Volltext Seite (XML)
einem mächtigen Felsquader aus, und der Oberst sagte vergnügt: „Immer heran ans Vergnügen, liebe Miß, Sie werden einige ganz passable Tiere darunter finden; die beiden ältesten und besten gehören leider nicht mehr mir." „Schade!" „Aber warum?" „O, wenn sie mir nun gerade gefallen hätten, und ich sie gerne kaufte, was dann?" „Ja, mein liebes Fräulein, dann müssen Sie sich einmal an die Adresse meines Sohnes Kurt wenden, dem habe ich sie soeben — geschenkt." „Ei, ei, mein Herr Leutnant, was höre ich, solch noble Geschenke macht Ihnen Ihr Herr Papa?" „Ja! Aber denken Sie nicht etwa, daß das täglich vorkommt, denn dann wird er bald keine Pferde mehr auf der Koppel haben." Alle lachten, und da Vater Wussow einmal die Spendierhosen anhatte und äußerst guter Laune war, — auch so seine väterlichen Hintergedanken hatte, denn die Miß gefiel ihm immer besser —, so wandte er sich an sie und sagte: „Sie haben schon einen ziemlich scharfen Ritt hinter sich, kommen Sie mit uns ins Haus und frühstücken Sie da! Mein Junge wird Sie gern dahin begleiten; ich selbst muß noch einmal aufs Vorwerk, nachzusehen, ob auch die neu angekommene Dreschmaschine richtig aufgestellt ist." Sie schaute einen Augenblick in die lachenden Augen des Obersten, und als sie darin nichts Verdächtiges fand, sprang sie gewandt wie ein Junge aus dem Sattel und stand hell lachend vor den beiden Herren, die ob des halben Saltomortale wohl höchst erstaunte Gesichter gemacht haben mußten. „Herr Oberst," begann sie nun feierlich stramm stehend wie ein Soldat und die rechte Hand am Hut, „ich stehe ganz zu Ihren Befehlen! Herr Leutnant, bitte übernehmen Sie die Führung! He, John, wv dorse!" Der glattrasierte amerikanische Reitknecht im Zy linder und einer sonstigen Aufmachung, wie der Leib reitknecht eines Fürsten, kam heran und nahm das Pferd der Dame am Zügel. . „So, mein Leutnant, nun kann die Wanderung beginnen. — O, wie das gut tut, so seine Glieder nach solch tüchtigem Ritt wieder einmal selbst ge brauchen zu können", sagte die Miß. „So, hier wollen Sie abbiegen, Herr Oberst", wandte sie sich an ihn und reichte dem schmunzelnden alten Herrn freimütig die Hand. „Und nun," fragte sie den jungen Offizier, „wo gehen wir?" Kurt zeigte ihr den Weg, gab dem Reitknecht den Befehl, der großen Straße nach dem Gute zu folgen und dort die Pferde einzustellen. Ohne auch nur mit einer Muskel zu zucken, ritt der Mann im Trabe davon. „So und nun stehe ich ganz zu Ihren Befehlen, Miß Ethel!" „Wie," fragte sie gedehnt und sah ihn ganz er staunt an, „auch die deutschen Offiziere lassen sich — befehlen?" „Ei, warum denn nicht? Meinen Sie, daß wir nur den königlichen Dienst kennen, in dem befohlen wird, meine liebe Miß?" Nein, wir kennen auch noch einen anderen, minder harten, dafür aber auch reckt süßen Dienst, den der — Minne!" „Sind Sie aber ein gelehriger junger Herr, mein Leutnant, von d e r Seite, Komplimente zu machen, kannte ich Sie ja noch gar nicht; wenn das so weiter geht, werden Sie ja bald so galant und süßlich sein, wie unsere jungen Herren drüben in Amerika." „Päh," machte Kurt und sah sie mit einem schief gezogenen Munde höchst verächtlich von der Seite an, so daß sie, ihn und