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(Fortsetzung folgt.) Der Leutnant sandte darauf seins Soldaten unter einem Korporal weg, die nächste deutsche Beamten wohnung aufzusuchen und alles zu vernichten, den Mann selbst als „prisonier" abzuführen. Murrend trollten sich die Sieger, und der Leutnant blieb allein mit seinem Burschen zurück. „Osston, c'ert votrs guerüer." ! i " „Oui, won lisutearwt." xsu wLvZer etc." „Oui, wov conwumck-wt!" Der Offizier war allein. Er warf sich in einen bequemen Korbsessel, in dem einzigsten noch nicht demolierten Zimmer, drehte sich eine Zigarette und begann zu rauchen. „Welcher Zufall!" dachte er und spann Len Faden dieses Ereignisses und gar merkwürdigen Zusammen treffens behaglich weiter aus. Er hatte die Tür zu dem Zimmer der Mädchens von seinem Platze aus im Auge, denn die in seinem Zimmer stand weit offen. War dos ein heißer, ein gar kurioser Tag" gewesen! Erst d>e furchtbaren Verluste in der Nacht, dann das plötzliche Abziehen der Prüssiens. Man hatte ihnen nicht so recht getraut, dann aber war man dreister geworden, und die Siegeszuversicht war mehr und mehr gestiegen, hatte sogar die geheime Angst eines Stadtüberfalles vollkommen in den Hintergrund ge drängt. Ja, man war in Mülhausen bereits wieder Herr! Das arme Land war, von den bösen Prüssiens 44 Jahre unterjocht, nun befreit, und so wurde seine Einverleibung in das alte Vaterland noch am selben Tage erklärt. Abends schon waren alle Bekannt machungen gedruckt angeschlagen und sogar alle Straßennamen wieder französisch! >l'sisur Meunier hatte mit seinen Patrioten gut vor gearbeitet und saß nun als Sous-maire auf der „dlairie", gab seine Befehle und nickte wohlgefällig, sobald die rohen Soldaten einen der ausharrenden deutschen Beamten unter gemeinen Schimpfworten, ja Fuß tritten und Kolbenstößen herbeischleppten! Man wollte den „Loocbon-krussiens" schon gallische Kultur beibringen! — Leutnant Faidherbe drehte sich bereits seine dritte Zigarette, und noch immer blieb die Tür zum Zimmer der Mademoiselle geschlossen! — Er wurde nicht allein etwas besorgt und unruhig, nein sogar recht nervös! Teufel noch eins, das Kind war infam hübsch und sah sehr pikant aus! Wo blieb sie nur? Endlich, als er den Stummel der dritten Zigarette zum offenen Fenster hinausgeworfen hatte, sprang er auf und bekam einen sichtlichen Schrecken. Parbleu l sollte diese kleine deutsche Katze etwa durchs Fenster entwischt sein? Teufel, das wäre fatal gewesen und — na sehr dumm! Sein Herz schlug wild! Er stürzte hinüber und riß die Tür auf! — Da lag sie, noch immer ohn mächtig, am Boden. Nun gab's kein Zögern mehr. Der verliebte Leutnant trug die Leblose mit Hilfe des inzwischen herbeigerufenen Burschen auf ihr Bett und suchte die Lebensgeister wieder zu erwecken. Viel konnte er nicht machen, denn sie lag stocksteif und regungslos da, eine Art Krampf mußte das er schreckte Mädchen befallen haben. Das dauerte so stundenlang. Was anfangen? Der Leutnant ging unruhig auf und ab. Halt! Ich muß den Alten suchen! Ich muß ihn haben! Auf jeden Fall! Aber wo mag er stecken? Wo das Lazarett sein? Das zu erfahren, war nur möglich, wenn sie wieder bei Besinnung war! Soll ich unsern Doktor holen? — „Lieber nicht, der Filou ist mir Damen gegenüber zu liebenswürdig, und was er da alles aus heckt oder gar anordnet, das weiß man