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Ein gestörtes Hochzeitsmahl. Humoristische Erzählung von Schwester L. Wenk. (Nachdruck verboten.) Also Komtesse I. hatte wieder einmal ihre Magen beschwerden! Das sagte mir das liebenswürdige Schreiben ihrer gräflichen Tantes Für mich bedeutete dies, daß meine Hoffnung auf em paar ruhige Tage der Erholung von meiner letzten, recht anstrengenden Pflege zu Wasser geworden war. Nun allzu schlimm konnte es auch nicht werden, tröstete ich mich bald; denn aus Erfahrung wußte ich, daß das Leiden der jugendlichen. Patientin überhaupt nicht derart war, daß sie einer Pflegerin vom Roten Kreuz bedurft hätte. Es kam ihr wohl auch, wie bei früheren Gelegenheiten, mehr darauf an, ständig eine Gesellschafterin um sich zu haben, die ihr die Lange weile vom Krankenlager scheuchte, als eine »Pflegerin, welche Lie geringfügigen Schmerzen linderte. Ueber- dies besaß sie ja die nötigen Mittel, daß 'sie sich jeden Luxus gestatten konnte, warum sollte sie sich also eine Pflegerin versagen, wenn sie sie nötig zu haben glaubte? Jedenfalls gab es für mich kein langes Besinnen, ich schnürte mein Bündel und machte mich auf den Weg zu der reizend gelegenen Besitzung der Gräfin B. auf V. Gegen Abend kam ich auf Schloß V. an, das mitten in einem prächtigen Buchenhain gelegen ist. Erquickende Kühle umfing mich in den schattigen Alleen, und Frau Nachtigall stimmte eben ihre ersten Abendlieder an, als ich meinen Einzug hielt. Ueberaus freundlich wie immer wurde ich von Gräfin B. empfangen und als bald zu meiner Kranken geleitet. Komtesse I., eine stattliche, vornehme Erscheinung, ruhte auf einem Liegestuhl; wohl erschien mir ihr reizen des Gesicht, das von einer Fülle schwarzen Haares um rahmt war, etwas blasser wie früher, aber sonst war ihm von einer ernstlichen Erkrankung nichts anzumerken. Lustig und fast keck strahlten mir die dunklen Augen der Dame entgegen, als sie mir den Willkommengruß bot und ihrer Freude Ausdruck gab, daß ich so rasch ihrem Rus gefolgt sei. Die Komtesse hatte frühzeitig ihre Eltern verloren, und seitdem Hatte sie bei ihrer liebens würdigen Tante, der Gräfin B., deren Ehe kinderlos ge blieben war, ein neues Heim gefunden. Seit einem halben Jahr war sie mit einem Leutnant aus der be nachbarten Garnisonstadt verlobt, und in wenig' Wochen sollte nun die Hochzeit gefeiert werden. Die mit solchem Ereignis in .Verbindung siebenden mancherlei Auf regungen, der Aerger und Verdruß mit Schneiderinnen und Handwerkern aller Art, mannigfache Reisen in die Reichshauptstadt und dergleichen waren wohl der Kom tesse zu viel geworden und hatten zu der geringfügigen Unpäßlichkeit geführt, um deren willen ich nach Schloß V. gerufen worden war. Wie ich vorausgesehen, war das Leiden der Kranken in wenig Tagen völlig beseitigt. Und wieder strahlte die Komtesse in frohem Jugendmut und ließ ihrem Uebermut die Zügel schießen, wie es nur je eine glück liche Braut getan, an die noch nie die Spur einer ernst lichen Sorge herantrat. Trotzdem wurde ich nicht sofort nach der Genesung in Gnaden entlassen, sondern gebeten, meine Zeit auch fernerhin der Komtesse zu widmen. Natürlich tat ich das von Herzen gern, und so war es mir vergönnt, eine Reihe wahrhaft idyllischer Tage und Wochen auf Schloß V. zu verleben. Mit Entzücken denke ich noch immer an die köstlichen Abende in der ländlich friedlichen Stille zurück. Dann saß man wohl nach dem Abendbrot auf der großen, mit Treibhauspflanzen um stellten Terrasse. . Die Windlichter wurden angesteckt, und hoch oben am dunkelblauen Firmament schwamm silbern der Mond durch Len Aether. Ringsum aber er klang ein geheimnisvolles Flüstern und Locken, in den Wipfeln der Bäume rauschte es leise, und es schien mir, als wehe Gottes