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f Vas Mlterleben des Rrleges. ( Für DaheimgeVliebene. Ein«m Aufsatze Karl Storcks des von Frhrn. v Grotthuß her- vusgegebenen „Türmers* entnehmen wir folgenden Abschnitt: - Unser großer Feldherr hat den Sieg in diesem Kriege dem Bolle verheißen, das di« stärksten Nerven hat. Dl« stärksten, nicht die stumpfsten. Nicht etwa dadurch, daß man sich glelchgllltig macht gegen das Erleb«», vermag man seiner Meist«! zu werden Di« Etarknervigkeit beruht vielmehr darin, es voll zu erfassen und dennoch die Herrschaft über das Geschehen und über sich selbst zu bewahren. ! Der Kampf in seiner gewaltigsten Form als Krieg ist nicht mehr «in Bild geschichtlicher Erinnerung, noch der ausgemalte Schrecken der Zukunft. Er ist Gegenwart. Eine Gegenwart, die nun schon über zwei Jahre dauert, deren End« noch nicht abzu- fehen ist. Der Krieg ist für uns jetzt der gewohnte Zu st and geworden, auf den wir uns mit Leib und Seele Hinzustellen haben. Es bedarf dazu einer Umstellung unseres ganzen Wesens in allen feinen Kräften, den körperlichen wie den geistigen. - Aber darüber müssen wir uns klar werden: Mit dem, was innerhalb dieser Umstellung als N o r ma ll e i st u u g angesprochen werden kann, müssen wir auskommen. Die besonder« Krajian- strrngung muß für die besonderen harten Prüfungen, für jene kritischen Augenblicke, die die Höchstleistung erfordern, übrig blei ben. Wie draußen die Kämpfer, die tagaus, tage in in der Nach barschaft des Todes stehen und ihr ganzes Wesen auf diese Bereit schaft etnzustellen haben, trotzdem noch für die besonderen Augen blick« des Trommelfeuers, der Stürme ein Mehr hergeben müssen, so müssen auch wir zu Hause in unserem Mit«rl«ben des Krieges «in« sorgfältige Nervemvirtschaft führen. Wenn wir von früh bis spät tagaus, tagein, Wochen, Monde, Jahr« hindurch uns dauernd vergegenwärtigen sollen: Du erlebst etwas Entsetz liches, Unerhörtes, etwas ganz außerhalb jeder Regel Liegendes: du mußt also auch selber dich ganz außer jede gewohnte L«b«ns- regel stellen, — so brechen wir einfach zusammen. Auch der stärkste Strang wird, wenn er dauernd überlastet ist, verzogen und v«r- zerrt und damit schlapp, oder er zerreißt. Soll er seine Leistungs fähigkeit bewahren, so muß er einerseits dahin verstärkt werden, daß er den Mehranforderung«n an sich standhält, aber dann auch noch sein« regelmäßige Ausspannung erhalten. . Es füllt niemandem ein, von uns über das Notwendige hinaus zu verlangen, daß wir jetzt fasten sollen, weil Krieg ist, daß wir unserem Körper Entbehrungen auserlesen, ievtiglich weil wir vielleicht körperlich Mitleid«, wollen mit denen, di« draußen leiden. Im Gegenteil. Es ist unser« allerernsteste Sorge, gegenüber der zwingenden Not unseren Körper durch richtige Ernährung wider standsfähig zu halten, ja es wäre das Ideal, wenn wir ihn, weil mehr von ihm verlangt wird als sonst, besser ernähren könnten, als in gewöhnlichen Zeiten. s Das gleiche gilt für all« Erbiete. Wir bedürfen nicht nur für den Körper der Ernährung, der Erholung im Ausspannen von der Arbeit, der Ruhe im Schlafe: wir brauchen diese Hilfe auch für Eeist und Seel«. An Seele und Geist aller werden heute höher« Anforderungen gestellt als in Friedenszeil. Für alle, welchem Stande, welcher Bildungsstufe sie auch angehören mögen, ist die Summe d«r Reizung, die vom Leben auf das Nervensystem ausgeht, viel größer als in Friedenszeit. Selbst die Stumpfsten und