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Da erst erwachte Fritz aus seiner halben Betäubung, denn Lottes Erscheinen mußte seine Glieder förm lich gelähmt haben ; er konnte nur noch kurz aufstöhnen und sagte mit den Zähnen knirschend: „Verdammt! Entwischt!" Dann ließ er betrübt den Kopf hängen, und matt sank seine mit dem blanken Hirschfänger bewehrte Hand herab. sagte sie, an seine Seite tretend und ihre weiche Hand in seinen Arm hineinschiebend, „die Sache ging ja gar nicht anders zu machen. Nimm doch man bloß Vernunft an und verbeiß dich nicht in eine andere Ansicht." „wieh' mal, Lotte!" gab er zwar etwas ruhiger im Ton, aber doch noch nervös in seinem ganzen Gebaren zurück, „du bist ja mein braves und tapferes Mädel, gewiß, aber du bist eben das Kriegsgericht nicht, das mich wegen meiner Fahrlässigkeit zu verurteilen hat. Man schießt doch auch so mitten im Frieden nicht auf verdächtige Menschen, denen man noch nichts nachge wiesen hat! Ja! Und dann — tja, sieh mal, nachher, als sie geschossen hatten, ja siehste, da hätte ich sofort knallen müssen, das war ja mein Fehler, den ich Riesen roß gemacht habe und der mir Festung einbringt — Degradation gar und dann: futsch — aus is mit der ganzen schönen Jägerei! Dann kannste 'nen Straßen kehrer heiraten statt 'nen kaiserlich deutschen oder könig lich preußischen Revierförster! Ja, ja! Futsch, aus is dann!" Fritz hatte sich derartig in Aufregung geredet, daß er selbst an alles glaubte, was er da sagte, und war der felsenfesten Meinung, daß alles mit ihm aus sei. Lotte war aber Gott sei Dank ein viel zu ver nünftiges Frauenzimmerchen, als daß sie einfach mit in das Horn ihres Verlobten stieß, den Kopf hängen ließ und auch mitjammerte. Ihr wurde das Lamen tieren Fritzens allmählich zu dumm, und so sagte sie halb tröstend, halb ärgerlich: „Reg' dich nicht weiter auf, Fritz! Die ganze Sache war ja 'ne richtige Ueberrumpelung, und schließlich haste ja die Papiere und die Karte. Wer weiß, was da alles Wichtiges drin steht!" „Karte bin, Karte her," widersprach er bockbeinig, „die beiden Kerls mußte ich haben! Ja die! Das war die Hauptsache, und die sind mir durch die Lappen gegangen, weil ich gedöst habe, weil ich mich nicht im entscheidenden Augenblick als richtiger Soldat mit Ueberlegung gezeigt habe! Das redet mir kein Mensch aus. Am besten wäre es, ich jagte mir 'ne Kugel durch den Kopf! Mehr habe ich gar nicht verdient." „Fritz," sagte nun Lotte sehr energisch und trumpfte sogar mächtig auf, „ich bitte mir aus, daß du so'n Blödsinn nicht noch mal redest, sonst sollst du mich erst richtig kennenlernen! Ich weiß gar nicht, was in dich gefahren ist! Bist du denn Soldat oder bist du — eine alte Memme?" Sie hatte das so leise gesagt, daß es keiner der Jäger oder auch ihr Bruder hatte hören können, aber ihr Ton klang so energisch, daß selbst Fritz einsah, daß er sich in seiner Ansicht doch wohl zu Aeußerungen hatte Hinreißen lassen, die zu wett gegangen waren. „Feige ist das! Gemein feige," was du da sagtest, setzte sie hinzu und ließ nun sogar seinen Arm los. Einer der Oberjäger hatte einen Teil der Worte Lottes gehört und sagte zwischen beide tretend: „Recht haben Sie wohl, Fräulein Blume, so'n Quatsch überhaupt nur zu reden. Weißt du", wandle er sich dann an den Kameraden, „wir bringen -den Konrad da, was dein zukünftiger Schwager ist, ins Garnisonlazarett, und du machst, daß du deinen Haupt- mann aufsuchst. Der kann ja dann entscheiden, wie die Sachen sind! Davon verstehst du nischt und ich nischt, wir alle verstehen davon nicht — kuck mich man nur nich so dämlich noch obendrin an, als wolltest du sagen: Oller Quatschpeter, wir Ober jäger verstehen nischt! —Nee sag' ich dir noch mal, das können nur unsere Herren Offiziere ent scheiden, und da scher' dich hin! Und nu halt die Klappe über di'e Sache, bis gvir zu Hause sind!" (Fortsetzung foltzt.) 