Odem durch die Natur. Kurz es war unbeschreiblich schön und friedliche als habe ein Stück Himmelsfrieden sich auf die unruhvolle Erde gesenkt. Dann aber zerriß plötzlich die Prosa des Alltags den AbendfrieLeu, wenn vom Schloßteich her das Quaken der Frösche Lurch die Stille der Nacht erklang. So verrann mir wie im Fluge eine Woche nach der andern. Angenehm unterbrochen wurde die friedvolle Stille auf Schloß D. jeden Sonnabend durch gemeinsame Fahrt in die Garnisonstadt. Dort holten wir den. sehn suchtsvoll seiner Braut harrenden Bräutigam der Kom tesse ab, damit er, nicht selten mit einer Reihe von Kameraden, den Sonntag auf Schloß B. verlebe. Unmittelbar nach Schluß der Herbstmanöver sollte die Hochzeit stattfinden. Nur vierzehn Tage trennten uns noch von dem Termin. Nun galt cs, mit Ernst das Fest zu rüsten und vor allem die leiblichen Genüsse vorzubereiten, mit denen man die zahlreichen Hochzeits gäste zu bewirten gedachte. Zu dem Zwecke verschrieb sich Gräfin B. eine — wie sie sagte — „Küchenkapazität" aus der Reichsharrptstadt. Acht Tage bor der Hochzeit erschien diese in Gestalt eines blaß aussehenden, aber sehr selbstsicher auftretenden Jünglings, der — das sah man sofort — über den unschätzbaren Wert seiner Per sönlichkeit durchaus nicht im unklaren war. Kunstvoll gebrannte Locken schmückten sein geistvolles Haupt, den Mund zierte ein keck nach oben gezogener Schnurrbart, die schmächtige Gestalt steckte in Lem modernsten Dandy- anzug, den man sich denken konnte, und selbstverständlich fehlten elegante Lackstiefel nicht. Mit äußerster Zungen fertigkeit versicherte er der Gräfin, Laß unter allen neueren Küchenfürsten er einer der gefeiertsten und voll kommensten sei. Er gedenke auch auf Schloß V. mit seiner Kunst Ehre einzulegen. Mit vielversprechendem Eifer begab er sich denn auch ! sofort an sein Werk, nachdem er sich mit blcndcndwcißer Küchenkleidung geschmückt hatte. Natürlich versäumte er nicht, sich dem weiblichen Küchenpersonal gegenüber als angenehmer Schwerenöter aufzuspielen, und erwarb sich bei diesem denn auch bald den Ehrentitel „der schöne Heinrich". Zunächst galt es, um die endgültige Speisen folge festzustellen, eine Reihe von Probegerichten herzu stellen und die zahlreichen Torten, Eisspeisen usw. fertig zu machen. Alles ging nach Wunsch. Die Rezepte des „schönen Heinrich" fanden Anklang, und so komne Gräfin B. sich der Zuversicht hingeben, Laß das Hochzeitsfest auch nach der kulinarischen Seite hin einen glänzenden Verlauf nehmen werde. So nahte der Hochzcitsmorgen. Ich stand vor der Freitreppe des Schlosses, das wir prächtig mit Grün und herrlichen Blumen geschmückt hatten. Noch einmal überschaute ich unser Werk; wie ein Märchenschloß er schien mir das Gebäude, das eine glückliche Braut be herbergte. In leuchtenden Farben strahlte die aus gehende Sonne zurück aus den Tautropfen, die in dem frischen Eichen- und Tänneugrün L^r Girlanden hingen. Programmgemäß nahm nunmehr der festliche Tag seinen Anfang. Fröhliche Sänger hatte der glückliche Bräutigam gesandt, um die holde Braut Lurch Liedcs- töne aus dem Schlummer wecken zu lassen. „Lobe den Herren, den mächtigen König der Ehren" stimmten sie zunächst an, um sich dann direkt bittend an die Braut zu wenden mit dem neckischen Liede: „Bei allem, was da reizend ist, du holde Maid, wach' auf!" Weitere Ständchen folgten, und schließlich fand die feierliche Trauung in Ler kleinen Dorfkirche statt, die Lie zahlreichen Hochzeitsgäste kaum zu fassen ver mochte. In fröhlichster Stimmung kehrten wir aus der Kirche in das Hochzeitshaus zurück. Dort wurden wir indes mit der Schreckensbotschaft empfangen, der „schöne Heinrich" sei spurlos verschwunden. Alle Räumlichkeiten vom Keller bis in die Bodenkammern habe man, so vcr-