Trägsten haben jetzt so etwas wie ein seelisches Erleben. Bei den Empfindungsfähigen werden an dieses unerhörte Anforderungen gestellt. Da ist es geradezu höchstes Ge bot der Volkssittlichkeit, dafür zu sorgen, daß aus der Reizung kein« Ueberreizungwird, daß die Erschütterung der Psych« nicht zur Psychose führt. Wir dürfen uns nicht noch mit Absicht seelisch kasteien. Gerade uns standhalten zu können, um immer wieder neuen Kräftevorrat anzusammeln, um für den höchsten Fall der Not noch einen Ueberflutz aufgespart zu haben, bedürfen wir auch für die Seele Ler Ausspannung, der Ruhe und der Erholung. Wir bedür fen in dem Meer des Leides der Inseln der Freude. »Ja, Freudetut uns not, wie das tägliche Brot. Aber wohl verstanden Freude, nicht jene vielfältigen Ersatzmittel, mit denen trügerische Vergnügungshändler ihre wucherischen „Unterhaltungs"- Geschäfte treiben. Dieser Wucher blüht nicht erst seit dem Kriege, sondern schon lange vorher. Und darin liegt die innerste Ursache der Schwierigkeiten. Wir Menschen sind in diesen Krieg chineingezogen als die, die wir in der vorangehenden Friedenszeit geworden waren. So haben mir auch die Lebenseinrichtungen in diesen Krieg hinein- genommen, die wir vorher ausgebildet hatten. Ich beschränke mich hier auf jene, die wir uns zur Erholung von der Arbeit geschaffen hatten. Wir können nicht mehr reisen. Daß di« Reisen ins Ausland fast unmöglich geworden sind, wäre ein Glück, wenn es dazu ge führt hätte, daß wir unser eignes Vaterland dadurch besser kennen lernten. Aber auch hier ist das Reisen bald so erschwert, daß es kaum mehr Vergnügen bereitet. Nicht verkümmert ist uns da gegen das Wandern, etwa für einen Tag in unseren engeren Heimat. Selbst der Großstädter kann da die köstlichsten Entdeckun gen in der nächsten Umgebung machen. Ein« Fülle heimlicher, verborgener Schönheit erschließt sich ihm, die um so köstlicher wird, weil er sie suchen muß. Er wird Zeuge des Kampfes, den die Natur für ihre Schönheit gegen das grausam« Erdrosselungswerk der MenW-cit führt und gewinnt für sich selbst ein Lebensbeispiel des sieghaften Durchhaltens unter schwersten Bedingungen. Unmöglich geworden durch den Krieg sind auch unsere Ge sellschaften, jene protzigen Abfütterungen und drangvollen Ansammlungen an sich gleichgültiger Mensch««-, mit d»»«n man höchstens äußerlich prunken wollte. Aber der wahren Gesellig keit kann das nur förderlich sein. Stärker als je ist in diesen Zeiten der Belastung das Bedürfnis, sich als Mensch zum Mensch«» auszusprechen, sich in das ungeheure Geschehen zu vertiefen, das wir erleben, die Sorgen und Mühen der Gesamtheit aachzufühlen und in freundschaftlicher Beratung die Weg« aufzuspüren, di« für uns selbst und damit zuletzt für die Gesamtheit zum Heile führen. Daß der Wirtshausbesuch unter der Herrschaft der „Karten" nicht mehr so viel Lockendes an sich hat, ist auch kein Schaden. Vielleicht erkennt jetzt mancher, daß man auch zu Haus« sich erholen kann, daß cs sich am Familientisch besser sitzt, als am Stammtisch, und daß ein gutes Buch ein zuverlässigerer Umgang ist, als alle di« Herren Amtskoliegen oder KegeibrUder. Wenn draußen so manches versagt, so entdecken wir vielleicht wieder mehr di« Schönheit des Daheims und erkennen, daß der Segen der Familie sich gerade dann am reiMen ergießt, w«nn sie in ihrem Bestände von außen her so furchtbar erschüttert wird, wie jetzt durch die erzwungen« Trennung von einzelnen Gliedern und das große