nicht! Also lasten wir's!" So murmelte der Franzose vor sich hin. Was aus seinen Leuten geworden war, und ob er nicht wieder ins Gefecht sollte, das war ihm gleich gültig. Mochten sich die anderen totschießen lassen, ihm war's schon recht, wenn er nicht dabei war. Aber die Sache mit dem Mädel wurde ihm doch allmählich zu dumm. So ging er dann hinüber uny rüttelte sie kräftig und ärgerlich. Langsam schlug sie die AugSn auf. Aha! Ich Esel, sagte er bei sich, warum habe ich das nicht schon längst getan? Laut setzte er in halb freundlichem, halb befehlendem Tone hinzu: „So, Mademoiselle, nun gebe ich Ihnen noch fünf Minuten Zeit, dann stehen Sie aber fertig angezogen vor mir!" Lotte schaute sich noch immer wie geistesabwesend um und konnte sich erst ganz allmählich das Geschehene ins Gedächtnis zurückrufen. Wo nur der Vater blieb? — O, mein Gott, dachte sie entsetzt, denn nun erst fiel ihr alles wieder ein, er wartet ja im Lazarett auf mich, und ich hocke hier herum und — ja, was war denn mit mir? — Sie hatte keine Zeit zum Nachdenken, denn der französiscke Leutnant trat wieder ein und machte nun ein recht ärgerliches Gesicht. „Bitte, nun aber fix, Mademoiselle, sonst müssen Sie mir in dem Aufzuge da folgen! Wo ist denn Ihr Vater?" „Mein Vater? — Sie war derartig verwirrt ob all der auf sie einstürmenden Ereignisse und Fragen, daß sie hastig hervorstieß: „Im Rote-Kreuz-Lazarett! Ich eile, zu ihm zu kommen!" Das paßte dem verschlagenen Franzosen ganz aus gezeichnet, und so sagte er wieder sehr höflich: „Also bitte, mein Fräulein, beenden Sie Ihre Toi lette, ich werde Sie begleiten: draußen, auf den Straßen gebt es noch ein wenig wild her, aber in einigen Tagen wird wieder volle Ordnung im Elsaß herrschen, denn es ist ja Frankreich bereits wieder einoerleibt! Mül hausen ist auch feit heute wieder — französisch!" Lotte hörte diese Ausführungen nur wie in einer großen, weiten Ferne. Die Bedeutung alles dessen kam ihr vorläufig gar nicht zum Bewußtsein; sie be eilte sich daher, denn ihr Herz schlug bang und furcht sam, und tiefe Sehnsucht ergriff sie nach ihrem ge liebten Fritz. Sie hatte gar nicht darauf geachtet, was sie sich angezogen hatte, und so bemerkte sie erst auf dem Wege zum Lazarett ihre eigenartige Kostümierung: halb Bürgermädchen, halb Rote-Kreuz-Schwester. Ihr war aber jetzt alles ganz gleich. Mit Entsetzen ge wahrte sie, wie französische Soldaten, mit blankem Bajonett an den Läufen der Gewehre, kleine und auch größere Trupps deutscher Bürger, meist Beamte, auch Frauen, Mädchen und Kinder als Gefangene vorüber führten : wie manches bekannte Gesicht fand sie dar unter. Sie wollte auf einen Kollegen-Zollbeamten, der mit seiner Frau und Tochter oft zu ihrem Vater und wohl auch zu ihr zu Besuch gekommen war, zuschreiten und ihn etwas fragen, da streckte ihr einer der Be gleitmannschaften das blinkende Bajonett entgegen und der Leutnant riß sie unsanft zurück. Nicht einmal ein Lebewohl konnte sie ihren Freunden sagen, sie wollte sprechen, bekam aber keinen Ton heraus, sondern be wegte nur stumm und verzweifelt die Lippen. Lotte schritt vollkommen apathisch neben dem französischen Offizier her; da lag das Lazarett vor ihnen. Sie trat befangen ein und fragte nach dem Vater. „Der ist als Gefangener abgeführt worden", lautete die ängstliche Antwort eines der alten zurück gebliebenen Wärter.