mittlerweile begaben sich die beiden Herren zu Fuß nach St. Aubhn. Adolf war das Herz zum Zerspringen voll, jeder Baum, jedes Haus rief ihm eine Erinnerung aus der Jugendzeit wach. War's Traum, war's Wirk lichkeit? Mit einem Male rief er laut: „Gott sei Dank, sie sind noch da." „Was denn, Vater?" „Die Tannen, mein Junge;; ich fürchtete immer, sie könnten umgehauen sein. Siehst du dort das kleine Haus?" „Ja, Vater." „Das ist mein Vaterhaus," sagte Adolf und wischte sich die Tränen aus dem Auge; „dort bin ich geboren, und dort," fügte er nach einigen Minuten hinzu, „sind meine Eltern gestorben." „Es macht einen anheimelnden Eindruck. Wie na menlos schwer muß es dir geworden sein, es zu ver lassen." „Es ist gar nicht verändert," fuhr Adolf fort und stützte sich auf das Gitter, bei dem sie jetzt angelangt waren, „nur kleiner erscheint mir alles." „Das kommt vielleicht, weil du an die Größenver- hältniffe Australiens gewöhnt bist." „Vielleicht, mein Junge, vielleicht," — er versank wie der in Stillschweigen, und Johann mochte ihn nicht stören, er sah wie bewegt der Vater war. Nach einer Weile hatten sie das Gasthaus erreicht, dessen Besitzer die beiden Fremden mit großer Unterwür figkeit begrüßte. Es kam nicht ost vor, daß sich so seine Gäste in sein einfaches Haus verirrten. „Den hätte ich auch kaum wiedererkannt," dachte Adolf. „Nun, umso besser, so wird er mich auch nicht kennen." Das Zimmer, in das der Wirt seine Gäste führte, war klein und einfach eingerichtet. „Es genügt vollkommen," meinte Adolf, „wir beide brauchen nicht viel Platz — können wir vielleicht in einer halben Stunde ein einfaches Mittagessen haben?" .. (Fortsetzung folat.) LZ ZLLLL