Kriegssterben. Es gibt noch andere Quellen der Erholung — wir sagen in AM Falle HM WOW «O KrWMNS - W d«g Lebenskampf. Au Kriegsbeginn strömt« das Bolik in di« Kir ch e n. Das mag zum Teil nur di« äußerlich überkommen« Form eines äußerlichen Verhältnisses zur Gottheit gewesen sein. Im Grunde war es aber doch überall «in« R«guug des wahrhaft Reli giösen: nämlich unser tnn«r«s Verlangen nach Anschluß an das -Innere im Nebenmensch«», an «in Geistiges über uns, in dem alles einmllnden könnte. Man hört jetzt vielfach die Klage, der Kirchen besuch habe nachgelassen. Dann sind sicher jene nicht von Schuld frei, die das Amt d«s Mittlers tn der Kirch« innehaben. Dann haben auch sie das Gebot der Stunde nicht voll verstanden und haben Butze und Zerknirschung gepredigt, wo die Freude der Eottesklnbschaft und die Erhebung über die Not gesucht wurde. Neben diesen mehr persönlichen Hilfsmitteln des einzeln«» stehen für die Erholung der Masse die dazu besonder» geschaffenen öffentlichen Einrichtungen in Theater, Konzert und den zahlreich«» sonstigen Formen der öffentlich«» Vergnügungen zur Verfügung. Diese Einrichtungen tragen am Fluche der Frledenszeit. Wir seh^n den Fehler jetzt sofort. Wir suchen für die angespannten Nerven Ausspannung. Was uns angeboten wird, ist Aus peitschung. Nicht Freude, sondern Amüsement; nicht Fröh lichkeit, sondern Lärm und Gekreisch; nicht Heiterkeit, sondern Auf geregtheit. nicht lustiger Witz, sondern verzerrende Karikatur; nicht sinnliche Schönheit, sondern schwüle Erotik. Ich brauche das im einzelnen nicht auszuführrn. Gin jeder braucht nur die Augen zu öffnen, um es zu sehen. Gewitz bieten vor allem Konzert und Theater auch sehr viel des Schönen und Guten, aber es ist so mit dem anderen vermengt, daß es unter diesem besudelnden Umgang leidet. Aber eins ist jetzt unbedingte Pflicht für all« jene, die in die Gestaltung dieses Lebens eingreifen können: sie müssen d«r Freude zum Siege verhelfen, müssen das bekämpfen, was sich unter falscher Vorspiegelung der Unterhaltung in unser Ver- gnllgungsleben eingedrängt hat. An erster Stelle ist das die Auf gabe des Staates. Die Reinigung geht nicht ohne „Gefähr dung zahlreicher Existenzen". Es haben sich, in den Großstädten zumal, ganze Straßenzüge von Geschäften aufgetan, die lediglich von dieser unsauberen, ungesunden und undeutschen Form des Vergnügens leben. Welch ein Schaden, wenn nun einige Dutzende von Nachtlokalen, Bars, Tafts, Tingeltangels, Kinos, zweifel haften Modehäusern und Geschäften in allerlei Luxusartikeln für die innere Heilung unseres Staates zugrunde gehen, wo draußen in der Verteidigung dieses Landes täglich Tausende tüchtiger Leben geopfert werden! . . . Es ergibt sich als oberstes Gesetz, alles zu fördern, was der Freude dient, das Amüsement dagegen und die Sensation zu be kämpfe». Der Freude dient alle wirkliche Kunst, auch die ernste mit den schwersten Problemen. Dagegen ist da» meiste von dem, was unter der Maske der Kunst sich die bloße Unterhaltung oder gar das tolle Vergnügen zum Ziel setzt, durchweg verwerflich. Gerade diese grundlegende Erkenntnis haben sich unsere gesetz gebenden Behörden vielfach nicht zu eigen gemacht. Wir haben von vielen Verboten ernstgemeinter Kunstwerke vernommen. Wir stehen sicher nicht im Verdacht, jener Art von Kunst, etwa der Dramatisierung sexueller Problematik, das Wort zu reden. Aber jedes dieser in ernster künstlerischer Absicht gearbeiteten Werke dient unendlich mehr