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(Fortsetzung folgt.) 18. Kapitel. An dem Tage, wo die tapfere Soldatenbraut Anni von Lisolf ihrer Mutter die Erlaubnis zur Kriegstrauung abrang, lag in einem Etappenlazarett bleich und still auf seinem Schmerzenslager Hauptmann von Dornau. Bei Erstürmung einer feindlichen Befestigung glaubten die Unserigen, der Uebermacht des Feindes erliegen zu müssen. Doch der Hauptmann hatte Be fehl, um jeden Preis den Feind aus seiner Stellung zu verjagen. Wie toll knallten die Franzosen drauf los, manch tapferer Jüngling wurde von der feindlichen Kugel ge troffen. Schon senkte sich die Dunkelheit auf die Landschaft von Nordflandern, aus dem Tal herauf stiegen die Nebel, die Kraft unserer Tapferen wollte erlahmen. Da, auf halber Höhe fanden sie verlassene Erd löcher. Dort mußten sie auf leisen Befehl des Haupt manns allesamt unterschlüpfen. Die Franzosen schossen noch kurze Zeit in den Nebel hinein; als aber keine Salve mehr Antwort gab, mußten sie natürlich glauben, der Feind habe den Rückzug an getreten. Die Franzosen nahmen die Verfolgung der Unse rigen nicht auf. Daraus ging hervor, daß sie große Verluste erlitten. »Jetzt gilt's, Kinder," sagte der Hauptmann zu seiner Mannschaft, „eine halbe Stunde warten wir noch, dann, ehe der Mond heraufkommt und die Nebel zer teilt, los! Mit Hurra und lautem Geschrei fallen wir über die Bands her, sie müssen glauben, wir haben Verstärkung erhalten. Wir schlagen sie in die Fluchtl" Flüsternd wurden die Befehle erteilt. Kriechend, schleichend gelangten die Unserigen zur Höhe hinauf, unbemerkt kamen sie ganz in die Nähe des Feindes. Mit dröhnendem Hurra, das aus viel tausend Kehlen zu kommen schien, die Gewehre im Anschlag, tauchten sie aus dem Nebelmeer hervor. Entsetzen ergriff den Feind, an ernstlichen Wider- stand dachten die Franzosen nicht. Sie flohen davon, als sei der Teufel hinter ihnen. Die Tapfersten von ihnen allerdings dachten nicht an Flucht, sie wollten wohl ihr Leben so teuer wie möglich verkaufen, dem Feinde noch so viele Wunden wie nur immer möglich beibringen. Das gelang ihnen auch, ehe sie überwältigt, kampfunfähig gemacht wurden. Zu den Opfern gehörte auch Hauptmann von Dornau. Von zwei Kugeln getroffen, brach er zu- sammen; die eine hatte das Bein zerschmettert, die andere den Arm getroffen. Aus zwei Wunden floß sein Blut. Sie zog Dora in ein kleines Nebengemach und legte Len Locken köpf auf deren Schulter. „O, Sie liebe Zauberin, Sie einziges Herz haben ein Wunder voll bracht. Gott segne Sie dafür!" In tiefer Bewegung drückten sie sich die Hände. „Das ist ein Festtag heute", sagte das Fräulein, „und mein Hauptmann soll alles erfahren. Dann kann er Ihnen gleichfalls danken und Sie ehren." Der Besuch blieb nicht lange, und Dora konnte ihrs Mansarde wieder aufsuchen. Ihr Herz flatterte noch angstvoll, aber die Ablen kung hatte ihr wohlgetan. Sie war nicht mehr so ge brochen wie vorhin. Es war ihr gutes Recht, um ihres Gatten Herz, um seinen Besitz zu kämpfen. Ohne Zögern setzte sie sich und schrieb: „Mein lieber Hans! Ich habe, als ich soeben Deinen. Brief erhielt, eine Wahrnehmung gemacht, Lie mir zu denken gibt und mich drängt, Dir zu antworten, ob gleich Du kein Schreiben mehr von mir haben willst. Wer weiß, vielleicht tut es Dir jetzt schon leid, mir