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(Nachdruck verboten.) Dora ein kleines daß sie zu büßen ihren Kindern be- demnächst die Gattin eines Mannes zu sein, der eine hervorragende Stelle einnahm, hatte sie besänftigt, auch wenn ihr an Bittner dies und jenes mißfiel. Hinter ihr drein tönte spöttisches Lachen und „was die sich denkt!" Sie beeilte sich, wieder auf die Straße zu kommen. „Widerwärtig l" tat sie die Szene ab und fuhr mit der Straßenbahn nach einer anderen Arbeitsstelle. Auch dort wurde sie abgewiesen, auf.einer dritten und vierten Stelle dasselbe Resultat. Abgespannt, ein wenig aus der Fassung gebracht, kam sie in ihrer Pension wieder an. Schien es ihr nur so, oder war die Wirtin wirklich weniger aufmerksam als bisher? Dora hatte sich noch nicht dazu entschließen können, ihr zu sagen, daß sie gezwungen sei, ohne Kündigungsfrist auszuziehen. Aber es mußte nun ja doch geschehen. Als die Dame ihr eigenhändig den Kaffee servierte, sagte sie es ihr. Die Wirtin lächelte überlegen. „Herr Bittner hat am ersten August die Zimmer gekündigt; wußten Sie nichts davon, gnädige Frau?" Dora verneinte. Vor Scham hätte sie in die Erde sinken mögen. Wie durfte Bittner sie einer solchen Demütigung aussetzen l War er vielleicht doch unauf richtig gewesen? Hatte sie ihm nur zum Spiel einer flüchtigen Laune gedient? Sie wehrte sich noch gegen die Erkenntnis, und Zimmer für einen bescheidenen Preis. Sie wollte sich selbst beköstigen. Sie hatte davon gehört, daß am Lützowplatz ein Kriegsmittagstisch eröffnet sei, und daß man dort für dreißig Pfennige eine gute, reichliche Mahlzeit be komme. — Dort wollte sie täglich essen, denn sie wohnte in der Nähe. Auch hoffte sie, von anderen erwerbenden Frauen zu erfahren, was sie beginnen könne, um Geld zu verdienen. In ihrem neuen Zimmer fühlte sie sicb unbehaglich. Die Wirtin war kühl und musterte sie mit mißtrauischen Blicken ; deren Mann, eine große, stattliche Erscheinung, beachtete sie überhaupt nicht. Roman von S. Hills er. (27. Fortsetzung.) doch drängte sich ihr mehr und mehr die Gewißheit auf, daß jetzt die Strafe begann, habe für den an ihrem Mann und gangenen Verrat. 16. Kapitel. Am ersten September bezog ora besaß noch eine Summe, die sie vor- läufig, bei einiger Sparsamkeit, gegen Not schützte. Aber das Geld brannte in ihrer Hand, sie hätte es Bittner am liebsten zurückgegeben; ganz veraus- gaben durfte sie sich jedoch auch nicht. Auch konnte sie Bittners Adresse vorläufig. nicht in Erfahrung bringen. Dora sehnte sich nach Arbeit. Sie wollte wieder mit Seidenstickereien beginnen. Dann konnte sie ein angenehmes Leben zwischen gewinnbringender Beschäf tigung und Erholung führen. Am nächsten Vormittag ging sie denselben Weg, auf dem sie seinerzeit Bittner begegnet war. Welche dankbare Freude sie über seine Geschenke gefühlt, welche unbegrenzte Hochachtung sie vor ihm gehegt, und wie er ihr huldigend, werbend in die Augen gesehen, das ging ihr durch den Sinn, als sie durch den Torweg und dann die Treppe wieder zum Kontor Hinaufstieg. Ein wenig herablassend, wie es jetzt ihre Manier, mit einer Miene, als besitze sie hier besondere Rechte, trat sie ein. Fremde Gesichter sahen ihr entgegen. Als man hörte, daß sie Arbeit wünsche, trat ein junges Mädchen vor, welche schon damals pikiert auf » Dora gewesen war; sicher freute sie sich, Dora gehörig abfallen lassen zu können. „Wir können jetzt nur sehr wenige Arbeiterinnen beschäftigen," sagte sie, „unser Geschäft liegt während der Kriegszeit ganz darnieder. Aber Sie bekämen so wieso keine Arbeit mehr, denn Sie haben uns damals, als wir mit Aufträgen überhäuft waren, schmählich im Stich gelassen. Der Chef vegiht Ihnen das nicht. Sie stehen bei uns im Schwarzen Buch." Dora machte eine Bewegung des heftigsten Un willens, sie fragte nach der früheren Direktrice. „Die könnte Ihnen auch nicht helfen, Frau Stein berg, aber das Fräulein hat sich verheiratet und seine Stelle hier aufgegeben; es läuft auch nach Arbeit herum." Brüsk wandte Dora sich zum Gehen. Die Szene war ihr auf die Nerven gefallen. Sie war es jetzt gewohnt, gnädige Frau tituliert zu werden. Von den Vorteilen, weiche der Reichtum bietet, umschmeichelt, war sie dahingeglitten wie aufeinerblumengeschmückten Gondel. Freilich, nur kurze Zeit hatte sie sich ganz ungetrübt ihres Prinzessinnenlebens erfreut, aber schön war es auch dann noch gewesen. Das Bewußtsein,