der Freude, als alles das, was unbeanstandet in uüseren Possentheatern und in Len Kabaretts aufgefllhrt und zum Dortrag gebracht wird. Es ist ein durchaus verwerflicher Grundsatz, diesen Stätten, die schon programmäßig der leichtge- schürzten Muse dienen, nun auch noch eine besonders milde Be urteilung ihrer Aufführungen zuteil werden zu lassen. Hier mußt« man im Kriege mit eisernem Besen auskehren. Nach diesen Dingen gibt es kein an-ständiges Bedürfnis, das An spruch auf Befriedigung hat. Dieser ganze Betrieb verfällt auch immer wieder der Gemeinheit. Wer kann wider sein« Natur? Als in der letzten Zeit in Berlin, Charlottenburg, Schöneberg, Wilmersdorf die Polizei etwas schärfer gegen derartig« Veranstal tungen vorging, verzogen sie sich nach entfernteren Vororten. Was z. V. zurzeit in dem sonst gutbürgerlichen Steglitz in dieser Hin sicht geleistet wird, übersteigt alles erlaubte Maß. Hier ist nicht nur die kaum noch verhüllte Zote Trumpf, sondern ans der Ver- niedlichkeit Les Krieges, wie sie von unseren Possentheatern getrieben wird, ist seine Verulk ung geworden. Ähnliches wird man in anderen Städten beobachte» können. Dieser ganze Betrieb wird um so gemeingefährlicher, als die halbwüchsige Jugend sich Lurch die tollen Lohnsteigcrungen im Besitze von Geldmitteln sieht, die ihr di« Teilnahme an jenen Genüssen gestattet, vor denen sie sonst, falls es am guten Willen fehlte, die Ohnmacht des Geldbeutels bewahrt«. Die weiblich« Halbwelt sucht hier ihr« Beute und muß um so verheerender wirken, je jünger ihre Opfer sind. Es kann hier nicht streng und rücksichtslos genug vorgegangen werden. Diese Kreise sind es, -die unser großstädtisches Leben in jetziger Zeit schänden-. Sie leben in der Tat, als ob kein Krieg wäre. Nein, sie leben noch viel schlimmer. Und dadurch wird weiten Bevölkerungskrcisen «in furchtbares Mitleben des Krieges erschwert. Man verekelt und verbittert die Ernst«» und verführt die leichter Gearteten. Beides schwächt die „Nerven" und erschwert außen und innen den Sieg. Franzosen in London. Wandlungen im Kriege. Trotz der gewaltigen Freundschaft und Vorliebe der Londoner für die Franzosen — wenigstens seit Beginn des Krieges — werden die Bewohner der Siebenmillionenstadt jetzt vqn einer Vorstellung beherrscht, die sich zu der Befürch tung steigert, daß nach und nach all die rassenechten Briten söhne in lauter kleine und in ihren Augen verachtungswür- dige „Frenchy" — d. h. „Französlein" — verwandelt werden könnten. Denn es wimmelt jetzt in der Themsestadt von „Frenckw", wie noch nie zuvor. Ueb^all sind sie obenauf. Ueberall versuchen sie, die erste Geige zu spielen. Und wenn man von den Englishmen in Frankreich, besonders in Calais, Voulogne und Havre, zum Teil auch in Paris, behauptet, sie verwandelten französisches Gebiet in britisches, so erklärt -John Bull von den Franzosen in London, unter ihrem Ein fluß höre alles Britische zu existieren auf! Abgesehen von den verdammten Zeppelinen, seien sie die größte Gefahr für des Jnselreiches Hauptstadt. . . Dabei fällt mir mein Freund Charlie P. ein, der vs» dem Krieg« sich als ganz erbitterter Feind der Franzosen und alles Französischen gebärdete. „Ich bin sonst kein Phi lister," pflegte er mir zu erklären, „aber mit Frenchy mag ich nichts zu tun haben!" Auf meine Frage nach den tieferen Gründen dieser Abneigung gestand er etwas beschämt: „Ich muß es von meinen Eltern geerbt haben, aber ich komme über diele Antipathie nicht