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Frühlingsstimmen. Von HermannGrelling. «Nachdruck verbot.».) Wenn die Tage sich sonnig verklären und daS Grün Her ersten Knospen und Blätter hervorbricht, treibt es die Menschen hinaus ins Freie, dem Frühling entgegen Noch erfüllt den Wald nicht das Konzert der neu ermunterten Vögel, das „Singen, Musizieren, Pfeifen, Zwitschern, Ti rilieren" von Amsel, Drossel, Fink und Staar; trotzdem ist der Frühling nicht stumm, wie der öde Winter, dessen Schwergen nur manchmal durch einen krächzenden Raben unterbrochen wird, sondern er spricht mit wundervollen Stimmen zu uns, die um so mehr unsere Aufmerksamkeit erregen, als sie nicht durch ihre Menge und Fülle zu einem Kroßen harmonischen Chorus verschmelzen, sondern sich meist einzeln unserem lauschenden Ohr bemerkbar machen. Mehr «ls im Spätfrühling oder Sommer sind wir daher geneigt, uns die Frage nach dem Ursprung der einzelnen Tyne, die wir vernehmen, vorzulegen, denn leider müssen wir uns meist das beschämende Geständnis machen, daß un sere Naturkenntnis zur Erklärung der Stimmen des Früh lings nicht ausreicht. Die erste und mächtigste Lenzstimme, die wir bei un serem Austritt hören, ist diejenige des Frühlingswindes. Sausend und brausend fährt er uns um die Köpfe und' poliert in toller Lust durch die noch kahlen Zweige der Gartenbäume. Mag er, wir sind ihm nicht gram, denn er ist oer Frühlingsherold, der die letzten Reste von Eis un) Schnee zerstört und die Flüchtigen übermütig vor sich herfagt. Unser Wind ist nämlich ein warmer Wind im Ge- Aenwind zu dem eisigen Wind des Winters. Kommt er doch «rus dem warmen Süden, ,,Ter Tauwind kam vom Mittagsmeer", Knzt der Dichter, und er trifft damit besser den Nagel auf den Kopf, als wenn er vom Wind behauptet: Sein Sausen ihr wohl hört, Allein, ihr wisset nicht, woher, Wißt nicht, wohin er fährt." Tie Wissenschaft Weitz ganz genau, wo er herkommt und hingeht, und braucht unserem Spaziergänger, dem er freundschaftlich um die Ohren bläst, die Antwort nicht schul dig zu bleiben. Die unter dem Aequator stark erwärmte Ltzst dehn: sich aus und steigt empor, da nun der Lust das Be streben innewohnt, von allen Seiten hohen Luftdruckes nach solchen mit niedrigem Luftdruck Hinzuströmen, so setzen sich zum Ersatz Lustmassen/aus den Polargegenden nach dem Aequator zu in Bewegung, um auf diese Weise die Störung des atmosphärischen Gleichgewichtes zu beseitigen. Der vom Aequator nach den Ländern der gemäßigten Zone und den Polen abgehende Strom heißt der Aequatorial- Krom oder obere Passat, und der von den kalten und ge mäßigten Gegenden nach der Aequatorialzone zu ab- fiießende der untere Passat oder Polarstrom. Selbstverständ lich richtet sich unser Frühlingswind mit seiner Ankunft Nicht nach dem Kalender, wo der Anfang des Frühlings erst auf den 21. März festgesetzt ist. Was der Kalender »eint, ist nur der astronomische Frühling, von dem sich Ler meteorologische, der wirkliche, unterscheidet, dessen Be ginn sich nicht mit mathematischer Gewißheit im voraus bestimmen läßt, wie der Termin einer Sonnenfinsternis. In der Regel nimmt man für Mitteleuropa den 1. März als Beginn des meteorologischen Frühlings an. Treten wir hinaus vor die Stadt, so vermischt sich init dem Sausen des Lenzwindes das Geplätscher von hun dert Wasserbächen, welche sich nach allen Richtungen üb'er die Flur und in das Tal ergießen. Es sind die Flücht linge, die der Wind vor sich herjagt, die Opfer seines tollen Uebermutes; Schnee und Eis hat der große Zau berer, um sie besser fortzuschaffen, in murmelnde Gieß bächlein verwandelt. Ueberall, wohin unser Auge schaut, nieselt und fließt es; alle paar Schritte sind wir genötigt, über eine mehr oder weniger breite Wasserrinne zu sprin gen, ja, manchmal hemmt ein richtiger Miniatursee un seren Marsch, den wir wohl oder übel umgehen müssen. Ein Glück, denken wir, daß das Schmelzen der Wintergaven nicht schneller vor sich geht, denn sonst würden wir eine bhöne Ueberschwemmung erleben. Daß dies nicht — oder nicht allzu oft — der Fall ist, verdanken wir dem Um stande, daß zum Schmelzen des Eises eine weit bedeu tendere Wärmemenge erforderlich ist, als wir im allgemeinen anzunehmen geneigt sind. Der Körper, der