2. Kapitel. Ein Weltereignis. Kaum gewahrte Lotte die Hilflosigkeit des Bruders und sah dessen rotes Blut laufen, so war sie wie ver ändert: nicht mehr die weiche, liebende Mädchenseele, nein, sie war ganz die Tat geworden. „Fritz, hier komm her und hilf", rief sie energisch ihrem Bräutigam zu, der noch immer in zerknirschter, trübseliger Haltung auf den Boden vor sich binstarrte. Der Ruf ließ ihn aus seinen Gedanken aufschrecken, und er riß sich gewaltsam von seinem Dahinbrüten los. Er bückte sich und hob die an der Erde liegenge bliebene Karte nebst einer Ledertasche auf, barg letztere in seinem Wnffenrock und nahm die Rolle mit, um dann aber mit ein paar langen Sprüngen zu den beiden anderen hinüberzueilen und neben dem am Boden liegenden Kameraden niederzuknien. Mit sachkundigem Auge des Weidmannes erkannte er, daß der Schuß, den sein zukünftiger Schwager ins Vein erhalten hatte, nur ein einfacher Fleischschuß war, der zwar ziemlich heftige Schmerzen hervorrief, aber absolut ungefährlich war. Schnell und gesckickt batte er mit zwei in Streifen gerissenen Taschentüchern die blutende Wunde verbunden, den Kameraden hochgesetzt, ihm dann sogar auf die Beine geholfen und sagte nun zu ihm: „Du, Konrad, versuch' mal und tritt mit dem ange schossenen Bein auf! Geht's?" „Ja, 's tut nur infam weh." „Glaub' ich dir gerne, ^er du siehst, es ist kein Knochen verletzt, und das isMüe Hauptsache." Von den beiden Franzosen war weit und breit nichts mehr zu sehen. Lotte war nun doch ein wenig bange und drückte ihre Sorge dahingehend aus, daß sie nicht wußte, wie man den Verwundeten nach Hause oder vielmehr ins Lazarett bringen sollte: aber da machte- sie sich nun doch unnötige Sorgen, denn nun, da Fritz seine volle Geistesgegenwart wiederhatte, faßte er alles höchst energisch an. „Dis zur Mühle kann ich ihn mit Zwischenpausen tragen," sagte er, „und da finden wir schon jemanden, der uns heFxn kann!" Das lMchtete den Geschwistern auch, ein, und so setzten sie denn das Vorhaben sehr schnell in die Tat um. Fritz hatte sich nur schnell einen starken Stock ge schnitten, den er als Bergstock benutzen konnte; das Koppel mit dem des Ulanen hatte er zu einer Art Tragegurt umgewandelt, und anders haben die Männer von Weinsberg wohl auch auf den Rücken ihrer Frauen- Ehehälften kaum ausgeseyen, wie Konrad jetzt auf dem Buckel seines zukünftigen Schwagers. Und wirklich, bis zur Mühle kamen sie, wenn auch nur sehr langsam, doch ganz gut; dort saßen ein paar frische, forsche Jäger von Fritzens Bataillon, und als er seine Kameraden, soweit er es für gut und auch für nötig erachtete, verständigt hatte, da war gar schnell eine Reisigbahre hergestellt worden, und dann zogen alle, trotz des Ernstes der Lage, unter lebhaftem Ge plauder und. frischen, fröhlichen Iägerliedern zu Tal, der Stadt zu^ Erst jetzt begann Fritz wieder neue Gewissensbisse zu bekommen; Lotte hatte die Fundsachen an sich ge nommen und gab sie nun ihrem Bräutigam zurück. Mache dir doch keine unnötigen Gedanken, Fritz,