hinweg." — „Aber lieber Freund, warum dieses Vorurteil?" — „Ich kann nun einmal Kerls, die mit KkiMMn anstatt MttErt WcherlqafUt, nicht 's wir das Kaff« leiden. Freilich, Ihr k-m«olitiMn Deutschen ..1» Mt da» nicht!" Es war die Zeit nach dem Burenkriege, ws man vön Sei Franzosen verächtlich als von „Frenchy" sprach und alle. Böse, alles Niedrige, Abscheuliche ihnen tn die Schuhe schob Ich vergesse nicht, wie ich Charlie P. einmal zu einem län geren Spaziergang abholte. Absichtlich gingich mit Hm ft ein kleines französisches Kaffeehaus in der Charlotte Strees des Westend. Unmutig ließ er sich an einem der kleines Tischchen nieder, und den guten Kaffee schlürfte er mit einen! Mißbehagen, als wär« es Et t gewesei Haus verließen, kannte sein« Entrüstung über die gesttkuli^ renden frenchy«, ,§ie nicht einmal soviel Taktgefühl beZ sitzen, sich in ihrem — freilich widerlich gebrochenen — En« lisch zu unterhalten", kein« Grenzen. Richt besser war esl als ich den verwöhnten Charlie das nächste Mal in da« „French Tafö" der vornehmen Regent Street führte, das abgesehen von dem bald nach Ausbruch des Krieges geschlosst» nen „Vienna Lass" das einzige eigentliche Kaffeehaus der Themsestadt war. Der Widerwille gegen das „kulturlose« Verhalten der Franzosen ließ ihn seine britische Reserve vollends vergessen. Ich fand es am geratensten, das leidige Thema fallen zu! lassen, denn ich erkannte, Charlie P. war von seiner schlechten Meinung über die Franzosen durch keine Macht abzubringen, Ich erklärte mich aber einmal einverstanden, ein Konzert« Haus mit ihnr zu besuchen. Zuletzt gab es eine Tschaikowsky- Sinfonie. Ein Franzose führte das Orchester wie ein! General seine stürmende Truppen in eine Schlacht auf Tod und Leben. Das Publikum war hingerissen. Nach dem letz« ten Satz gab es einen wahren Beifallssturm. Da geschah das Außergewöhnliche. Der Dirigent, der „Frenchy", stürzte sich in namenloser Begeisterung auf den führenden ersten Geiger (in der Tat ein großer Künstler) und gab ihm einen hör baren Kuß auf die rechte und einen zweiten auf die unke Wange. Der Primgeiger, ein Engländer, unkundig des fran zösischen Temperaments, sah den Dirigenten wie mit einem Kübel Wasser überschüttet an. Der Dirigent mußte das für verzückte Verklärung angesehen haben, denn in seinem Enthusiasmus gab er dem verdutzten Künstler wieder einen Kuß auf die rechte und sodann auf die linke Wange — und diesmal noch deutlicher hörbar. Bekanntlich ist das Küssen unter Männern in Großbritannien aufs äußerste verpönt. Bei dem seltsamen Anblick brach das Publikum in Gel-uhter aus. Charlie aber verließ totenbleich und wortlos mit mir die Queens Hall, sprach nie mehr wieder über die Fran zosen und ging nie mehr wieder mit mir zu irgendetwas Französischem. Vis der Krieg kam. Ich weiß nicht, wie sich Charlie anfangs verhalten hat, denn ich sah ihn Monate lang nicht. Als ich ihn endlich traf, war er keineswegs unfreundlich. Er sprach mir seine Freude darüber aus, daß ich nicht in einem Konzentrationslager verschwunden war, wie er befürchtet hatte. Das brachte uns auf den unvermeidlichen Gesprüch- stoff: den Krieg. Mitten in seinen erbitterten Angriffen auf die deutsche Kriegführung und die Deutschen erlaubte ich mir ihn fragend anzusehen und zu sagen: „Wie geht es eigentlich de» Franzosen?" Darauf war Charlie nun ganz und gar nicht gefaßt. „Hm!" erwiderte er langsam, „hm!" Und dann „Oh — ah — ja." „Das ist keine sehr klare Ant wort," meinte