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(Nachdruck verboten.) Endlich standen die Eltern und Kurt vom Frühstücks tisch auf, und sie war erlöst. Wie ein Wirbelwind sauste sie hinaus und hört« nur noch zwischen Tür und Angel Kurts lachende Stimme, wie er rief: „11 Uhr Rendezvous im Borkenhäuschen, Kleine!" dann war sie draußen. „Oller Ekel", schrie sie, aber er hatte zu ihrem Glück dieses Kosewort nicht mehr gehört. Knallend war nämlich die Tür dabei ins Schloß geflogen. „Nanu, bei Mamsellschen scheint heute ja Sturm zu sein. Hatse Aerger mit ihren Puten gehabt, oder ist ihr sonst 'ne Laus über die Leber gelaufen?" fragte der Oberst, der seine Tochter vorhin ganz gegen seine son stige Gewohnheit nicht genauer beobachtet hatte, da er sich in Gedanken fast ausschließlich mit dem Inhalt des Elsässer Briefes beschäftigt hatte. Auch Frau Hermine sah dieses Mal ein wenig erstaunt und verdutzt ihrem davonstürmenden Töchterchen nach, aber ihr war es in den letzten Tagen nicht viel anders wie ihrem Manns ergangen: es gab zu viel zu denken und zu arbeiten, dennLwenn nun wirklich so ein furchtbares Völkerringen anheben und sie den Mann und zwei Söhne gegen den Feind ziehen lassen sollte, so war das für eine Frau keine Kleinigkeit. Und wenn sie all diese Ge danken immer und iinmer wieder abzuschütteln suchte, so zogen diese sie immer wieder wie ein Magnet an. Sie mußte sich, schon für das Lazarett, die Tochter mehr heranziehen, die bisher wie eine Hummel bald hier, bald da herumschwirrte, zwar ihre Resiorts gut in Ordnung hielt und verwaltete, aber sich sonst nur schwer an die feste Hausordnung kehrte. „Ach Gott ja, die Männer, sie sind alle zu weich gegen solche Mädchen," seufzte Frau Hermine hinter ihrem Ehegatten her, der soeben mit Kurt, nach einem herzlichen Abschiedskuß von ihr, das Frühstückzimmer verlassen hatte. „Wir wollen den Weg lieber zu Fuß zurücklegen," sagte der Vater, „es redet sich beffer, als wenn man reitet und dann mehr mit dem Gaul beschäftigt ist oder fährt und das Rappeln des Wagens jedes ge sprochene Wort verschlingt. So schritten denn beide, auf kräftige Stöcke gestützt, dahin, bis der Oberst das Schweigen mit den Worten brach: „Nun, Junge, du hast ja Krügers Brief gelesen; was sagst du dazu? Du stehst ja auch feit Jahren da unten an der Grenze und wirst wohl mit der Zeit Land und Leute des Reichslandes kennen und bs- urteilen gelernt haben?" RgMe Mepiialllmgs-oeilM E MMpftL-Sesirmg Mmkblatt) Morgenrot! Roman von Wilhelm v. Trotha. (N. Fortsetzung.) rüde tobte im Innern. Sie mußte so die für sie doch ungemein wichtige Aus sprache mit dem Bruder auf später ver schieben, und das war ihr durchaus gegen den Strich. So leicht aber ließ sich Mam- sellchen nicht ins Bockshorn jagen, und gewohnt, ihren Willen durchzusetzen, fragte sie ganz harmlos: „Papa, kann der Kurt nicht doch lieber nach kommen ?" Beide Herren sahen sie wie auf Kommando an; Kurt pfiff leise durch die Zähne, der Alte schüttelte den Kopf und sagte: „Kleines, was du dem guten Kuri über deinen Hühnerhof, die Frühbeete und den Obstgarten, dein eigenstes Ressort, zu berichten hast, wird wohl Zeit bis gegen Mittag haben. Oder ist es so wichtig, daß Vater warten muß?" „Papa, ich kann warten," gab sie schnell zur Ant wort. Kurt nickte ihr verständnisinnig zu und sagte: „Trudel, sobald ich draußen mit Papa fertig bin, komme ich so gegen 11 Uhr ins — Borkenhäuschen. Ist's dir so recht?" Die Schwester nickte nur und bekam dabei einen Kopf, so rot, wie ihre Truthähne beim Kollern. Mit einem Blitzblick, wie ihn nur junge Mädchen in Trudens Zustand in der Lage sind, ihn auf zwei Menschen, hier die lieben, nichts ahnenden Eltern zu werfen, hatte sie festgestellt, daß beide in dem Platz nichts fanden, also auch oom Tuten und Blasen der töchterlichen Liebe keine blasse Ahnung hatten, und sie war mit dem Fort gange der Dinge leidlich zufrieden. Allerdings dauerte die Unsicherheit Kurt gegenüber noch einige Stunden fort, und sie verwarf den ersten still gemachten Vorwurf, als er das Häuschen nannte, „so'n gemeiner Kerl" und wandelte ihn jetzt am Ende des Torturstündchens in „anständiger Kerl" um, denn der Filou wußte weit mehr, als er durchblicken ließ! Sollte er gar Zeuge der innigen Kußszene da draußen gewesen sein? Ei ei, das wäre fatal. I, zum Henker, dachte sie — und an den schönen Ausdrücken erkannte man deutlich: Trude war das echte Kind ihres fluchenden Papas — der Kurt ging ja den ganzen Nachmittag mit der Miß spazieren, ja, dann ist auch sie Mitwisserin des ganzen Liedeskladderadatsches. Wie fatal das doch war! Ach ja, dachte sie und seufzte still in sich hinein: „Man hat doch so sein Kreuz mit seiner ersten großen Liebe! Einfach ist das Leben, weiß Gott, nicht I"