schmelzen soll, mutz nicht allein bis zu einer bestimmten Temperatur er hitzt werden, sondern es mutz ihm außerdem noch eine, bestimmre Wärmemenge zugeführt werden, welche nichts zur Temperaturerhöhung beiträgt, sondern nur die Arbeit des Schmelzens besorgt. Erst nach vollständiger Schmelzung steigt die Teinperatur weiter. Wir erreichen nun das freie Feld, und die Stimmen des Frühlings dringen mannigfaltiger zu uns. Noch stehen die Bäume ohne Laub, nur die zarten Knospen öffnen ihre grünen Augen, die junge Saat bedeckt den Boden mit einem lichtgrünen anmutigen Teppich, und die kleinen Schneeglöckchen flecken ihre Weißen Köpfchen hervor — lrotz- alledem jubiliert schon die Lerche in der Frühlingslust, unser Herz stimmend für den Genuß der erwachenden Natur. „Denn es ist jedem angeboren, Daß sein Gefühl hinauf und vorwärts-dring«, Wenn über uns im blauen Raum verloren, Ihr schmetternd Lied die Lerche singt —" besonders, wenn sie es so stütz singt, als Botin des Früh lings, die wir sie mit Recht nennen dürfen, da sie schon zur Zeit der Schneeschmelze von ihrer weiten Wanderung nach dem Süden in die alte Heimat zurückkehrt. Sie geht am spätesten und lehrt zuerst zurück, oft rchon An fang Februar — das nenne ich Treue. Auch geht sie nicht weit, nur nach Südeuropa oder höchstens Nordafrika, aber die Reise ist trotzdem gefährlich genug, denn zu vielen.Hun derttausenden fallen die armen Sänger in die Netze der Menschen. Allein im Oktober wurden in Leipzig manch mal, in früheren Jahrzehnten, schon über 400 000 Stück verkauft. Wir denken noch über die Grausamkeit nach deren der Mensch sich gegen die liebliche Musikantin schuldig macht. Da fährt es vor uns mit geräuschvollem Flu§r blitzartig empor und einige große Vögel flattern rauschend davon. „Girräck" schallt es dabei aus der erschreckten Schar, — es ist eine Kette Rebhühner, die wir aus unserem Versteck am Boden aufscheuchten. Ein neues Rascheln zur Linken, wir schauen uns um und nehmen mehrere Hasen im eifrigen Spiele war. Die armen Bratenspender wissen sehr wohl, daß ihre gute Zeit jetzt begonnen hat, sie gebärden sich des halb gar nicht so ängstlich wie zur Jagdzeit, sondern hul digen vergnügt auch der das Tierleben verklärenden Minne, jagen einander schalkhaft, kosen, machen possierliche Männ- - chen, putzen und streichen sich. Näher zu treten, gestatten sie uns freilich nicht. Sie sind gegen alles, was Menfchen- antfttz trägt, von berechtigtem Mißtrauen erfüllt. Schla gen wrr uns daher seitwärts in die von Gebüsch umsäumte Schlucht. Auch hier grüßen die Stimmen des Frühlings uns aus den Zweigen. Ein lautes „dix, dix, dix" ertönt aus dem Gebüsch, und als wir uns nähern, um den Vogel, der den Ruf ausgestotzen, zu erkennen, flüchtet er mit einem noch gellenderen Schrei, der wie „gri gip gich" klingt, pfeil schnell und geräuschvoll hinweg. Es ist ein großer Vogei von dunklem Gefieder, „eine Amsel, schwarz wie Kohlen, mit dem Schnabel, gelb wie Gold", und bald überzeugen wir uns, daß es nicht die einzige ist, denn die Schlucht ts! voll von ihnen. Männchen und Weibchen, welch letztere sich durch ihr braunes Gefieder wesentlich vom Männchen unter scheiden. Man nahm früher an, daße die Weibchen mit den gleichfalls braungefärbten Jungen im Herbste südlich ziehen, wenn das aber der Fall ist, so kann es nicht für alle gelten, oder sic müssen doch im Begriffe stehen, diese Gewohnheit auszugcben, denn wir finden zahlreiche Da men unter der lebhaften Gesellschaft. Ter Helle Lockruf „Tickeritick" zeigt uns die Anwesenheit eines schüchternen Rotkehlchens im Gesträuch an, während wir als llrheber der eintönigen Strophe: S'is s'is s'is si! einen goldbrüst» gen Goldammer identifizieren, der uns vom Gipfel eines wilden Kirschbaumes herab neugierig-mißtrauisch anlugr. Der Volksmund übersetzt das bescheidene Gezwitscher in die Mitteilung: „S'is s'is s'is früh", und jeder lauscht ihm. so simpel cs auch klingen mag, mit Vergnügen, denn Wa der Stimme des gutmütigen Sängers an melodischer Schür» heil mangelt, ersetzt er zehnfach durch die Beharrlichkeit, mit welcher er nicht müde wird, dasselbe Lied vom frühen Morgen bis zum späten Abend zu wiederholen. Der mun tere Laut „Pink" würde uns den Finken verraten, wenn