ich, „mich interessiert es ganz besonders, wie Sie sich jetzt den Franzosen gegenüber verhalten." „Ganz famose Kerls," sagte Charlie, nunmehr ganz gefaßt, „trotz ihrer spitzen Bärte. Aber, wenn w i r ihnen nicht geholfen hätten, dann gäb' es längst keine Franzosen mehr." — „Sie sind allo kein solcher Fraiizosenhasscr mehr?" forschte ich wei ter. Er sah mich seltsam an. „Sie sm» komisch," sagte er nach einem Schweigen, „ich verehre alles Französische, werde es stets verehren. Die Franzosen haben das gallische Tem perament, das fehlt uns. Wir können von ihnen manches lernen, das heißt, nicht alles, aber doch manches. Ich bin übrigens ein leidenschaftlicher Verehrer der großen Sarah Bernhard, die jetzt im „Loliseum-VariSt«" auftritt. Bin übrigens auf dem Weg zur Vorstellung. Kommen Sie mit! Zeigen Sie, daß Sie trotz des Krieges kein Vorurteil -egen die unsterbliche Sarah haben." Ich wollte ihm tatsächlich zeigen, daß ich trotz des Krieges kein Vorurteil gegen Vic große Sarah hätte, und überdies war ich neugierig, ihren vielbesprochenen Ententepatriotis mus und die Hattunader Londoner rennen zu lernen. Wir saßen in der ersten Reihe und ich konnte das riesige Hau- gut übersehen. Zuerst gab es den landläufigen Music-Hall« Blödsinn, dann aber traten nichts als französische Künstler und Künstlerinnen, Sänger und Sängerinnen, ja sogar fran zösische Clowns auf. Jedesmal fürchterlich gelangweilte Ge« lichter — und trotzdem donnernder Beifall! Charlie P. gähnte zum Erbarmen, aber nach jeder Nummer rief er: „Köstlich!" Endlich nach einem lauten Orchestertusch trat unter Beifallssalven des Publikums die unisterbliche Sarah auf die Bretter. Da ertönt aus dem Orchester die Mar seillaise. Das ganze Haus erhebt sich und singt mit. Auch Charlie ist aufgesprungen und singt mit verklärtem Aus druck. Dann hebt Sarah zu deklamieren an. F-ün^ohn Mi nuten deklamiert sie, denn länger darf ihre „Nummer" nicht dauern, ununterbrochen deklamiert sie, sie donnert und rast; und tobt mit Aufbietung aller Lungenkraft auf Französisch gegen die Hunne», die Barbaren . . . Ein drei Minute» langes Johlen belohnt sie, die Klänge der Marseillaise mi chen sich darein. Sarah spendet immer wieder lächclnd Dank, und Charlie flüstert mir zu: „Der Kuckuck soll mich holen, wenn ich ein Wort davon verstanden hab. Ich möcht wissen, wer überhaupt ein Wort verMMes hat, Uby; es war dM verdammt schön!" Witz« Taz«. Unglückliches Zusckmmkftkrrffen. »Ein sauberes Schulzeugnis Haft Du mitgebracht, Franzl! . .. Na, freu Dich auf die Tracht Prügel, die Du kriegst, wenn der Vater heimkommt! Der Arzt hat ihm heut' ohnedies mehr Be wegung verordnet!" — Psychologisch. „Glaubst Du, Emmi, wirklich, daß Dein Mann auf der Jagd war, daß er Dich Mht hintergeht?' „Er war sicher aus der Jagd; denn er hat nicht» ge schossen. Wäre die Jagd eine Ausrede gewesen, hätte er sichet einen Hasen mitgebracht." — Die gute, alt« Zeit. Man spricht von den modernen Kampfmitteln, die im Weltkrieg so furchtbare Triumphe feiern. Da wendet sich Backfisch Herta an den Großvater, der noch 1866 mitgesochten hat. „Gelt, Großvater das waren noch die guten, alten Zeiten, als man noch aus Vorder ladern totgeschossen wurde!" — Beweis. Gatte: „Der Arzt sagte, mein Herz hätte ganz erheblich Fett angesetzt! Gatti»: »Daraus sehe ich ganz deutlich, wie lehr Deine Liebe zn mir nach gelassen hat. Würde Dein Herz »och so lebhaft für mich schlage», «k früh«, hilft« stch kM Kft E«P könnE