so schroff geschrieben zu haben. Das Herz, unser ganzer Mensch ist so großer Wandlungen fähig. Du stellst Dir mich wohl als die unduldsame putzsüchtige, unzu gängliche Frau vor, die ich in der letzten Zeit unserer Ehe war. Die bin ich aber nicht mehr, und nichts in meinem Wesen erinnert an jene Dora. Von Grund aus bin ich in mich gegangen und habe mich gebessert. Ich lebe in Abhängigkeit, habe eine Stelle als Stütze im Haushalt angenommen und mir -in kurzer Zeit die Zuneigung und das Vertrauen meiner Herrschaft er worben. Meins Damen betrachten mich mehr als Freundin, denn als Untergebene, und das macht mich stolz und froh, ich könnte glücklich sein, wenn Du mir nickt einen so schroff ablehnenden Brief geschrieben hättest. Aber Deine Abweisung soll mich nicht daran hindern, wieder und wieder um Versöhnung, um Dein Vertrauen zu bitten. Du hast es mir entzogen und willst es mir nicht wieder schenken? Zu einem so kalten, lieblosen Vorgehen hast Du kein Recht, auch dann nicht, wenn Du mich nicht mehr liebst. Ich bin Dein Weib; was ich getan, bereue ich aufrichtig, in tiefem Schmerz. Das darf Dir nicht gleichgültig sein! Ich will meine Schuld nicht beschönigen, aber es wurden schwerere Sünden vergeben, als ich sie be gangen. Kannst Du Dir vorstellen, wie hart ich büße? Nein, Du kannst es nicht, sonst brächtest Du es nicht fertig, mich wie eine Ueberlästige abzuweisen. Die Sehnsucht nach meinen Kindern macht mich elend. Du willst sie mir für immer vorentkalten? Dann doch nur, um mich zu strafen; Du triffst aber die Kinder am empfindlichsten durch Deine Be- stimmmung. Mabels gute Eigenschaften in Ehren I Aber kann sie unseren Kindern die Mutter er setzen? Könnte sie meinen Lieblingen oder Dir auch nur annähernd das sein, was ich euch bin? Nein, tausendmal nein! Drum sei nicht länger unbarm- herzig, Hans! Muß ich schon wehrlos die Trennung von meinen Lieblingen hinnehmen, so teile mir wenigstens Mabels Adresse mit, damit ich meinen Kleinen schreiben kann, damit die Kinder ihre Mutter nicht vergessen. Und dann die Sorge um Dich! Ich muß immerfort arbeiten, nur dann kann ich die furcht bare Vorstellung abwehren. Nur wenn ich todmüde bin, finde ich Schlaf. Wir Frauen, die wir in jeder Minute um das Leben unserer Männer zittern, zahlen Ler Kriegssuris auch unseren Tribut. . . . Gott sei barmherzig! Meine Gebete umschweben Dich, und wenn Du heimkehrst, sollst Du meine Liebe fühlen, und wie der Krieg Dich auch heimführen mag. Dein Weib. Deine Dora." Sie brachte ihren Feldpostbrief noch fort und machte einen kurzen Spaziergang. Dabei wurde ste ruhiger und wieder ein wenig zuversichtlich. Sie gedachte der furchtbaren Tage, wo sie, nach Arbeit suchend, umhergelaufen, des Abends vor Er schöpfung, der Verzweiflung nahe, fast zusammen gebrochen war. Da hatte sie wahrhaft dunkle, trostlose Stunden durchlebt. Sie erkannte, daß man den schwersten Kummer leichter trägt, wenn das tägliche Brot vorhanden, und daß über jeder Herzensnot die körperliche steht, daß es schon des Glücks genug ist, gesund, gesättigt zu sein, Beschäftigung und ein Obdach zu haben. Vom furcht barsten Leid sind Lie betroffen, welche heimatlos um herirren, deren Kinder vergeblich um ein Stückchen -Brot flehen. Fromm betete Dora in ihrem Herzen zu Gott, daß er ihr das Herz des Gatten wieder zuwenden möge.