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kNachdru« ««rdoten.) lA-NIktzung.> Das Zischermadchen vom masurischen See. Von M. Gebhardt. einen Weg em, der stellenweise durch breites' Fah wasser führte. Da hörte sie unweit russische Laute und sah mit Schrecken ein plumpes Fahrzeug die Inseln absuchen. Vorsichtig schob sie sich mit der Ruderstange dicht unter dem Ufergebüsch hin. Nun war sie am Ende desselben, nun Aalt es möglichst schnell und un bemerkt um die Landzunge zu fahren, .dann Mnete sich ihr ein Graben, durch den ein solch breites Boot, wie es die Russen hatten, nicht hindurch konnte. Sie war bereits .außer Sicht der Feinde, als ihr Ruder einen Pfahl am User traf und ein entstehendes Geräusch die Suchenden aufmerksam machte. Mit einem Sprunge waren diese an ihrem Kahn und machten ihn zur Ver folgung flott. Jetzt galt es, die Männer irrezuführen. In Zickzackwegen lenkte Marie den schmalen Einriemer bald im Kreise um eine der Inseln herum, bald schnitt sie eine, Ecke durch eine kühne Flucht über die Breitseite des Sees ab, nun fuhr sie in eine Sackgasse, sprang blitzschnell aus dem Fahrzeug und zog es mit Aufbietung aller Kräfte über den schwankenden Boden in einen anderen Graben. Zuletzt verbarg sie das" Boot an einer heimlichen Stelle und sprang von Polder zu Polder auf nur Eingeweihten bekanntem Pfade zu der Teufels insel zurück. Am Albend Holte sie mit Johannes das Boot über das Moor nach ihrer Zufluchtsstätte. Don nun an wurde sie noch ängstlicher und verließ die Insel am Tage nicht mehr. Johannes übernahm an ihrer Stelle nur zu gern die notwendigen Fahrten, die er oft wieder bis zum Dorf ausdehnte. Er brachte aller lei durch List erworbene Dinge mit, einmal sogar zwei Gewehre und einige Patronen. Diese sollten nur in höchster Not verwendet werden, denn 'sonst könnte ein Schuß leicht ihre Zuflucht verraten. Da, es mochte um den zwanzigsten August sein, hörte man dumpfes Grollen von Nordwesten. War eine' Schlacht im Gange? Kam es von der kleinen Festung Doyen, oder nahte die Erlösung? Der Knabe könnte kaum den Abend erwarten. Lange blieb er aus und brachte die unerwartete Nachricht mit, daß er gesehen habe, wie die Kosaken nach Westen weitergezögen seien.. Nach Westen, also stand es schlimm um 'Deutschland, zum Angriff, nicht zur Flucht zogen die Rüssen! — Der Kosaken-Leutnant Janko Kaminski befahl seinen Leuten, den Gefangenen vorzuführen. „Deutscher Hund! Du dankst es meiner Gnade, daß du noch lebst! Aber ich will hoffen, du siehst es ein und zeigst dich nun erkenntlich. Ich werde dir noch später sagen, was ich von dir verlange, vorläufig nur das Eine. " Wir mar schieren weiter. Die glorreiche Armee des Beherrschers üon Rußland hat die Feinde vernichtet. Immer weiter geht es im siegreichen Zuge nach 'Deutschland hinein. Du wirst uns begleiten. Machst du aber einen Versuch zu fliehen, so wirst du sogleich niedergeschossen. Du hast deinen Führern in jeder Weise zu gehorchen, sonst ist es dein eigener Schaden! Ihr beide, du Dagomiritsch und du Kowalczeck, ihr laßt den Hund nicht eine Minute aus den Augen! Und jetzt mein Pferd!" Janko saß auf und ritt an der Spitze seines Zuges. Der Fisch- meister sah, es ging wirklich weiter nach Deutschland hinein. Andere Truppen schlossen sich an, so daß die Abteilung Kaminskis die Vorhut bildete. In tiefer Trauer schleppte der Deutsche seine zerschlagenen Glieder fort, so rasch er konnte. Ueberall kam man durch ver wüstete Dörfer, verbrannte Städte. Wie sah es in Lyck aus? Ein Glück nur, daß seine Frau und die Kinder nicht dorthin geflüchtet waren! Da lebten sie auf der Insel doch noch sicherer. Ob sie noch lebten? Zwar, das Mädchen war den Nachforschungen des Janko noch immer entgangen, denn