seine Geste sofort verstehend, auch ein Mäulchen zog, dann aber ganz plötzlich und un vermittelt nach einem kurzen gegenseitigen Schweigen sagte: „Und doch sind unsere Herren sehr galant, gegen die Frauen; sie sehen uns alles an den Augen ab und suchen, uns zu dienen, wo -sie es nur immer können." „Ja, sehen Sie, Miß Ethel, das ist es ja eben, was uns an Ihren Männern nicht gefällt und sie in unseren Augen arg herabsetzt, sie dienen nicht in unserem Sinne den Frauen, sondern sie kriechen vor ihnen, wie vor höheren Wesen, die angebetet sein wollen." „Aber, Herr Baron, da hört sich doch alles auf, jetzt werden Sie ja förmlich grob!" gab sie zur Ant wort und versuchte sogar ein böses Gesicht zu machen, was ihr aber doch nicht in dem gewollten Maße ge lang, denn er rief übermütig: „I, meine teuere Miß Ethel, ich denke gar nicht daran, ihr Amerikaner glaubt immer, wenn wir Deutschen euch einmal die Wahrheit sagen, so seien wir grob. Man ist eben da drüben kaum noch ge wöhnt, ein ehrlich, redliches Wort zu hören, und bei uns spricht man, wenigstens im allgemeinen auf dem Lande, so, wie einem der Schnabel gewachsen ist — sehen Sie, selbst die landläufigsten deutschen Redens arten entbehren nicht der so viel verspotteten Grob heit. Da drüben, Ihre sogenannten Herren der Schöpfung, bei uns Männer genannt, reden so süßlich und um alles drumherum, daß sie vor lauter Zucker meist an der Sonne der Huld einer Dame vergehen und in ein Nichts zerschmelzen. Nee, Mißchen, so was gibt's bei uns nicht! Wir Deutschen haben unsere Eigenheiten, und wer weiß, ob nicht bald das goldene Morgenrot einer germanischen Zeit anbricht! Not tut's jedenfalls dieser verderbtesten aller Welten! Oder sind Sie anderer Ansicht?" Die Amerikanerin in Miß Ethel war durch diese, ihr vollkommen neuen Ansichten für Augenblicke ganz aus dem Konzept gebracht, und sie sann erst einige Zeit über das von ihrem Freunde Gesagte nach, um endlich, immerhin aber etwas zögernd, zu gestehen: „Sie mögen in manchem, was Sie da sagten, recht haben, aber bedenken Sie auch eines dabei: wir, jenseits des großen Teiches, wie man so wenig ge schmackvoll sagt, genießen eine ganz andere Erziehung, wie Sie in dem vielfach veralteten Deutschland, wo man auf Schritt und Tritt au^ die „Traditionen" stößt; bei uns ist alles nur auf den einen Standpunkt zugejchnitten, und der heißt: praktisches Erwerbsleben, Geschäft! Danach erzieht man einzig unsere Männer, die eben einfach dazu da sind, Geschäfte zu machen! Geschäfte, wie und wo sie können und um jeden Preis!" „Na, also, liebe Freundin, da sind wir ja auf dem Standpunkt angekommen, den ich meine. Sehen Sie und das verstehen wir wieder nicht! Und, Sie sind ja viel zu klug und vernünftig, unser Gespräch anders aufzufassen, als es in Wirklichkeit gemeint ist; das war ja, was ich sagen wollte: Ihr Amerikaner seid todunglücklich, daß ihr eben keine Tradition habt. Warum stüpfen denn diese reichen amerikanischen Nabobs ihre hochmodernen Häuser, Paläste, Schlösser und Europa nachgeahmten Burgen voll alter Bilder und derlei Dinge? Doch nur, um das wirklich Fehlende zu bedeckmänteln! Und genau so ist's mit der Erziehung und dem ganzen gesellschaftlichen Leben! (Fortsetzung folgt.)