Volltext Seite (XML)
Abendstunde OnkiMkiMbeilage Llik U)riÜei'tt2-Settrlng (Amtsblatt) Der Erbe von Oerneoalen. Roman von Sllas Hocking. 91 (Nachdruck verboten.) 3. Kapitel. Eine zufällige Begegnung. Je mehr Hans mit feiner Kusine zusammenkam, um so tiefer empfand er seine Zuneigung zu ihr. Der Lieb reiz ihres Wesens, das kindliche Vertrauen, das sie ihm eingegenbrachte, übten einen solchen Zauber auf ihn aus, daß er sich bald ein Leben ohne sie nicht mehr vorstellen konnte. Hätte er überhaupt mehr mit Frauen verkehrt, so wäre Olgas Einfluß vielleicht weniger stark gewesen; so aber war der Abstand gegen sein bisheriges einsames Leden zu groß, um sich dem unbekannten Glücksgefühl nicht voll und ganz hinzugeben. Sie füllte den Platz in seinem Herzen aus, der einst seinem Bruder gehört hatte, sie weckte seinen Sinn für Ritterlichkeit und begeisterte ihn für alles Hohe und Edle. Wenn sie nicht ins Schloß kam, ging er zu ihr. Dann begleitete er sie öfter ins Dorf oder zu den Freunden, deren sie viele besaß. Sie wunderte sich ost, warum Hans so ausschließlich ihre Gesellschaft suchte. War sie einmal nicht für ihn da, so ging er kurz entschlossen in die Biblio thek und vergrub sich in seine Bücher. Olga wiHte dann also, wo sie ihn zu finden hatte. Mit ihrem elfenartigen Schritt eilte sie dahin und hielt ihm, von hinten heran schleichend, neckisch die Hand über die Augen „Bist du es, Olga?" fragte er dann Wohl mit erkünstel ter Gleichgültigkeit. „Wen erwartest du sonst?" antwortete sie mit fröh lichem Lachen. „Ich erwarte überhaupt niemanden; ich dachte, du hättest keine Zeit für mich." „Ich hatte den ganzen Vormittag zu tun. — Was hast denn du angefangen?" „Nichts." „Wenigstens nichts von Belang, ich habe gelesen und ein paar Experimente versucht, aber ich bin melancholisch dabei geworden." „Du bist ein großer Junge, aber ein guter." „Kennst du noch mehr solcher Jungen?" „O ja, aber sie sind mir zu wild und ausgelassen. Du wärest groß genug, um ein Mann sein zu können, aber mit zwanzig Jahren ist man noch kein Mann." „So? Wann ist denn ein Mädchen erwachsen?" " „Ja, das ist etwas anderes. Mädchen sind früher reif." „So hältst du dich also für eine Dame?" „Eigentlich ja, obgleich ich es im Grunde viel beque mer finde, noch ein Kind zu sein. Aber komm, Hänschen. Warum hockst du im düsteren Zimmer? Komm hinaus in den Sonnenschein.* Damit zog sie ihn fort, und er folgte ihr gar zu gern. Es war eine selige Zeit, die die beiden unter Scher zen und Tändeln miteinander verlebten, — sonnige Früh lingstage im Lebensmai. Hans hatte gewissenhaft sein dem alten Werner gege benes Versprechen erfüllt und sich nach dessen Wohnung umgesehen. Dabei hatte er zugleich auch an anderen Ge bäuden so viele Schäden entdeckt, daß ihn die Besichtigun gen lange in Anspruch nahmen und er zwei volle Tage lang die Gesellschaft feiner Kusine hatte entbehren müssen. Nun hatte er sie zu einer Ausfahrt auffordern lassen und, ihre Zustimmung voraussetzend, versprochen, um 11 Uhr vor ihrem Hause zu hallen. Der Diener, der den Brief übergeben, brachte den Bescheid, das gnädige Fräulein würde sich pünktlich zur angegebenen Zeit bereit halten. Wer aber nicht erschien, war Olga. Böse Menschen wollen manchmal behaupten, es gäbe keine pünktlichen Frauen, aber keine Regel ohne Aus nahme. Zuweilen ist es einer Dame auch beim besten Willen nicht möglich, ihre Toilette zur bestimmten Zeit zu beendigen. So viel steht jedenfalls fest, daß Olga an diesem Morgen nicht pünktlich war. Eine volle halbe Stunde später, als ausgemacht war, erschien sie, noch gemächlich ihre Handschuhe zuknöpfend. Hans war die Zeit unendlich lang geworden. Hätte ihn die Uhr nicht eines anderen belehrt, so hätte er steif und fest behauptet, eine volle Stunde lang gewartet zu haben. „Guten Morgen, Hänschen," sagte sie und lgchelte ihn ganz harmlos an, „ist das heute ein herrlicher Tag! Ach, entschuldige, ich merke eben, daß ich meinen Sonnenschirm vergessen habe." Damit war sie auch schon wieder ins Haus zurückgeschlüpft. „Du scheinst es nicht gerade eilig zu haben," meinte Hans, als sie nach wetteren fünf Minuten wiedordun, „ich habe schon über eine halbe Stunde gewartet." „Das ist noch gar nichts, manche Herren mWen jahre lang auf ihre Damen warten." „Aber nicht mit einem Einspänner." „Das stimmt, ich konnte aber beim besten Willen nicht eher fort, Hänschen, — sie genoß das Vorrecht, ihn bei diesem Vornamen zu nennen —, Mutter hatte so heftige Kopfschmerzen." „Das tut mir freilich leid. Kannst du vielleicht allein aufsteigen, Olga? Das Pferd ist sehr ungeduldig." „Ich will es versuchen. Wo ist denn der Kutscher?" „Der sitzt wahrscheinlich vor dem Stall und raucht seine Pfeife. Hast du Bedenken, dich meiner Leitung an zuvertrauen? Dann wollen wir umkehren und ihn holen." „O nein, ich bin nicht ängstlich, ich will ja selbst das Fahren lernen." „Schön, ich habe es gekonnt, so lange ich denken kann." „Hattet ihr denn Pferde in Australien? Das wußte ich noch gar nicht." „Ja, denkst du vielleicht, wir sind auf Kamelen oder Känguruhs geritten?" „Dr mußt dich nicht über mich lustig machen, Häns chen. Großvater erzählte mir, daß du in einer großen australischen Stadt bei einem Manne gelebt hättest, der