der Russe hatte beim Abreiten über den See gedroht und geschworen, er bekäme sie doch noch. Aber das Leben im Moor war ungesund, wie sollten sie es lange aushalten? Plötzlich hielt der Zug an, eine Ordonnanz hatte dem Führer eine Weisung gebracht. Der Leutnant drehte Dem Fischer lief es heiß und'kalt über den Rücken. Nur nichts verraten, vielleicht gelang es den beiden unten im Kahn, zu entfliehen. -Deshalb stellte er sich demütig und sagte: ,Habe ich mir's doch gleich gedacht, wenn ich den Herrn drunten im Dorf bei den Pferden sah, das ist kein Knecht, das ist ein Herr!" „Was du gedacht hast, Kerl, will rch nicht wissen, sondern wo deine Tochter ist! Marsch, rede, sonst öffne ich dir mit Gewalt den Mund!" „Wie kann ich dem Herrn sagen, was" ich selbst nicht weiß! Die Marie ist mit der Mutter und den Brüdern schon lange fort in der Stadt!" „Das lügst du, Hund! Aber mag's gelten, so bleibst du hier, bis die Dirne dich auslöst! Auf, mit ins Haus, du sollst ihr schreiben, wo du bist, und daß du unfehlbar stirbst, kommt sie nicht selbst, dich zu holen!" Janko, jetzt Kosaken-Leutnant, wollte Progalla in die Haustrümmer stoßen, als einer der Leute, mit der Hand auf den See zeigend, rief: „Da fährt ein Kahn, sind Zwei drin, eins ist ein Weib!" „Beim Teufel, du hast recht! Schießt auf den Kahn, daß er sinkt! Die anderen schwimmen nach! Wer mir das Mädel bringt, kriegt eine große Flasche Wodka als Lohn! Hinein mit dir ins Haus, Sohn von einer Hündin! Sollst Zeuge sein von der Hochzeit deiner Tochter, ha, ha!" Marie und Johannes hatten mit Schrecken den Vorgang aus der Ferne beobachtet. Als aber Janko nach dem Mädchen fragte, löste der Knabe leise die Riemen und lenkte den Kahn vom Ufer ab. Marie wollte den Vater nicht im Stiche lassen, aber der Bruder sagte ihr, daß ein strenger Befehl gerade des' Paters ihm gebot, sobald Gefahr drohe, sofort zu entfliehen, damit nicht auch sie ins Unglück gerieten. Sie waren schon ein gutes Stück vom Lande ab, als der Kosak sie ent deckte. Mit aller Kraft legten sich nun beide in die Ruder, denn die Verfolger waren gewandte Schwimmer. Wie gut nur, daß auf den Rat des Vaters die anderen Boote im Moor versenkt worden waren, so mußten die Feinde ihr Bemühen schließlich doch aufgeben, und die Kinder entkamen im Gewirr der schmalen Gräben. Aber der Vater? Ob sie ihn wohl jemals Wiedersehen, würden? Doch Janko Kaminski bedachte, daß ihm der lebende Progalla mehr zur Erlangung des Mädchens nützen konnte, als der tote, deshalb hielt er ihn nur in strenger Gefangenschaft. Er rechnete aus die Kindesliebe der deutschen Mädchen, die sich selbst als Opfer für Leben und Freiheit der Eltern nicht zu hoch schienen. Wirk lich kam Marie in den nächsten Tagen oft der Gedanke, hinzufahren und den Russen um den Vater zu bitten, aber wenn sie dann bedachte, was er dafür fordern könnte, dann schauderte sie und zögerte. Freilich, man könnte nachher sterben, der See war doch Lc^! Doch ob dem Pater um solchen Preis die Freiheit lieb sein würde? Ob er nicht vielleicht schon tot war? Und dann war alles umsonst und Lie Mutter hatte den Kummer noch zu all dem anderen. Einmal war Marie zu den anderen.Inseln gefahren, auf denen die Bauern hausten. Dort sah es fast noch schlimmer aus, nls apf der Teufelsinscl. Hunger und Krankheit hatten hier ihren Einzug gehalten. So stand cs jetzt schon in der trockenen Jahreszeit, wie sollte es im feuchten Herbste und im kalten Winter werden? Sie hatte länger als sonst sich aufgehalten, hatte beim Pastor, der getreu seiner Pflicht in Not und Verfolgung mit seinen Pfarr kindern aushielt, .Trost und Rat gesucht. Auf der Heimfahrt wollte sie noch von einer größeren Insel Gras für die Ziege mitnehmen, und sie schlug deshalb