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Der junge Ehemann. Skizze von Georg Hiller. (Nachdruck verboten.) Es gibt in einer Großstadt unendlich viele Typen, aber auch die kleinste Stadt hat ihrer aufzuweisen. Manche sind in beiden Städten vertreten. Eine solche allgemeine Ge stalt ist der junge Ehemann. Wer nicht achtlos an seinen Mitmenschen vorübergeht, sondern sie sich ein wenig ansieht, und dann die Muße, die gleichgültige Gestalten lassen, be nutz!, um über die bemerkenswerten nachzudenken, der kann so manche Beobachtungen machen und den intimen Seiten des menschlichen Daseins manche Freude abgewinnen Mir geht es wenigstens so. Ueber die jungen Ehemänner freue ich mich wenigstens immer. Man wird nun fra gen, woran ich denn die jungen Ehemänner erkenne, und welchen Spatz sie mir bereiten. Das ist freilich leichter ge fragt als beantwortet. Es hat irgendwo einmal ein geistreiches Stubenmädchen den Say ausgesprochen, daß man die Junggesellen und die Ehemänner am Handtuch erkennen könne. Nehme jemand das Handtuch bei der Mitte und trockne sich frisch drauf los, so sm zehn gegen eins zu wetten, daß dies ein Jung geselle sei, der noch niemals Vorträge über Waschfrauen, Seife und Abnutzung der Wäsche angehört habe, sei aber der andere sparsamer mit dem Handtuch, benutze er erst das eine Ende und schreite von Tag zu Tag langsam bis zum andern Ende fort, so sei der Mann verheiratet, und zwar gut ver- herratet, denn seine Frau habe ihn erzogen. Wenn man diese tiefe Stubenmädchenweisheit weiter entwickelt, sie syn thetisch und analytisch verarbeitet, so kann man auch ohne Handtuch den jungen Ehemann erkennen. Leute, die glauben, daß man ihn am besten beim Benehmen der Frau gegenüber erkenne, zählen nicht mit, denn die Frau bleibt hier außer Betracht, und solche, die da meinen, daß das Kokettieren mit dem Ehering ihn als jungen Ehemann sofort kennzeichne, haben nicht ganz Unrecht, obgleich es viele ältere Männer gibt, die, nachdem sie eine Zeitlang den Ring zur Scho nung in der Westentasche getragen haben, ihn wieder aus stecken und besonders in Anwesenheit der Schwiegermutter funkeln lassen. Beobachter, die da behaupten, daß junge Ehemänner öfter als andere die rechte Hand ohne Handschuh tragen, tonnen recht haben. Ihre Behauptung wird aber beinahe zur Gewißheit, wenn die rechte Hand recht wohlgepflegt erscheint. Ist die Hand sorgfältig gereinigt, die Finger- näael blank, poliert, gerundet, so ist der Einfluß der Frau, besonders bei solchen, die früher diese Seite der Schön heit vernachlässigten, augenscheinlich. Nicht nur sind die Hände fein gepflegt, auch das Gesicht ist stark veredelt. Rasiert ist der junge Ehemann stets «trägt er einen Bart, so ist dieser sorgfältig gekämmt und womöglich emgesettet. Das Haar ist stets in vollendeter Weise frisiert und dabei nichts Geckenhaftes an der ganzen Erscheinung, man merkt nur den zarten, weiblichen Einfluß. Besonderer Wert schätzung erfreut sich aber die Kleidung des jungen Eheman nes. Welche Wandlung kann man da beobachten! Früher vor der Heirat waren die Stiefeln nur oberflächlich geputzt, die Hosen zeigten kleine Unebenheiten, auch einige Flecke, die Weste und der Rock erzählten von der RestauraiionS- küche, der Schlips saß genial unregelmäßig, und auf dem Rockkragen machten sich ost einige Bürstcnstrichc nötig. Das wird mit einem Male anders. Der Ehemann wirft sei nen alten Adam ganz weg. Funkelnagelneue Oberhemden ohne gestopfte Knopflöcher glänzen in blendender Weitze, der Schlips ist nach der neuesten Mode, die Kleider sind noch neu, ebneso wie die Ehe, und so fein und simng behan delt! Alles atmet eine gewisse, einfache Eleganz, es geht ein Hauch weilicher Sorgfablt von ihm aus. Und nun die Haltung! Welche Ruhe» welche Würde liegt in dem ganzen Wesen des jungen Ehemannes! Die Art, wie er den Regenschirm hält, wie er den Stock trägt, läßt eine Ahnung von seinem Sclbstbcwutztscin aufdäm mern, von dem Bewußtsein der Verantwortlichkeit für sich und noch ein anderes Wesen. Die Sprache ist, Fremden ge genüber, zurückhaltender, ernster, als stünde die junge Frau hinter ihm und kontrolliere alle seine Worte. Der Hände druck ist weniger warm und kräftig als früher, man merkt, daß die ganze Wärme, die ganze Innigkeit, die ganze Kraft der Frau gehört, die Verbeugung, wenigstens vor Gleich gestellten, wird feiner, aber bekommt einen Anstrich des affektier. Feinen, und die Wendung beim