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— — —. ik I l - - — geben, nicht im mindesten reagiert. Nun, nachdem ich ihm das Verlangte gebracht hatte, fragte er: »Du würdest wohl sehr viel darum geben, wenn du mich auf gute oder schlechte Art wieder los werden könntest — nicht wahr?" Und der Wahrheit gemäß erwiderte ich, daß ich den gegenwärtigen Zustand allerdings für einen uner träglichen hielte, der notwendig mit irgend einem großen Unglück enden müsse. »Ein großes Unglück — ?" wiederholte er, indem er mich mtt einem sehr sonderbaren Blick ansah. „Nun, es kommt darauf an, ob man es als ein Unglück be trachten will oder nicht. Jedenfalls könnte sich dein fromme»- Wuns h schneller erfüllen, als du Lenkst. Denn auch ich fange an, die Geschichte satt zu kriegen!" „Du willigst also ein, das Heidehaus zu verlassen, Bernhard?" fragte ich mit neu erwachender Hoffnung. „Du willst fortgehen, um dir anderswo mit meiner Hilfe ein Leben nach deinem Behagen einzurichten?" Er lachte. Aber es war ein Lachen, das mir durch Mark und Bein ging. Ein Lachen, das mir schreck licher schien als alle die lästerlichen Redensarten, die er bisher geführt hatte. „Fortgehen?" — Ja! — sortgehen werde ich aller dings ! Aber ich rate dir, dich nicht vorzeitig darauf zu freuen. Meine Abreise könnte dir möglicherweise unangenehmer sein als mein Verbleiben." Dann sank er aufs neue ganz in sich zusammen. Und es war unmöglich, ein weiteres Wort aus ihm herauszubringen. Von Müdigkeit überwältigt, denn ich hatte in den voraufgehenden Nächten vor Aufregung kaum noch geschlafen, ließ ich ihn schließlich allein, um mich in mein Schlafzimmer hinaufzubegeben; denn ich mußte ja schon in aller Frühe wieder auf den Beinen sein, um die gefürchtete Entdeckung zu verhüten. So- ! bald uh mich droben auf mein Bett geworfen hatte, schlummerte ich auch schon ein, und die Sonne stand zu meiner Bestürzung bereits ziemlich hoch am Himmel, als ich aus meinem bleischweren, traumlosen Schlaf er wachte. Ich ließ mir kaum Zeit, mich umzukleiden, und eilte hinunter. Wie aber soll ich Ihnen mein Entsetzen beschreiben bei dem Anblick, der mich erwartete! An dem Gong-Haken neben der großen Standuhr auf der Wohndiele hing die entseelte Hülle meines unglücklichen Bruders. Und es mußte schon eine Reihe von Stunden vergangen sein, seitdem er seine unselige Tat zur Aus führung gebracht. Denn die Leichenstarre -war bereits eingetreten, und an die Möglichkeit einer Wiederbelebung war nicht mehr zu denken. Auf dem Tische aber lag ein mit unsicherer Hand geschriebener offener Brief, der für mich bestimntt war, und den ich seit jener Stunde unablässig bei mir getragen habe. Hier ist er, und Sie werden mir gestatten, Ihnen feinen Inhalt vorzulefen." Er hatte seiner Brieftasche ein zusammengslegtes Blatt entnommen, entfaltete es und las: „An meinen Bruder Stephan! Es geschieht nicht dir zuliebe, daß ich mich davon mache. Denn das Leben hat mtt zu übel mitgespielt, als daß ich mich noch versucht fühlen könnte, irgend einem Menschen etwas zuliebe zu tun. Ich gehe, weil ich das Entsetzliche kommen fühle, das einzige, wovor ich mich wirklich fürchte. Denn ich habe es schon ein mal durchmachen müssen — monatelang. Und als ich damals genesen war, haben mir die Aerzte gesagt, daß ich bei einer Wiederkehr des Anfalles rettungslos einem qualvollen Dahinsiechen in unheilbarem Wahnsinn verfallen sei. Es gäbe nur ein einziges Mittel, es zu verhindern, sagten sie, und dies Mittel bestände'darin, daß ich aufhörte zu trinken. Aber ich war nicht mehr stark genug, diesen Rat zu befolgen. Und bis vor kurzem hoffte ich, daß es mir trotzdem glücken werde, — L " - --^-2 dem Verhängnis zu entrinnen. Jetzt aber weiß ich, daß es eine eitle Hoffnung gewesen ist. Seit gestern fühle ich, daß es wieder heranschleicht, langsam, aber mit tödlicher Sicherheft. In immer kürzeren Pausen fällt es wie dunkle Nacht auf meinen Geist, oder ich werde von den grauenhaftesten Wahnvorstellungen ge peinigt. So fing ich auch damals an, und ich weiß nur allzugut, wie es endigen würde. Dahin will ich es aber nicht kommen lassen. Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende! Wenn du aus deinem gesegneten Schlummer eines Gerechten erwachst, wirst du hier unten nur noch einen stillen Mann vor- finden, der dir nicht mehr nach deinem Erbe track-tst. Die Viertelstunde, die ich benutze, diesen Brief zu schreiben und meinen Vorsatz zur Ausführung zu bringen, mag meine letzten lichten Augenblicke in sich schließen, oarum darf ich nichti länger zögern! Aber freue dich nicht zu früh, denn du sollst auch jetzt noch keine Ruhe vor mir haben. Jetzt erst recht nicht! Ich hinterlasse dir meinen Leichnam und mit ihm die Schmach und die Schande, der du so ängstlich hast aus dem Wege gehen wollen. Sieh zu, wie d" damit fertig wirst! Das Bewußtsein, dir den Rest rünes Lebens gründlich verdorben zu haben, ist die große Genugtuung, die mir das Sterben leicht macht. Der Gedanke an dein zufriedenes Behagen war immer wie ein giftiger Stachel in meiner Seele, und ich hatte geschworen, mich dafür an dir zu rächen. Nun ist der Augenblick der Vergeltung gekommen — anders zwar, als ich mir's ausgemalt hatte. Aber die Rache bleibt trotzdem süß, selbst jetzt, wo ich sie mtt um den Preis deines Lebens erkaufe! In unversöhnlichem Haß dein Bruder Bernhard." „Das war meines Bruders Abschiedsbrief. Morgen werde ich ihn in die Hände meiner Richter legen. Was aber soll ich Ihnen von meinem damaligen Seelenzustande sagen! Selbst wenn ich imstande wäre, ihn zu schildern, würde es Ihnen doch wohl schwer fallen, ihn zu verstehen. Bei völlig klarer Besinnung war ich wphl kaum! Ich sah in der Tat nichts an deres vor mir als die ungeheure Schmach, die über mich, über mein Weib und mein Kind kommen mußte, wenn die Welt von der Existenz meines unseligen, Bruders, von seinem Verbrechen und von seinem Selbst mord Kenntnis erhielt. Ich sah die Frucht meines arbeitsreichen, in Ehren geführten Lebens verloren, ich sah, wie meine Tochter unter dem Makel leiden mußte, mit dem fremde Schuld sie behaftete. Und das Ver langen. dies alles abzuwenden, beherrschte mich mehr und mehr mit einer Gewalt, die schließlich fast zur fixen Idee wurde. So entstand der Plan, den ich dann wirklich zur Ausführung brachte, und der Ihnen nicht unsinniger und törichter erscheinen kann, als er mir heute er scheint. Die Äehnlichkeit, die zwischen meinem Bruder und mir bestand, der Umstand, daß er meine Kleider trug, und die Gewißheit, daß bis zur Stunde hier niemand etwas von seiner Existenz und von seinem Aufenthalt im Heidehause wußte, sollten mir bei der beabsichtigten Täuschung zu Hilfe kommen. Ich hatte hier unter einem fremden Namen gelebt, und wenn man jetzt meinen Bruder unter diesem Namen § begrub, so war Stephan Gotter zwar aus der Liste der Lebenden gestrichen, aber Stephan Holderegger konnte wieder aufleben — an einen anderen Orte natürlich und in einer Umgebung, wo man nichts von dem Bankerotteur und seinen Verbrechen wußte. Der ungeheuren Gefahr, in die ich mich mit alledem für den Fall eines Mißlingens begab, wurde ich mir nicht einen Augenblick bewußt. (Schluß folgt.) .... ..... — —