Lebewohlsager ist immer so, als ob sich nun sofort in seinen Arm dü junge Frau hängen müßte. Sie ist aber doch nicht immei dabei. In der Restauration nimmt der junge Ehemanr eine eigentümliche Pose ein. Um ihn herum die Freunde Luft und tun einen guten Zug aus dem Glase. Er aber — vorausgesetzt, daß er ohne Frau in die Kneipe gehen darf stemmen einmal die Arme auf den Tisch, legen sich bequem in den Stuhl, schwenken unbedachtsam die Zigarre in der — spricht nicht mehr so laut wie früher, spricht ruhiger, wackelt auf dem Stuhl nicht hin und her, nimmt aus dem Etui keine Zigarre, ohne das Etui — aus alle Fälle ein Brautgeschenk — mit einem sehr andächtigen Blick zu »rei fen, brennt das Streichholz sorgfältig an und legt es noch sorgfältiger ausgelöscht in den Aschenbecher, bläst den Rauch auf die Seite — nicht seinen Bekannten ins Gesicht — untrügliches Zeichen! — kurz, ist in jeder Beziehung rück sichtsvoll und zeigt in jeder Art den gesetzten Mann. Er sieht auch öfters nach der Uhr und geht bei Zeiten ab. was ich übrigens für sehr richtig halte. Bemerkenswert ist auch die Art und Weise, wie er bezahlt. Das ist kein stLrmUa-.es in die Tasche greifen, das Portemonnaie hervorholen . > m a und Geld auf den Tisch werfen — nein, langsam und e- dächtig erblickt das Portemonnaie — manchmal ist es a.a, eine fürchterliche gehäkelte Börse, die aus Hochachtung ror der Schenkerin mit allen ihren Tücken benutzt wird - das Licht der Oefsentlichkeit, gewichtig wird cs ein oaar Mal gedreht, bedächtig geöffnet, dann fährt Daumen und Zeigefinger einigemale ostentativ in der Zahltasche ctnber, als ob sie sagen wollten, seht Ihr andern, seil unser Herr verheiratet ist, hat er immer etwas oder mehr als früher hier drinnen — dann wird möglichst ein Goldstück gewechselt, damit der Reichtum offenbar ist, und mit e ner gewrssen Grazie ein Fünfer dem Kellner hingeschoeen — früher war es manchmal ein Zehner oder nichts —. S:ehr der junge Ehemann aus, so zieht er zwei, dreimal mir aller Kraft an Weste und Rock, damit sie gut sitzen, steckt in die Billettasche des Ueberziehers einen Zehner für die Straßenbahn, knöpft den Ueberzieher von oben bis ur.ien zu, damit er sich nicht erkältet — Vorschrift der Frau — und nimmt ziemlich kühl Abschied von seinen Genauen. Außer in seinem Geschäft kann man den jungen Ehe mann nur auf der Straße und höchstens Wochentags einmal in dem „Restaurant" allein sehen — sonst ist er stets in Begleitung seiner besseren Hälfte. Wie lange dieser geschilderte Zustand dauert, also ein junger Ehemann zu erkennen ist, das ist nicht gut zu sagen. Gewöhnlich dauert es nicht lange. Tann verlieren sich die Merkmale und er tritt zurück in dis Reihe der ge wöhnlichen Menschen. Wie seine Kleidung sich allmäb ich abnutzt, so nutzt sich auch seine Haltung ab. Die Sorgen treten an ihn heran, und die schönen Wochen, die Flitter- wochen, vergehen, das Alltagsleben fordert sein Recht. Wenn die Handschuhe zerrissen oder lädiert sind, dann werden nicht gleich wieder neue angeschasft, die Kleidung wird aus- gebessert die Stiefeln glänzen nicht mehr so wie früher, man sieht sogar manchmal einige Rister darauf, hier und da wird ein Barbiergroschen gespart und auch die Bril lantinc bringt es nicht zum zweiten Fläschchen. Der erste kleine häusliche Krieg hat stattgehabt, und der junge Ehe mann seine Sprache wiedergesunden, er spricht wieder laut, läßt sich im Kreise seiner Genossen in der Kneipe sehen, während die Frau zu Hause Kinder wartet, bleibt auch einmal ein bischen länger — kurz, er wird wie jeder andere Ehephilister. Mehr oder weniger hält dann dieser Zustand an, so lange die Sorge ums 'Leben anhält, io lange die Kinder Geld kosten. Kommt aber allmählich durch den Fleiß des Mannes und die Sparsamkeit der HauS- srau eine gewisse Wohlhabenheit oder gar ein wenig Reich tum in die Familie, sind die Kinder groß und versorgt, dann wird auch die Ehe wieder jung, man steuert auf die silberne Hochzeit zu, und einige Jahre vorher ist wieder ein Brautstand. Mann und Frau lebt wieder auf, die Herzen finden sich wieder in ebenso inniger, aber . n- derer Zärtlichkeit als früher, Vater wird von Mnitern herausgepntzt, und nun kann man in veränderter Form, aber im selben Wesen wieder den Bräutigam im Silber- schmuck, den alten jung gewordenen Ehemann erkennen und sich über ihn freuen — denn er hat sich und den Seinen redlich genützt — auch für andere nicht umsonst gelebt.